Was bleibt!?

2003 hatte sie ihren ersten Nr. 1-Hit, es folgten zwei Nr. 1-Alben, zwei Bambis und ein Echo. Mit ihrem mittlerweile siebten Studioalbum „Guten Morgen Freiheit“ geht die Erfurterin Yvonne Catterfeld jetzt neue Wege, nicht nur musikalisch: Das Album erscheint am 10. März auf ihrem eigenen, neu gegründeten Label Veritable Records.

TOP THÜRINGEN sprach vorab mit der in Berlin lebenden 37-jährigen Sängerin und Schauspielerin über veränderte Prioritäten, Unabhängigkeit und Heimat.

Frau Catterfeld, zunächst einmal müssen wir über das Wichtigste sprechen. Wie geht es dem fast dreijährigen Sohnemann?

Dem geht es sehr gut und uns dementsprechend auch. Denn wenn das Kind glücklich ist, ist man selber auch glücklich.

 

Und ich glaube, mit dem persönlichen Glück verbindet sich auch Ihr neues Album. Das heißt „Guten Morgen Freiheit“ und im gleichnamigen ersten Song heißt es: „Freiheit, komm doch rein, du musst nicht draußen stehen, fühl dich einfach wie Zuhause“. Was bedeutet Freiheit für Sie?

Das ist natürlich unterschiedlich. Freiheit ist ein weiter, großer, auch politischer Begriff, gerade in diesen Zeiten. Ich habe tatsächlich auch überlegt, ob es richtig ist, das Album jetzt „Guten Morgen Freiheit“ zu nennen. Aber ich dachte mir dann, ja, erst recht in diesen Zeiten. Für mich geht es aber eigentlich darum, dass man sich jeden Tag darüber bewusst ist, frei zu sein. Ich meine die Menschen, die frei sind und die, die die Chance dazu hätten. Dass man dankbar dafür ist, theoretisch jeden Tag neu entscheiden zu können. Natürlich kann jetzt der eine oder andere sagen: Ich kann nicht meinen Job kündigen, nur weil er mich unglücklich macht. Ein Bedürfnis nach Sicherheit steht der Freiheit oft im Weg. Sich für Freiheit zu entscheiden, hat immer auch Konsequenzen. Aber sich bewusst zu werden, dass man theoretisch viele Entscheidungen heute anders treffen könnte, das fand ich sehr erfrischend.

 

Freiheit steht auch für Unabhängigkeit. Haben Sie deswegen Ihr eigenes Label Veritable Records gegründet?

Mein persönliches „Guten Morgen Freiheit“ bedeutet dieses Album, weil es das erste Album ist, das ich unabhängig von einem großen Label selber veröffentliche. Ich habe mich entschieden, ein eigenes Label zu gründen, genau aus den Gründen, wie Sie sagen, um unabhängig zu sein. Mir hat dafür bisher der richtige Partner gefehlt. Man braucht jemanden, der an einen glaubt, der die gleiche Vision hat und einen darin unterstützt. Den habe ich in meinem neuen Manager Konrad Sommermeyer gefunden, mit dem ich schließlich auch dieses Label gegründet habe.

 

Die neuen Songs klingen sowohl musikalisch als auch textlich ernsthafter, reifer. Aber auch groovy, funky und voller Energie. Es geht ums Ankommen, um Selbstverwirklichung, um Schubladendenken, Kindern und Eltern. Ich höre einen Wandel. Ist das gewollt und gewünscht?

Ein Album ist für mich immer ein Status quo der jeweiligen Zeit. Und dann auch wieder vergänglich, weil sich Dinge verändern. Dieses Album ist recht schnell entstanden, weil ich mir schon vor anderthalb Jahren Gedanken gemacht habe, was ich sagen will. Und ich wusste nie so genau, was ich erzählen möchte, was ich jemandem mitgeben möchte, wie dieses Mal. Die größte Frage für mich als Mutter war: Was bleibt? Weil sich die Prioritäten verschieben, Familie immer wichtiger wird und Ehrgeiz und Karriere in den Hintergrund rücken, und ich viele Sachen hinterfragt habe. Und diese Was-bleibt-Frage schwebte über dem ganzen Album. Das sind Themen, die ich bei anderen auch beobachte. Insofern trifft es einen Zeitgeist. Wir sind doch immer auf der Suche in unserer schnelllebigen Zeit, wo wir uns selbst vergessen, weil wir nur noch auf das Handy starren und in einer virtuellen Welt leben. Da muss man sich solche Fragen stellen, um zum Kern zurückzukommen. Zu sich.

 

Deshalb hatte ich auch die erste Frage nach dem Sohn gestellt. Ich höre die Mama, mit dem Glück einer Mama, auch mit den Sorgen einer Mama und mit dem, was sich durch das Mutter-Sein auch verändert.

Das verändert vieles, nicht nur die Prioritäten. Das macht natürlich etwas mit einem. Als ich im letzten Jahr Radio gehört habe, auch um mich auf „The Voice“ vorzubereiten, habe ich gemerkt, wie verdammt schwer es ist, einen textlich guten deutschen Song zu finden. Mich langweilt oft deutschsprachige Musik, die sehr beliebig ist, weil keine Aussage dahinter steht. Ich wollte einfach bestimmten Fragen mehr auf den Grund gehen.

 

Wie sind Sie bis auf den Grund gekommen?

Ich habe mir über ein Jahr lang Notizen gemacht und mich mit Songwritern getroffen, um das herauszukristallisieren. Sie sagten ja selbst gerade, in der Musik ist viel Energie. Und das wollte ich rüberbringen, ich bin ja eigentlich ein sehr energievoller und positiver Mensch. Ich bin gerade sehr glücklich, und ich glaube, das, was mich berührt, berührt auch andere. Deswegen gab es für mich auch kein Trennungslied auf diesem Album (lacht).

 

In dem Song „Irgendwas“ heißt es „Auf der Suche nach Irgendwas … mehr“. Wonach haben Sie eigentlich gesucht, als Sie sich vor knapp zwei Jahrzehnten aus Erfurt in die große, weite Musik- und Filmwelt aufmachten?

Das ist eine schöne Frage. Ich glaube, ich war auf der Suche danach, gehört zu werden. Ich war ein sehr schüchternes, unscheinbares Mädchen, zwar beliebt, aber trotzdem eher im Hintergrund. Und irgendwann entstand dann der Drang, auch selber sichtbar und vor allem musikalisch gehört zu werden. Meine Stimme war meiner Persönlichkeit weit voraus. Musikalisch konnte ich weitaus mehr ausdrücken, als ich das in Gesprächen hätte tun können. Ich konnte das in Briefen gut und in Gedichten – das war mein Sprachrohr. Aber ich spürte auch, dass ich auf der Bühne stehen wollte, obwohl das komplett gegen mein Naturell ging. Und dann habe ich mich auf die Suche gemacht und bin mit 19 das erste Mal alleine mit dem Zug durch ganz Deutschland gefahren, habe die Musikhochschulen abgeklappert und vorgesungen. So bin ich in Leipzig gelandet.

 

Rückblickend kann man also sagen, die Suche war erfolgreich. Es hat funktioniert.

Ja, total. Was auch ganz gut zum neuen Album passt. Ich möchte die Leute ermutigen oder auch bestätigen in ihren Intuitionen, ihren Visionen, dass sie diese weiterverfolgen. Mir sagten damals auch viele: „Wie, du kannst doch nicht Musik studieren! Das ist doch brotlose Kunst.“ Ich habe es trotzdem durchgezogen, und siehe da, es hat funktioniert.

 

Wenn ich das richtig nachgelesen habe, gab es eine elfjährige Tour-Pause. Jetzt gibt es ab Mitte März eine neue Tour. Verspüren Sie ein ganz neues Lampenfieber, sind Sie schon im Premierenfieber?

Noch nicht so direkt. Jetzt bin ich gerade etwas erkältet und frage mich, was ist, wenn ich auf Tour krank werde. Man will ja jeden Abend funktionieren. Aber natürlich freue ich mich auf diesen kreativen Prozess, das alles live auf die Bühne zu bringen und jedem, der da ist, auch etwas mitzugeben. Ich freue mich riesig auf das Konzert in Weimar, weil es auch Heimat ist, auch wenn Erfurt natürlich meine Stadt ist. Es werden ein Großteil meiner Familie und Freunde kommen, die noch in Erfurt sind. Und Jonny, der in meinem „The Voice“-Team war, der kommt auch. Vielleicht singt er auch etwas auf meiner Bühne. Meine Band ist wirklich großartig, der Schlagzeuger ist auch von „The Voice“. Das wird toll.

Sie haben Familie und Freunde angesprochen. Ich denke, da gibt es eine Menge Nachrichten und Anrufe: „Yvonne, ich brauche mal noch zwei Karten“.

(Lacht.) Ja, in Weimar brauche ich ganz viele Karten, und in Berlin auch. Ich habe aber nur ein begrenztes Privat-Kontingent. Aber es wird sehr spannend, wenn die eigene Familie da ist.

 

Lassen Sie uns noch einmal ins aktuelle Album reinhören. Sie stehen seit Jahren im Rampenlicht, Sie haben zwei Bambis gewonnen, den Echo. Zwei Ihrer Alben standen auf Platz 1. Sie waren und sind als Schauspielerin erfolgreich. Trotzdem bleibt für mich der Eindruck, dass Sie eine eher distanzierte Beziehung zur Show-Welt haben. In dem Song „Mehr als ihr seht“ heißt es in etwa „Ihr glaubt, ihr kennt mich. Zieht über mich her. Ich bleibe bei mir. Ecken und Kanten sind ein Teil von mir. Fall aus der Rolle, will allen zeigen, wer ich bin“. Wollen Sie wirklich allen zeigen, wer Sie sind? Oder wollen Sie auch ein Stückweit privat und die unbekannte Yvonne bleiben?

Wenn es darum ginge, allen zeigen zu wollen, wer ich wirklich bin, dann müsste ich bei Facebook und Instagram ausschließlich private Fotos posten. Das ist nicht mein Ziel. In der Kunst drückt man viele Sachen überspitzt aus. Dafür ist sie da. Ich glaube, dass sich darin viele Menschen wiederfinden, ob es Diskriminierung ist, Beziehungsprobleme sind, Eltern, die ihr Kind nicht sehen oder das Kind fühlt sich nicht gesehen.

 

Die „The Voice“-Staffel verfolgten Millionen, welche Yvonne Catterfeld haben sie gesehen?

Diesen Spagat zwischen Öffentlichkeit und Privatperson zu schaffen, und dann noch in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen zu werden als man ist, das habe ich über ein Jahrzehnt mit mir herum getragen. Qualitativ hochwertige Shows wie „Sing meinen Song“ und „The Voice“ haben mir ermöglicht, mich so zu zeigen, wie ich bin. Dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn ich nach wie vor jemand bin, der sich gerne zurückzieht. Deswegen habe ich mich auch lange gefragt, ob ich „The Voice“ machen möchte. Man weiß es manchmal erst, wenn man es tut. Das gehört eben auch zum Thema Freiheit, dass man auf seine Impulse hören sollte. Wenn man das Gefühl hat, es ist richtig, dann sollte man diesem Impuls folgen. Zumindest ist das meine Devise.

 

Das Album erscheint Anfang März, dann gehen Sie auf Tour. Heißt das, dass die Schauspielerin Yvonne Catterfeld kurz Pause macht? Oder sind schon neue Filmprojekte in Planung?

Es ist tatsächlich so, dass ich mit meinem ersten Album in Eigenregie natürlich meinem Vertriebspartner und auch mir gegenüber eine ganz andere Verantwortung habe. Die Investition ist sehr groß und dementsprechend brauche ich die Zeit einfach, um allem gerecht zu werden. Da passt im Moment kein Film dazwischen. Letztes Jahr im Dezember liefen im Fernsehen die beiden „Wolfslandkrimis“, die in Görlitz spielen. Nach der Tournee und der Albumpromotion beginnen im Herbst die Dreharbeiten für neue Folgen.

 

Wir haben am Anfang kurz über Heimat und Kinder gesprochen. Darauf möchte ich zum Schluss noch einmal zurückkommen. Sie leben in Berlin, wo ist die Zeit für Heimat? Ist der Sohnemann auch bei Oma und Opa zuhause? Gibt es einen regelmäßigen Erfurt-Kontakt oder leider viel zu wenig?

Ich muss leider sagen, immer viel zu wenig. So alle zwei Monate bin ich in Erfurt. Also ich hätte nichts dagegen, wenn ich in der Nähe meiner Eltern wohnen würde oder umgekehrt. Sie fehlen mir sehr. Für meinen Sohn sind meine Eltern und Erfurt auch schon Heimat. Er spürt das genau.

 

Liebe Yvonne Catterfeld, viele, viele Fans freuen sich auf Ihre Rückkehr in die Heimat am 25. März. Dann gibt es das Konzert in Weimar. Vielen Dank für das Gespräch und Grüße nach Berlin.

Ich danke Ihnen auch. Viele Grüße in meine Heimat.

 

Fotos: Christoph Köstlin