„Das glaubt uns kein Mensch.“

Es sollte eine schöne, ruhige, unterhaltsame Reise mit den zwei besten Freundinnen werden. Nach Weimar, in die Klassikerstadt. Hier wollte Regina Hofmann am 6. Februar ihren 64. Geburtstag feiern. Dass aber an diesem 6. Februar 2019 in Weimar noch ein anderer, ein geradezu historischer Geburtstag gefeiert wurde, das wussten die drei Damen aus Offenburg bei ihrer Anreise nicht. Noch nicht.

Irgendetwas war anders an diesem Morgen. Das spürten sie. Dabei hatte dieser Mittwochmorgen für Regina Hofmann sowie ihre beiden Freundinnen Ruth Friedrich und Ellen Buchta aus Offenburg, die für einen viertägigen Kurzurlaub in die Klassikerstadt gekommen waren, so begonnen, wie die zwei Tage zuvor auch: Mit einem ausgiebigen Frühstück im Grand Hotel Russischer Hof zu Weimar. Das hektische Treiben allen Ortes konnte aber keineswegs nur daran liegen, dass Regina Hoffmann just an diesem 6. Februar ihren 64. Geburtstag feierte, was auch der Anlass der Reise war. Das Geburtstagskind samt Hund Maxi, einer 13-jährigen spanischen Mischung aus Terrier, Dackel und Pinscher, und ihre Freundinnen ahnten zwar etwas, als man ihnen am Vorabend sagte, dass das Frühstück an eben besagten 6. Februar bitte bis spätestens um 9.15 Uhr einzunehmen sei, und nicht bis 10.30 Uhr wie üblich. Auf Nachfrage druckste das Personal herum, es würde eine Veranstaltung stattfinden. Mehr könne man aber nicht sagen. Und das Kaffeehaus bleibe gänzlich geschlossen. Merkwürdig dachte sich das Trio aus Baden-Württemberg. Das Gefühl verdichtete sich, als die Damen nach dem Frühstück die Lobby betraten und sahen, wie emsige Hände einen Tisch mit zwei Stühlen aufstellten und vor das Eingangsportal einen roten Teppich legten. Als sie daraufhin auch noch aus den Fenstern blickend hinter Absperrbändern eine große Menschenansammlung, Polizisten und Männer mit Ohrstöpseln sahen, wussten sie, das ist heute kein normaler Geburtstag. Sie mischten sich unter das Volk, nur Maxi musste vorher aufs Zimmer. Das war zu aufregend für die alte Dame.

 

Dann wurde es plötzlich unruhig, alle begannen ihre Hälse nach oben zu recken. „Das ist doch der Ramelow“, sagte einer. Kurze Zeit drauf meinte ein anderer: „Das ist doch der Steinmeier.“ Jetzt befürchteten die drei Damen aus dem Ländle, das es gleich losgehe mit den Schmährufen der aufmüpfigen Ostdeutschen  – wie beim letzten Tag der Deutschen Einheit in Dresden –  gegen den linken Ministerpräsidenten und dem Staatsoberhaupt. Aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil. Die da oben, wie sie gern genannt werden, wurden mit herzlichem Beifall empfangen. Der Herr Bundespräsident ruft ihnen zu: „Danke für das schöne Wetter.“ Eine Frau aus der Menge erwidert: „Schön, dass Sie da sind.“ Nach dem Bad in der Menge gingen beide Politiker in das Hotel. Die drei Damen mit gebührenden Sicherheitsabstand hinterher. An der Rezeption erfuhren sie dann auch endlich, was es mit dem Besuch auf sich hatte. Die honorigen Herren trafen sich in einem Veranstaltungsraum mit Vertretern des Weimarer Vereins für Demokratie. Denn diese wurde exakt vor einhundert Jahren hier in Weimar das erste Mal in Deutschland versucht. Mit der Konstituierung der verfassungsgebenden Nationalversammlung. Das wussten die Freundinnen nicht. Umso mehr freuten sie sich, so nah dran zu sein am Geschehen.

Sie wussten aber, wenn die Herren hier reingegangen sind, müssen sie auch irgendwann wieder rausgehen. Also platzierten sie sich in der Lobby und warteten. Wie es das Volk draußen auch tat. Und während sie Cappuccino tranken, ließen sie ihren bisherigen Weimar-Aufenthalt Revue passieren. Am gestrigen Dienstag machten sie einen zweieinhalbstündigen Stadtrundgang, der sie nachhaltig beeindruckte. „Diese geballte, vielfältige Kultur, die kleinen Läden und natürlich das Thüringer Essen. Wunderschön!“ So etwas hätten sie bisher noch nie gesehen, sagen sie unisono. Maxi nickt.

 

Und während sich die drei Damen Gedanken darüber machen, was sie sich nachher noch alles ansehen möchten, kommt Bewegung in die Lobby. „Hallo!“, rufen plötzlich eine adrett gekleidete Frau und ein weißhaariger Mann winkend hinüber in die Damenrunde am Fenster. Es sind Elke Büdenbender und ihr Mann Frank-Walter Steinmeier, die sich gerade an dem extra aufgestellten Tisch in das Gästebuch des Hotels eintragen. Jetzt wird es Regina Hofmann, die freudestrahlend zurück winkt, zu viel. Sie schüttelt nur noch den Kopf. „Das ist ja so toll“, sagt sie: „Das glaubt uns doch Zuhause kein Mensch. Für mich war das jedenfalls ein ganz besonderer Geburtstag, den ich nie vergessen werde.“

 

Der rote Teppich ist eingerollt, der Tisch und die beiden Stühle abtransportiert. Jetzt wollen die drei Damen aber schnellstens raus aus dem Hotel, noch etwas von Weimar sehen bei dem herrlichen Kaiser-Wetter, auch wenn Deutschland ja seit 100 Jahren keinen Kaiser mehr hat, der musste nämlich im Zuge der Novemberrevolution 1918 abdanken und schmollte danach im holländischen Exil, während 1919 in Weimar die Geburtsstunde der ersten deutschen Republik schlug.

 

Frank-Walter Steinmeier konnte sich an diesem historischen Tag leider nicht an dem schönen Wetter erfreuen und einen ausgiebigen Spaziergang durch die Klassikerstadt machen. Vielmehr hatte er zahlreiche Termine zu absolvieren. Und am späten Nachmittag hielt er – zur gleichen Zeit wie einst Regierungschef Friedrich Ebert vor einhundert Jahren – im Nationaltheater vor den Spitzen der Verfassungsorgane des Bundes sowie Bürgerinnen und Bürger aus allen Bereichen der Gesellschaft eine flammende Rede an die Republik. Und ihre Feinde.

www.weimarer-republik.net

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: René-T. Kusche