Der Diener

Sieben Jahre kämpfte Hoteldirektor Olaf Seibicke um diesen einen Abend. Solange schon versuchte das Mitglied des FC Bayern München, den ehemaligen Spieler, Manager und heutigen Präsidenten des Mia-san-Mia-Clubs von der Isar nach Gotha zu locken. Am 18. Oktober 2018 war es endlich soweit: Um kurz nach 19 Uhr betrat Heiland Uli Hoeneß unter dem donnernden Applaus von 260 Bayern-Jüngern die Bühne des Cranach-Saals im Lindenhof. Zum Vier-Gänge-Menü, garniert mit unterhaltsamen und polarisierenden Anekdoten aus dem rot-weißen Universum des 66-jährigen Wurstfabrikanten.

260 Gäste, ausverkauft! Lindenhof-Direktor und Bayern-Fan Olaf Seibicke hätte nach eigener Aussage drei Mal so viele Karten für „Ein Abend mit Uli Hoeneß“ verkaufen können. Nach einem kurzen Hallo auf der Bühne, stehenden Ovationen inklusive, wurden in vier Gängen 1000 Teller und Schüsseln bestückt mit Tartar von der Bayerischen Forelle, Tempura von der Rostbratwurst der Hoeneßchen Wurstfabrik, Arosiertem Emsländer Kalbsfilet sowie Mango & Schokolade. Dazu gab es 1000 Anekdoten, Phrasen, Kalauer, Neckereien – und ein paar Spitzen von der bajuwarischen Abteilung Attacke des Uli Hoeneß. 

Drei seiner eigenen Würste habe er bei seinem „Heimspiel“ in Gotha gegessen, sagte er, obwohl er ja eigentlich viel lieber Thüringer verköstigt hätte. Wie seine eigenen schmecken, wisse er ja schließlich. Die Original Thüringer, die Olaf Seibicke zum Vorgespräch mit nach Bayern brachte, seien längst verzehrt. „Bei uns geht keine Wurst kaputt. Wir sind keine Vegetarier“, so Hoeneß. Anschließend plauderte der 66-Jährige, der als Spieler, Manager und Präsident mit dem FC Bayern München alles gewann, was man im Fußball gewinnen kann, über seine ganz eigene Sicht auf die (Fußball-) Welt. Der johlende Applaus seiner Gefolgsleute war ihm jedenfalls sicher, egal, was „ihr“ Uli ausrief.   

 

Das Karriereende

„1975 zog ich mir im Europapokalendspiel der Landesmeister gegen Leeds United eine schwere Knieverletzung zu, die damals aber nicht richtig diagnostiziert wurde. Es war das letzte Spiel der Saison, danach ging es in den Urlaub, ich machte mir keine allzu großen Sorgen. Im ersten Training zur neuen Saison krachte es dann aber gewaltig im rechten Knie. Außen- und Innenmeniskus waren kaputt. Mit dem heutigen medizinischen Wissen hätte ich nach sechs Wochen wieder gespielt. Damals musste ich sechs Monate pausieren und hatte danach immer noch große Probleme. Im Frühjahr 1979 beendete ich meine Spielerkarriere.

 

Die Nacht von Belgrad

„Ich träume nicht mehr von meinem verschossenen Elfmeter im EM-Endspiel 1976 gegen die Tschechoslowakei, als ich den Ball in den Belgrader Himmel schoss. Den hat man erst später im Balkankrieg wiedergefunden. Erstaunlich war, dass mir damals viele Persönlichkeiten geschrieben haben, um mich zu trösten. Unter anderem Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß. Fußball ist aber immer noch ein Spiel und es gibt auch keine Schicksalsspiele. Wir alle sind doch glücklich, Sie in Gotha, ich am Tegernsee. Wenn wir jeden Tag in Aleppo aufwachen würden, dann hätten wir ein Problem.“

 

Der Manager

In meinem letzten Profijahr spielte ich beim 1. FC Nürnberg. Im März 1979 bekam ich einen Anruf vom Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker. Er fragte mich, ob ich Manager des FC Bayern werden möchte. Ich erbat mir einen Tag Bedenkzeit und fragte meine Ärztin, wie lange mein rechtes Knie noch halten würde. Nicht mehr lange, sagte sie. Also sagte ich am nächsten Morgen den Bayern zu. Ich weiß nicht, wo der FC Bayern heute stehen würde, wenn ich mich damals nicht verletzt hätte. Dann wäre ich nicht nach Nürnberg gegangen, hätte als Bayern-Spieler auch gegen die Trainerverpflichtung von Max Merkel rebelliert und hätte dann sicherlich auch keinen Anruf von Präsident Neudecker bekommen. Keiner hätte mich gefragt, ob ich Manager werden möchte. 

 

Der Aufstieg zum Weltclub

Als ich am 1. Mai 1979 beim FC Bayern als Manager anfing, erwirtschaftete der Verein mit 20 Mitarbeitern 12 Millionen DM Umsatz. Gleich in meinem ersten Jahr wurden wir nach sechs Jahren wieder Meister. Bevor man mich 2014 in den Zwangsurlaub schickte, war alles in bester Ordnung, 2013 hatten wir sogar die Champions League gewonnen. Heute haben wir 1000 Mitarbeiter und erwirtschaften 650 Millionen Euro, die Allianz-Arena ist abbezahlt und gehört alleine uns, wir hatten ja mal diesen schwindsüchtigen Verein als Stadionpartner. Unsere Eigenkapitalquote liegt bei 70 Prozent, wir haben keine Kredite laufen. Wenn wir wollten, könnten wir uns fast jeden Spieler der Welt kaufen. Und wir haben das alles ohne Oligarchen oder Mäzene geschafft.“

 

Mia san Mia

„Das dürfen wir nie aufgeben. Es wird mir zu viel darüber geredet, wir müssen es wieder mehr auf dem Platz zeigen.“

 

Die Fans

„Die Zuschauer im Stadion sind heute wirtschaftlich nicht mehr so wichtig, als ich anfing, machten sie noch 85 Prozent des Umsatzes aus. Dafür sind sie aber für die Stimmung und die Zuneigung zum Verein und zu den Spielern umso wichtiger. Der Bayern-Fan fährt durchschnittlich 250 Kilometer zum Stadion. Seit der Eröffnung der Allianz-Arena 2004 war jedes Heimspiel ausverkauft. Das ist das achte Weltwunder!“

 

Konkurrenz

„Borussia Dortmund macht derzeit vieles richtig. Vom wirtschaftlichen Potenzial her, fürchte ich aber nur eine Stadt, und das ist Hamburg – wenn die einen richtigen Verein hätten.“

 

Der Präsident

„Schauen Sie: Es gibt im Fußball drei Traumjobs: Profi, Manager und Präsident. Beim Manager ist die Verbindung von Sport und Wirtschaft das Interessante und als Präsident bin ich für den ganzen Verein verantwortlich. Ich selber schaue nicht mehr so oft beim Training vorbei, ich gehe auch selten in die Kabine. Die jungen Leute sollen sich doch entwickeln, ansonsten würden alle sagen, der Rummenigge und der Hoeneß kontrollieren immer noch alles. Mit 80 bin ich auf jeden Fall kein Präsident mehr“

DDR-Fußballer

„Es gab zur Wendezeit viele gute Fußballer in der DDR wie Sammer, Thom, Kirsten, Doll…Einige hatten wir auch auf der Liste, wir wollten aber nicht mit dem Geldkoffer durch das Land fahren und den Vereinen ihre besten Spieler wegnehmen. Das war damals schon eine wilde Zeit, wir haben sogar einmal auf Wunsch von Rainer Calmund (Anm. d. Red. damaliger Manager von Bayer Leverkusen) den Ulf Kirsten für eine Woche in München versteckt, damit ihn keine anderer Bundesligaclub kontaktieren konnte. Später haben wir mit Linke, Zickler, Jeremies und Ballack sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich erinnere mich auch noch gut an unser Europapokalspiel 1973 in Dresden, da hat der Geyer nur meine Rückennummer gesehen.“ (Anm. d. Red.: Das Spiel endete am 7. November 1973 3:3, Hoeneß schoss zwei Tore.)

 

Verträge

„Es wird immer viel darüber geschrieben, was sich die Spieler für Sonderregelungen in ihre Verträge hineinschreiben lassen. Das meiste ist Schmarrn. Wenn ein Spieler seinen Friseur mitbringen möchte, soll er das tun, dann bezahlt er ihn aber auch. Letzendes geht es immer ums Geld, auch wenn die Profis zuallererst aus Liebe zum Fußball spielen, sie würden das auch ohne Geld machen, natürlich lieber für viel Geld. Die besten Verträge schließe ich immer noch per Hand ab, zur Sicherheit wird das bei den heutigen Summen im Nachhinein schriftlich gemacht. Aber es zählt das, was vorher besprochen wurde.     

 

Milliardengeschäft Fußball

„Ich habe vor Jahren gesagt, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Da habe ich mich geirrt. Die Umsätze und Gehälter werden durch Investoren, TV- und Online-Vermarktung weiter steigen. In England bekommt ein Mittelklasseverein wie Everton 130 Millionen Euro aus der TV-Vermarktung, Manchester United 300 Millionen. Der FC Bayern bekommt in Deutschland 70 Millionen Euro! Stellen Sie sich nur einmal vor, in ein paar Jahren spielen eins, zwei Chinesen bei Real Madrid und Juventus Turin. Dann treffen die in der Champions League aufeinander und in China bezahlt jeder, der das Spiel sehen will, nur einen Euro. Da sehen Sie, wie groß das Vermarktungspotential im Fußball noch ist. Allerdings bin ich gegen eine Weltliga, in der aus Deutschland Bayern und Dortmund mitspielen würden. Dann wäre die Bundesliga wertlos. Interessant fände ich am Ende der Saison ein Turnier mit dem Champions League Sieger und den Meistern aus Asien, Südamerika und Afrika.“

 

Die Zeit im Gefängnis

„Ich habe dort viel erlebt. In der Kleiderkammer habe ich Kleidung ausgegeben und bin mit vielen Insassen ins Gespräch gekommen. Viele sind nach Beendigung ihrer Haftzeit in eine ungewisse Zukunft entlassen wurden, sie wussten nicht wohin und was sie machen sollten. Diese Sorgen hatte ich nicht, mir haben meine Familie und wenige gute Freunde ganz viel Kraft gegeben, diese schwere Zeit zu überstehen.“    

 

Der Nachfolger

„Karl-Heinz Rummenigge und ich machen uns jeden Tag darüber Gedanken. Denn unser Lebenswerk ist nur abgerundet, wenn wir den Verein in gute Hände übergeben. Aus meiner Sicht sollte es ein ehemaliger erfolgreicher Profi mit Persönlichkeit machen, da kommt nur ein kleiner Kreis in Frage. Man darf auch nicht vergessen, dass Karl-Heinz und ich nach unseren Karrieren noch nicht ausgesorgt hatten, wir mussten noch arbeiten. Das sieht heute bei den Top-Stars anders aus. Zudem ist der Managerjob eine Ochsentour, sechs Tage die Woche ist man unterwegs, man hat kaum Privatleben. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt, `Wir dienen dem Verein`. Das ist ein harter Job. Und es ist ja auch schwierig, hinter mir Manager zu werden, die kleine Episode mit Matthias Sammer vergessen wir mal. In zwei bis drei Jahren wollen wir die Frage gelöst haben. 

 

Lothar Matthäus

„Ich würde ihn sofort als Greenkeeper bei uns einstellen. Spaß beiseite. Lothar macht als Experte bei Sky einen Super-Job, er scheint jetzt auch die passende Frau gefunden zu haben, er war ja, glaube ich, fünf Mal verheiratet. Als Trainer hat er immer fachlich hervorragend gearbeitet, leider war er dann aber immer mal wieder lieber Juror bei einem Modelwettbewerb als auf dem Trainingsplatz. Das geht eben nicht. Wir haben mittlerweile ein normales Verhältnis und er repräsentiert den FC Bayern als Botschafter weltweit. 

 

Soziales Engagement

„Viele fragen mich, warum ich solche Abende mache. Zum einen unterstütze ich fünf, sechs karitative Vereine, denen ich einmal im Jahr eine Vortragsgage spende. Zum anderen möchte ich als Präsident des FC Bayern München wissen, was die Menschen denken. Und das erfahre ich eher auf solchen Veranstaltungen, als wenn ich am Tegernsee auf meiner Terrasse sitze und Rotwein trinke.“   

Ob Uli Hoeneß auf der nächtlichen Heimfahrt von Gotha an den Tegernsee auf dem Rücksitz zu viel Rotwein getrunken hat, ist nicht überliefert. Eine Erklärung für die jetzt schon legendäre Pressekonferenz am Folgetag in München – Stichwort „Die Würde des…“ FC Bayern…, nein, natürlich hieß es „des Menschen ist unantastbar.“ – wäre es zumindest.

Uli Hoeneß hat an diesem Abend auf seine Gage verzichtet. Im Gegenzug spendete „Der Lindenhof“ 30.000 Euro an den von Uli Hoeneß unterstützten Bürgerverein Rheinviertel, der sich um sozial benachteiligte Kinder kümmert. 

 

www.der-lindenhof-gotha.de

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Dr. Bernd Seydel