Ein Teil der Natur

Das Angeln hat in Thüringen aufgrund seiner fischreichen Bäche, Flüsse und Seen eine lange Tradition. Schon Johann Wolfgang von Goethe stellte im Stadtpark von Weimar den Forellen nach. Heute bieten die vielfältigen Angelmöglichkeiten Anglern und Naturinteressierten aus aller Welt abwechslungsreiche Erholungsmöglichkeiten und einzigartige Naturerlebnisse.

Diese sind es vor allem, die Tobias Steinbrück aus Dachwig immer wieder hinausziehen lassen. In die Natur. An das Wasser.

TOP THÜRINGERN traf den 35-Jährigen Hobbyangler an einem Thüringer See.    

Es ist kurz nach neun Uhr. Tobias Steinbrück zeigt aufgeregt auf die Wasseroberfläche. In knapp einhundert Meter Entfernung hat ein Fisch angebissen. Und versucht sich loszuziehen. „Schnur läuft von der Rolle“, heißt das im Angler-Jargon. Jetzt muss der Dachwiger den Fisch vorsichtig stoppen. Mit viel Gefühl, damit die Schnur nicht reißt, denn eigentlich ist der Fisch stärker als die 0,28 Millimeter dicke Fluorocarbon- Schnur, die lediglich eine Tragkraft von 4,5 Kilogramm aufweist. Zudem angelt der Dachwiger ohne Widerhaken. Also gibt Tobias Steinbrück Schnur, schnell ist der Fisch 150 Meter vom Ufer entfernt, die Reserveschnur reicht 300 Meter. Mit dem Boot rausfahren geht bei dem starken Wind nicht. „Jetzt muss ich den richtigen Moment abpassen, wenn der Fisch eine Verschnaufpause macht“, erklärt der Angel-Profi, „dann kann ich ihn vorsichtig ran ziehen.

Gesagt getan. Eine halbe Stunde später hat Tobias Steinbrück zwei kapitale, golden funkelnde Schuppenkarpfen, einen langen 20 Kilogramm schweren und einen kurzen dicken mit 18 Kilogramm, im Köcher. „Ein Drittel meiner größten Fische habe ich zwischen neun Uhr und mittags geangelt. Die kleineren sind eher zur blauen Stunde aktiv.“

An diesem Morgen im Mai herrschen perfekte Bedingungen, als Tobias Steinbrück sein Lager am Seeufer aufschlägt. Durch den Sturm der vergangenen Tage kam es zu einer Sauerstoffanreicherung, das Wasser wurde regelrecht umgewälzt und hat sich eingetrübt. „Diese Bedingungen sorgen bei den Fischen für einen regelrechten Fressrausch“, erklärt der Dachwiger. Dann sind sie aktiv, ansonsten ruhen sie meistens. Zwei Tage wird er noch draußen bleiben, im Jahr sind es an die 50 – ausgerüstet mit Zelt, Schlafsack, Liege, Wetterschutz und Zeltheizung im Winter. Hier fühlt sich der 35-jährige Krankenpfleger am wohlsten. „Wenn ich etwas fange, ist es schön. Mir geht es aber hauptsächlich darum, dass ich in der Natur bin. Hier erlebe ich, wie die Zugvögel im Frühjahr zurückkommen, wie sie sich paaren, Nester bauen, brüten, wie die jungen Vögel schlüpfen und groß werden. Ich fühle mich als Teil der Natur.“

Schon mit vier Jahren nehmen ihn Vater und Opa, beide passionierte Jäger, mit hinaus in Feld und Flur rund um Herbsleben und Dachwig. Enten, Wildschweine, Rehe, Fasanen. Tobias Steinbrück zieht es aber schnell an die Teiche, zu den Anglern. „Das Verborgene unter der Wasseroberfläche, das hat mich mehr gereizt, als das, was ich sehen konnte“, erinnerte er sich. Mit zwölf Jahren angelt er in den Sommerferien heimlich mit einem Kumpel am Dachwiger Stausee. Mit Erlaubnis der Eltern. Und mit der Angelausrüstung des Nachbarn. Und mit Würmern als Köder aus dem Hühnergarten. Mächtig stolz sei er gewesen, als der erste Aal angebissen hat. Nicht so stolz war er, als er eines Nachts von einem Kontrolleur beim Schwarzangeln erwischt wird. Daraufhin meldet er sich beim Sportfischerverein Herbsleben an und macht seinen Fischereischein. Von nun an geht er regelmäßig angeln, am liebsten an den Speichern in Dachwig und Orlishausen, den Saale-Kaskaden mit der Bleichlochtalsperre, am Stausee Wangenheim, an der Unstrut, an Teichen und an Kiesgruben.

Seit einigen Jahren zieht es den erfahrenen Angler aber auch hinaus in international bekannte Gewässer in England, Frankreich, Norwegen und Italien. Dort gibt es riesige Gewässersysteme mit Seen und Flüssen, unüberschaubar groß. Dort ist man den Naturgewalten ausgesetzt. „Es ist schon etwas anderes, wenn ein Lüftchen am Dachwiger Stausee weht oder ein Sturm an einem Fjörd in Norwegen“. In England und Frankreich haben die größten Fische sogar Namen, sie sind dort in der Szene echte Berühmtheiten und dürfen nur ohne Widerhaken geangelt werden. Zudem sind sehr scheu und werden nur ganz selten gefangen. Einer davon heißt „Gordon“, ein 16 Jahre alter und 32,7 Kilogramm schwerer Spiegelkarpfen. Er lebt in einem See der Echo Pool-Region bei Limouges. Drei Jahre lang wartete Tobias Steinbrück auf die Genehmigung, um dort angeln zu dürfen. Im vergangenen Juni war es soweit. Als einziger Festlandangler durfte der Dachwiger, der sich in der Szene einen Namen gemacht hat und unter anderem die Firma der Angel-Ikone Kevin Nash berät, in den heiligen französischen Gewässern fischen. Und er fing tatsächlich „Gordon“, ein größerer Fisch ging ihm bisher nicht ins Netz. Und verließ es auch wieder, denn in England und Frankreich ist es an diesen besonderen Gewässern Pflicht, die Fische wieder zurückzusetzen. Schließlich sind sie „unser Stolz“, wie es die britische Seebesitzerin Natasha Walker dem Thüringer erklärte.

In Deutschland ist das Zurücksetzen der Fische dagegen verboten. Deshalb ist das Angeln in heimischen Gefilden für Tobias Steinbrück auch ein Nahrungszuerwerb. Zander isst er am liebsten, eigentlich auch Aal, doch diesen hat er aus ethischen Gründen von seiner Speisekarte gestrichen. Die Aal-Bestände gehen nämlich immer weiter zurück. Ähnlich ergeht es auch den Forellen in der Gera in Erfurt und im ganzen Freistaat. Denn der Kormoran fischt alles leer. „Wenn wir als Landesangelverband Thüringen nicht immer wieder Fische aussetzen und schützen würden, hätten wir fischleere Gewässer“, weiß Tobias Steinbrück, der immer auch ein Desinfektionsspray dabei hat, um verletzte Fische zu versorgen. Weil sie ansonsten schnell krank, andere Fische anstecken und jämmerlich zu Grunde gehen würden.

Den knapp 16.000 Mitgliedern des Landesangelverband Thüringen e.V. geht es eben nicht nur um das Angeln, sondern um die Natur an sich. So veranstaltet der Verband regelmäßig an den Erfurter Kiesgruben Arbeitseinsätze, um Müll zu entsorgen, Pflanzen Schilf, Bäume und Büsche zu pflanzen und Vogel-Nistkästen anzubringen. Dadurch entsteht aus einem öden Kiesloch ein guter Lebensraum, ein Biotop für die Tierwelt.

Das Steckenpferd von Tobias Steinbrück ist die ehrenamtliche Jugendarbeit im Verband: „Ich sehe die Jugendlichen lieber an einem Gewässer sitzen und angeln, als an einer Spielkonsole. Wir wollen die jungen Menschen in unserer heutigen schnelllebigen Zeit wieder an die Natur heranführen. Und Fischen ist weit mehr, als die Angel ins Wasser zuwerfen und zu warten. Das ist eine Wissenschaft. Um die Jugendlichen für das Angeln zu begeistern, organisiert der Verband zum Beispiel seit zehn Jahren zusammen mit dem Herbsleber Verein an einem Sommerwochenende ein Jugendlager mit bis zu 300 Teilnehmern.

Dafür ist Askjell mit seinen vier Jahren noch etwas zu klein. Aber ansonsten teilt er schon die Leidenschaft des Vaters. Wie die ganze Familie. So gibt es bei den Steinbrücks keinen Urlaub ohne Wasser. Und dieses Jahr darf Askjell auch zum ersten Mal mit auf Papas Touren, inklusive übernachten im Zelt. Petri Heil.

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Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus