Werk und Wirkung

Am 6. Februar 1919 konstituierte sich im Deutschen Nationaltheater (DNT) in Weimar die verfassungsgebende Nationalversammlung der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden – der Weimarer Republik. Wenige Wochen später gründete Walter Gropius ebenfalls in Weimar das Staatliche Bauhaus. Die später weltberühmte Architektur- und Kunstschule war Ausdruck und Vorreiter einer international ausstrahlenden Bewegung der Moderne. Sowohl die Weimarer Republik als auch das Bauhaus endeten 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

TOP sprach im Nationaltheater mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und DNT-Intendant Hasko Weber über einen furchtbaren Irrtum, bürgerliche Brüche und eine revolutionäre Urzelle.

Herr Ramelow, Herr Weber, haben Sie die ersten Staffeln der deutschen Erfolgsserie „Babylon Berlin“ gesehen, die in Berlin während der Weimarer Republik spielt?

Bodo Ramelow: Ich konnte mir zunächst nichts unter dem Projekt vorstellen. Dann kündigte die ARD die ersten drei Teile für Sonntag zur Tatort-Zeit an. Also bin ich sitzengeblieben, schließlich muss man ja wissen, worüber geredet wird, und war von der ersten Minute an fasziniert. In der Mediathek habe ich dann alle weiteren Folgen bis morgens um zwei Uhr geschaut. Ich hatte lange nicht mehr so ein Fernsehgefühl. Es hat mich quasi in den Fernseher gezogen. Und wenn man dann auch noch unseren großartigen Weimarer Schauspieler Thomas Thieme sieht und hört …

Hasko Weber: Ich war zunächst skeptisch, weil es mit dem Eventaufschlag „100 Jahre Weimarer Republik“ verknüpft ist. Ich habe aber eine ganz persönliche Verbindung zur Serie: Peter Kurth, der den Polizisten Bruno Wolter spielt, ist ein Kollege von mir, der in meiner allerersten Bühneninszenierung in Chemnitz gespielt hat. Wir kennen uns seit über 30 Jahren. Auch deshalb habe ich es mir angeschaut und war erstaunt. Dieses neue Format ist sehr spannend, weil es einer anderen Dramaturgie folgt. Es laufen verschiedene Ebenen gleichzeitig ab. Es gibt Zeithandlungen in zuschaueraffinen Kürzungsschritten – ohne Logik und trotzdem mit Stringenz. Und die Ausstattung ist natürlich sensationell.

 

1929 gilt aber auch als Zeitenwende: der Anfang vom Ende der Weimarer Republik, Weltwirtschaftskrise, Regierungskrisen, Erstarken der Nationalsozialisten … Welchen kulturellen und politischen Rang nahm damals Weimar als Thüringer Landeshauptstadt ein?

Hasko Weber: 1929 sind wir eigentlich schon einen Schritt drin im Schlamassel. Da war das Weimarer Stadtparlament schon mit der NSDAP besetzt und die Stadt ein Treffpunkt der Nazi-Größen um Hitler. Darauf müssen wir heute immer wieder Bezug nehmen: Die Geschichte wurde von den Bürgerinnen und Bürgern gemacht, es wurde gewählt! Und es ging nicht sehr rühmlich weiter, im Theater wurden jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Was mich daran heute interessiert ist: Wie ging das, was haben die anderen dazu gesagt? Da ist etwas unter dem klassischen Schein von Goethe, Schiller und Liszt passiert, das man sich ganz schwer vorstellen kann. Wie konnte dieser Prozess in so kurzer Zeit ablaufen? Weimar stand plötzlich im Lichte, Hitler nannte sie die Lichtstadt. Ein furchtbarer Irrtum!

 

Haben Sie eine Erklärung?

Bodo Ramelow: Beim Blick ins Geschichtsbuch muss man zur Kenntnis nehmen, dass 50 Jahre zuvor diese Region eine der wirtschaftlich stärksten im Kaiserreich war. Die Geschichte der Industrialisierung, der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie – das waren Aufbrüche in neue Zeiten und neue Welten. In Pößneck ist die Textilarbeitergewerkschaft gegründet worden, in Eisenach, Gotha und Erfurt die Sozialdemokratie. Eine Stadt wie Gera war eine der reichsten Städte im Kaiserreich. Und dann kommt der erste Weltkrieg mit seinem Blutzoll, den Millionen Menschen in den Schützengräben entrichten mussten. Da bereits beginnt der Abstieg, der Bruch kommt 1930 mit der Weltwirtschaftskrise. Es gab eine Entwertung, die nicht mehr aufgefangen werden konnte durch den Stolz der fürstlichen Kleinstaaten. Depression machte sich breit. Dieser psychologische Niedergang war der Wegbereiter dafür, dass die Menschen offen waren für nationalsozialistisches Ideengut, das zu Schoah, Weltkrieg und unendlichem Leid geführt hat. Anders sind die bürgerlichen Brüche quer durch die Nachbarschaft kaum zu erklären.

 

Womit wir schon bei den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik sind …

Bodo Ramelow: Ich versuche noch, den Punkt davor zu erwischen. Adolf Hitler, wie Sie wissen, sollte 1925 in Hildburghausen als lokaler Stadtpolizist eingedeutscht werden. Das hat er zwar abgelehnt, weil es ihm nicht würdig genug erschien, zeigt aber, wie früh dem Nationalsozialismus in Thüringen der Hof gemacht wurde.

 

Hasko Weber: Das kaiserliche Prinzip war von Gott gesetzt. Nach dem ersten Weltkrieg gab es das aber nicht mehr, und damit waren die Menschen plötzlich konfrontiert. Dass sich 1919 hier in Weimar die Nationalversammlung konstituiert und eine Verfassung auf den Weg gebracht hat, ist grandios und gleichzeitig divers und paradox zu dieser Zeit. Der Glaube, dass das funktionieren wird, hat eigentlich schon einen großen Anteil daran, dass es gescheitert ist. Weil die Abrechnung mit dem, was war, unmöglich ist in dieser kurzen Zeit. Eine Aufarbeitung hat nicht stattgefunden. Das Ringen um die politische Richtung – die Parteien, die sich damals neu gegründet haben, die revolutionären Gruppen in Berlin und Kiel – all das hat den Leuten Angst gemacht. Sie wollten Ruhe haben und Frieden finden. Der Punkt, dass sich das nicht im demokratischen Neufinden artikuliert, sondern eher in das alte Prinzip zurückschnappt, lag schon am Anfang der 1920er Jahre.

 

Waren denn die Weimarer Republik und das Bauhaus aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

Hasko Weber: Das sehe ich nicht so. Das Bauhaus wäre ohne den ersten Weltkrieg und die folgenden Umbrüche gar nicht möglich gewesen.

Bodo Ramelow: Da bin ich völlig bei Ihnen.

Hasko Weber: Man muss diese Entwicklungsmöglichkeiten positiv lesen. Wie sich die Bauhaus-Ideen dann weltweit durchsetzen

konnten und welche Langzeitwirkungen sie haben, sehen wir ja heute. Historisch betrachtet war das ein wahnsinnig starker Impuls. Dass es in Weimar passiert ist, aus dem Kontext der Kunstgewerbeschule heraus, ist immer noch ein ganz starkes Signal dafür, wozu eine Gesellschaft in der Lage ist.

Bodo Ramelow: Die Aufbrüche gab es an vielen Stellen. Stichworte: Reformpädagogik, Jenaplan-Schulen, Hermann-Lietz-Schulen, selbst die Freikörperkultur. Und eine der wirklich tragenden und im Weltsinne revolutionären Urzellen ist eben das Bauhaus. Weil es durch die Vertreibung wiederum neue Impulse bekommen und auf einmal ganz viele Orte auf der Welt miteinander verbunden hat. Ich war im Oktober in Chicago und in Tel Aviv und habe mich mit Bauhaus-Enkeln unterhalten. Es ist faszinierend, an welchen Stellen auf der Welt man Spuren des Bauhauses findet …

 

… die ohne Vertreibung nicht möglich gewesen wären?

Bodo Ramelow: Das muss man einfach – so bitter es ist – festhalten. Ohne den deutschen und Weimarer Kleingeist, der das Bauhaus 1925 erst von Weimar nach Dessau, 1932 nach Berlin und 1933 durch die Nazis in die ganze Welt vertrieb, wäre das Bauhaus heute nicht diese international ausstrahlende Bewegung der Moderne. Das ist eine Ambivalenz.

Hasko Weber: Die Symbiose aus Funktionalität und Kunst, mit der das Bauhaus versuchte, Gesellschaften weiterzuhelfen, war bahnbrechend. Es gibt viele Beispiele aus der Kunst oder der politischen Diskussion, die heute durchaus wieder interessant sind. Sie können heute, anders verpackt, aber in ähnliche große Umwälzungsprozesse eingebettet, durchaus Antworten geben auf die Ratlosigkeit in unserer Zeit.

 

Wo suchen Sie Antworten?

Bodo Ramelow: Wir müssen Werk und Wirkung betrachten. Ich mache das an scheinbar banalen Sachen wie der Frankfurter Küche fest. Als ich die das erste Mal bei Freunden in Frankfurt am Main gesehen habe, war ich beeindruckt. Damals werden viele gedacht haben, die sind jetzt verrückt geworden. Für uns ist es heute Normalität. Deswegen sage ich: Werk und Wirkung sind faszinierend. Ich folge Herrn Weber: Man darf es nicht nur historisieren und museal stehenlassen. Das Spannende ist doch, dem Geist dahinter nachzuspüren. Was bricht da auf und wie geht es weiter?

 

Apropos weitergehen. Weimar hatte Goethe, Schiller, Liszt, Gropius, van de Velde … Müssen wir nicht auch verstärkt in die Zukunft blicken? Wo ist das neue Thüringer Bauhaus, wo sind die neuen Bauhäusler, wo sind die bahnbrechenden Ideen?

Bodo Ramelow: Ich sehe sie tatsächlich in der digitalen Welt, in der es unglaublich viele Ansätze gibt, die unser Leben verändern, ohne dass wir, die wir nur digitale Einwanderer sind, das alles schon begreifen. Ich merke aber, dass das viele Veränderungsprozesse bei uns auslöst. Es gibt durchaus eine Sehnsucht, dass eine mit dem anderen zu verbinden.

 

Also quasi ein Bauhaus 4.0?

Bodo Ramelow: Ja, wir sollten Bauhaus dynamisch denken. Heute ist Silicon Valley ein Mega-Bauhaus in diesem Sinne. Und die Alltagstauglichkeit erleben wir mit jedem Smartphone und jeder App.

Hasko Weber: Das sehe ich etwas anders. Wir stecken in neuen Technologien, verschiedene Bereiche vernetzen sich rasant, und wir kommen nicht mehr raus. Inwieweit das tatsächlich progressiv ausgeht, wird sich zeigen.

Bodo Ramelow: Da erhebe ich Einspruch. Das Bauhaus war für sich genommen nicht progressiv, es war ein Aufbruch und es ist auch am Ende völlig anders übersetzt worden.

Hasko Weber: Das wird mit Silicon Valley nicht passieren, die werden nicht anders übersetzt. Die werden überall gleich verstanden, und das macht ja auch genau ihre Macht aus. Interessant ist doch die Bewertung, was uns die Digitalisierung in Zukunft bringt. Das ist ja auch politisch relevant, weil ein unglaubliches Machtinstrument entsteht. Politische Parteien und Regierungen könnten zum überholten Modell werden von einer technologisierten, alles beherrschenden Welt.

Bodo Ramelow: Wir müssen die Macht neuer Technologien hinterfragen. Es gibt nun mal heute andere Formen der menschlichen Kommunikation. Die kann man mögen oder nicht. Man sollte nur dabei die kritische Sicht nicht verlieren.

Hasko Weber: Diese Massentauglichkeit ist ja schon ein Argument gegen einen Bauhaus-Vergleich.

Bodo Ramelow: Bauhaus hat aber auch die Voraussetzungen geschaffen, dass es massentauglich wurde.

Hasko Weber: Die Intentionen waren aber zunächst andere.

Bodo Ramelow: Deshalb habe ich gesagt: Werk und Wirkung. Heute ist Küche Massenware, am Anfang war die Idee revolutionär, den Menschen in der Küche Entlastung zu geben. Die Überlegung war zunächst eine höchst sympathische, aber sie hat am Ende eine Formensprache und eine Produktion erreicht, die massentauglich ist.

Wie wollen Sie in Zeiten der Digitalisierung verhindern, dass die jüngeren Generationen bei Bauhaus eher an eine Baumarktkette denken?

Hasko Weber: Wir haben in den nächsten Jahren eine Riesenaufgabe vor uns, weil wir die historische Herleitung immer wieder einspeisen müssen. Wo kommen wir her? Was waren die Fakten? Warum ist es heute so? Ganz persönlich und im direkten Gespräch müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass die Zeitrechnung nicht heute beginnt und mit einer Fingerbewegung wegzuwischen geht. Ich möchte nicht düster denken und technikfeindlich reden, aber die Aspekte, die in der heutigen Entwicklung stecken, bedeuten oft eine Abkopplung von der Geschichte. Das wiederum bedeutet für bestimmte ältere Generationen ein umso stärkeres Festhalten am Gewesenen. Das ist eine unheimliche Diskrepanz, wie Verschiebplatten, die sich reiben und auftürmen. Ich verstehe mich mit dem Theater immer noch als Vermittler, wir haben eine Tradition zu wahren, ein Erbe zu pflegen und gegenwärtig damit umzugehen. Aber wir haben damit vor allem Perspektiven in die Zukunft zu eröffnen. Wie lange dieses Konzept noch funktioniert, kann ich nicht sagen.

Bodo Ramelow: Ich bin da weniger skeptisch. Wir müssen vieles ins Digitale übertragen ohne zu vergessen, dass es immer noch ein Genuss ist, im Theater zu sitzen. Ich habe auf meiner Timeline schon lange den Bauhaus-Kanal mit wunderschönen Videosequenzen, die ich regelmäßig teile. Wenn ich aber kein spielerisches Angebot habe, nur analog denke, wird es schwierig

sein, die junge Generation mitzunehmen, da für sie die digitale Welt zentrales Thema ist. Das erleben wir leider an vielen Stellen.

 

Kommen wir zurück zur Weimarer Republik. Das Experiment begann nach dem ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution offiziell am 19. Januar 1919 im DNT in Weimar. Warum wurde Weimar als Tagungsort der ersten Nationalversammlung gewählt?

Hasko Weber: Eine Erklärung ist: um aus dem umkämpften Berlin herauszukommen. Dann liegt Weimar in der geografischen Mitte Deutschlands, es wurde sogar ein Linienflug von Berlin nach Weimar eingerichtet – die erste Fluglinie überhaupt. Inwieweit Weimar auch als Kulturstandort eine Rolle spielte, kann ich nicht sagen. Der damalige und mutige Intendant Ernst Hart hat kurz vor der Nationalversammlung dieses Haus in Deutsches Nationaltheater Weimar umbenannt. Die meisten Besucher bringen den Namen mit Goethe und Schiller in Verbindung und sind dann ganz erstaunt über den wahren und politischen Hintergrund: Ein neues Parlament

trifft sich und beschließt eine neue Verfassung, schreibt einen ganz neuen Text. Der ist in der Urfassung sehr gut formuliert, auch literarisch. Am Beispiel dieser Weimarer Verfassung versuche ich immer klarzumachen, dass unsere Gesellschaft auf Worten steht. Wenn wir den Glauben an Worte oder die Beziehung zu Inhalten verlieren, ist alles Makulatur.

 

Barack Obama hat kürzlich in einer Rede gesagt, „wenn die Bedeutung des Wortes nicht mehr gegeben ist, hat die Demokratie verloren“.

Hasko Weber: Man kann aber auch den Bogen schlagen zum Gesagten. Das heißt, wie Nachrichten entstehen und wie Informationen verbreitet werden. Ein Verwirrspiel, das derzeit darauf hinausläuft, dass ich mir das rausziehe, was ich hören will.

Und das ist eine unglaubliche Einschränkung im Vergleich zu den Zielen der 1919er Verfassung.

Bodo Ramelow: Ich sehe es sogar im Lutherschen Kontext. Mit der Reform der dazwischenstehenden Kirche wollte er die Beziehung zwischen den Menschen und Gott stärken. So sehe ich 1919: Das Volk in Gemeinsamkeit sollte sich politisch ermächtigen und damit eine eigene Handlungsfähigkeit bekommen. Das hat nicht funktioniert. Die filigranen Mechanismen der Machtergreifung und die Machtbalance waren gleichzeitig Fehlerquellen. Die Nazis haben ja offen zugegeben, dass sie alle demokratischen Möglichkeiten nutzen werden, um diese Demokratie abzuschaffen.

 

Zuvor, am 11. August 1919, hatte Reichspräsident Friedrich Ebert mit seiner Unterschrift die Verfassung der Deutschen Republik (wie sie zeitgenössisch hieß) in Kraft gesetzt – im Urlaub in Schwarzburg, einem Dorf im Thüringer Wald. Der Freistaat feierte am 25. Oktober dieses Jahres den 25. Jahrestag seiner Verfassung. Was sind Parallelen und Unterschiede zur Weimarer Verfassung?

Bodo Ramelow: Erst einmal sind Verfassungen ein Akt der Selbstermächtigung. Da spielen 25 Jahre Thüringer und 100 Jahre Reichsverfassung eine wichtige Rolle. Es ist immer ein Aushandlungsprozess für zentrale Fragen: Wer hat welche Rechte? Wer darf welchen Status einnehmen? Letztlich haben wir in Thüringen eine ganz besondere Verfassungskultur. Die Verfassung von Weimar stellt einen Meilenstein zwischen der Paulskirchenverfassung und dem Grundgesetz dar. Die Volkssouveränität, das Frauenwahlrecht, aber auch das nun in der Verfassung verbriefte Recht gewerkschaftlich tätig zu werden, katapultierten das vormals reaktionäre Deutschland in eine moderne und progressive Verfassungsrealität. Und auch die 25-jährige Thüringer Verfassung folgt der Logik der Selbstermächtigung dieser Traditionslinien. In Schwarzburg haben wir das Zeughaus saniert, es war völlig zerstört, die prunkvolle Waffensammlung konnte nicht mehr gezeigt werden. Es lohnt jetzt wieder, sich die Schmucksammlung anzusehen, die damals als Absage an den Militarismus gezeigt wurde.

 

Heute gibt es wieder verstärkt nationalistische Tendenzen und die Ausgrenzung von Minderheiten. Lernen wir nicht aus der Geschichte?

Hasko Weber: Doch. Aber viele vergessen, dass auch unsere Demokratie ein fragiles System ist. Man nimmt gern als selbstverständlich, was nicht selbstverständlich ist. Und die Gewohnheit ist ein böses Tier. Das Verhängnisvolle daran ist, wenn es den Leuten gut geht, verschieben sich die Maße und die Bewertungen. Es ist doch paradox, dass trotz der sehr geringen Arbeitslosenquote Menschen konträre Bilder finden und sich gegen gesellschaftliche Regeln und Strukturen stellen. Ob das mittlerweile schon große Teile der Bevölkerung betrifft, weiß ich nicht einzuschätzen. Wenn dieses Kontra aber parteitauglich wird, dann ist ein gefährlicher Prozess im Gange.

Bodo Ramelow: Was wir als Demokratie für selbstverständlich halten, ist ein sehr westdeutsches Modell. Der ostdeutsche Teil, der sich selbst aufgemacht hat, ist leider darin nicht angekommen. Ökonomisch steht Thüringen aktuell sehr stark da, wir haben ein gutes Wirtschaftswachstum und niedrige Arbeitslosigkeit. Laut Thüringen-Monitor sagen viele Menschen seit zwanzig Jahren: Mir geht es gut, aber uns geht es schlecht! Das ist tatsächlich ein Paradoxon. Ich erkläre mir das so: Es gab mit der Wende den Aufbruch in die Freiheit. Dann kamen die Westdeutschen und haben den Ostdeutschen gesagt, dieses geht nicht und jenes auch nicht. Man bekam gesagt, dass man ja erstmal lernen müsste, richtig zu arbeiten. Die Produktivität würde auch nicht stimmen, was man uns heute immer noch vorwirft. Das sind Dinge, die etwas auslösen. Gut 20 Prozent der Thüringer sind affin für ausländerfeindliche Aussagen. Diese Menschen hatten lange Zeit keine parteipolitische Folie. Jetzt haben sie eine und nutzen sie als Denkzettel für „die da oben“.

 

Herr Weber, beide Jubiläen waren für Sie auch ausschlaggebend für Ihre DNT-Intendanz in Weimar?

Das stimmt. Auch deshalb bin ich nach Weimar gekommen. Diese Themen haben mich bereits als Schüler interessiert. Und dann Intendant dieses Hauses zu sein, in dem vor 100 Jahren Historisches passierte, ist schon etwas ganz Besonderes.

 

Vom 1. bis 10. Februar 2019 findet im DNT die Woche der Demokratie statt. Was verbirgt sich hinter dem Programm-Titel „Neuer Mensch“?

Hasko Weber: Herr Ramelow, dafür brauche ich übrigens von Ihnen noch ein Vorwort für das Programmheft.

Bodo Ramelow: Am neuen Menschen arbeite ich doch immer gern mit.

Hasko Weber: Wir wollen klarstellen, was hier vor 100 Jahren stattfand und das es wert ist, sich mit dem Begriff „Demokratie“ zu beschäftigen. Es wird verschiedene Premieren geben und Podiumsdiskussionen mit nationalen und internationalen Gästen.

Wir machen keine Nabelschau im kleinen Weimar, die Ausschau auf diese Weimarer Verfassung ist eine internationale. Dann gibt es für Kinder, Schüler und Jugendliche auch vielfältige Beteiligungsformate. Am 6. Februar wird es zudem einen großen Festakt mit der kompletten Bundesregierung geben.

 

Sie sind in unterschiedlichen Systemen zur Schule gegangen. Wie sind Sie das erste Mal auf das Thema Bauhaus gestoßen?

Bodo Ramelow: Bei mir ist das ganz einfach: Ich bin in Osterholz-Scharmbeck geboren und neben Worpswede mit der Käseglocke und den von Bauhaus tendierten Bauwerken groß geworden. Mich prägte zudem Heinrich Vogler, der als Jugendstilkünstler in der Kaiserzeit die schöne heile Welt darstellte, der dann durch den Krieg in eine Krise stürzte und später in der Sowjetunion mit Komplexbildern begann. Dieses künstlerische Schaffen war für mich der Schlüssel zu diesem Weimar, das ich als Kind nur aus dem Unterricht kannte.

Hasko Weber: Ich weiß noch, dass ich im Abitur einen sehr guten Deutschlehrer hatte, der uns mit der ästhetischen Auffassung des Bauhauses vertraut gemacht hat. Das Bauhaus ist in der DDR aber eher zurückhaltend präsentiert worden.

 

Thüringen hat viele Bauhaus-Stätten. Haben Sie ein Lieblings-Gebäude?

Hasko Weber: Nein, da möchte ich keines hervorheben.

Bodo Ramelow: Einer meiner Favoriten ist das ehemalige „Haus des Volkes“ in Probstzella. Das Gebäude ist toll und die Geschichte dazu überaus spannend. Das war für mich so ein „Aha“-Erlebnis – mitten im Schiefergebirge hinter der Hohen Warte auf ein solches Gebäude zu treffen. Das erwartet man dort nicht.

 

Besitzen Sie ein Designstück oder eine Replik eines Bauhäuslers?

Hasko Weber: Nein.

Bodo Ramelow: Ich habe schon sehr lange eine Wagenfeld-Teekanne.

 

Was können aktuelle Politik und Kunst für Lehren aus der Weimarer Republik und dem Bauhaus ziehen?

Bodo Ramelow: Für mich ist es nach wie vor der Aufbruch in eine neue Zeit, verbunden mit der Forderung, sie selbst zu gestalten und nicht gestalten zu lassen. Wir müssen neugierig sein auf das, was kommt. Wir dürfen uns davon nicht erschrecken lassen, sondern müssen lernen, damit umzugehen.

Hasko Weber: Die Kunst darf niemals den Bezug zur Gesellschaft verlieren. Gleichzeitig muss die Gesellschaft Kunst wertschätzen, denn sie ist dazu berufen, die demokratischen Verhältnisse immer widerzuspiegeln, anzuregen, voranzubringen. Dabei müssen wir uns austauschen, wie sich das gesamtgesellschaftliche Verständnis kulturellen Einrichtungen gegenüber verändert hat, auch im überschaubaren kommunalen politischen Raum. Man kann alles in Frage stellen, man kann aber auch sagen: Wir wollen das! Wir 400 Künstler und Mitarbeiter am DNT wollen jedes Jahr mit 800 Veranstaltungen in die Gesellschaft senden. Das ist unsere Aufgabe.

 

Herr Ramelow, Herr Weber, vielen Dank für das Gespräch.

TOP Service:

www.weimarer-republik.net

www.bauhaus.thueringen-entdecken.de

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus