„Die Last auf meinen Schultern war unerträglich.“

Innerhalb von vier Stunden waren sämtliche Eintrittskarten verkauft! Und die 225 Gäste wurden während des Vier-Gänge-Menüs wahrlich nicht enttäuscht: Sie erzählte, sie lachte, sie sächselte, sie neckte, sie kokettierte, sie beichtete, sie postete. Den Moderator ließ sie dabei kaum zu Wort kommen… Aber das sei nun mal bei Frauen so, erklärte sie schmunzelnd. 

30 Jahre nach ihrer legendären Gold-Carmen-Eiskunstlauf-Kür bei den Olympischen Winterspielen in Calgary war Katarina Witt Gast beim 56. „Ein Abend mit…“ im Gothaer Hotel „Der Lindenhof“. TOP war dabei. 

Strahlend schön wie eh und jäh steht sie auf der Bühne und genießt den Applaus. Sie sei ja so aufgeregt gewesen, „ob überhaupt jemand kommt“, berichtet die 52-Jährige dem Gothaer Publikum zur Eröffnung von „Ein Abend mit…“ im Hotel Der Lindenhof. Ihre Angst, im leeren Cranach-Saal des Hauses zu stehen, erwies sich natürlich als vollkommen unbegründet. In der Rekordzeit von vier Stunden war die Veranstaltung ausverkauft. Kein Wunder bei der Vita von Katarina Witt: Sie ist zweifache Eiskunstlauf-Olympiasiegerin, vierfache Weltmeisterin und sechsfache Europameisterin, um nur die größten Erfolge zu nennen. Spätestens nach ihrer legendären Gold-Carmen-Kür bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary avancierte die damals 22-Jährige zum Weltstar. Die Amerikaner nannten sie „das schönste Gesicht des Sozialismus“. Nach dem Mauerfall tourte sie mit verschiedenen Eis-Shows, die sie zum Teil selbst konzipierte, durch die Welt. Das Magazin People wählte sie zwei Mal (1991, 1992) unter die 50 schönsten Menschen der Welt. „Ihre“ Playboy-Ausgabe von 1998 war weltweit ausverkauft. Das schaffte nur noch Marilyn Monroe – wohlgemerkt bei der Playboy-Premiere im Jahr 1953. Als Schauspielerin spielte Katarina Witt unter anderem mit Robert de Niro, für ihre Hauptrolle in „Carmen on Ice“ erhielt sie den Emmy. 2008 beendete Katarina Witt ihre Profikarriere. Seitdem agiert sie als Unternehmerin, TV-Expertin, Markenbotschafterin, Stiftungsgründerin und vor allem als: Katarina Witt, wie sie einmal selbst sagte.

Aber wie wurde aus Katarina Witt ein Weltstar? Das erfuhren die Gäste zwischen gebeiztem Lachsfilet, einer Waldpilzcremesuppe, Geschmorten vom Rind und Blaubeeren-Tarte an diesem Abend in Gotha.

 

Die ersten Schritte auf dem Eis

„Geboren wurde ich in Staaken bei Berlin, aufgewachsen bin ich in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Mein großes Glück war, dass der Kindergarten ganz in der Nähe der Eishalle war. Mit fünf Jahren habe ich mal reingeschaut und den Eiskunstläufern beim Training zugesehen. Obwohl es kalt und neblig war, hat mich irgendetwas fasziniert. Bis heute weiß ich nicht genau was. Nach langem Bitten und Betteln ging meine Mutti dann mit mir zum Sichtungstraining. Ich hatte Straßensachen an und sie sagte zu mir, ich solle nicht so oft hinfallen, damit die Sachen nicht so nass werden. Nach meinen ersten Schritten auf dem Eis fragte sie den Trainer, ob das denn mit mir und dem Eiskunstlaufen überhaupt Sinn machen würde. „Ja, ja, ich kann zwar nicht versprechen, dass sie einmal Weltmeisterin wird, aber bringen Sie sie auf jeden Fall wieder vorbei.“ Leider hat Herr Weiße nicht mehr erlebt, wie ich später Weltmeisterin und Olympiasiegerin wurde.“

 

Der Leistungssport

„Ich würde heute alles wieder genauso machen, mir hat nichts gefehlt. Mich hat auch niemand gezwungen, Leistungssport zu machen. Für mich hatte ich eine normale Kindheit. In der dritten Klasse bin ich auf die Kinder- und Jugendsportschule gewechselt, ab der sechsten Klasse bekam ich Einzelunterricht. Vier bis sieben Stunden Training am Tag, an den Wochenenden Wettkampfreisen. Der Schulstundenplan richtete sich nach dem Trainingsplan, leider ist das heute nicht mehr so. Natürlich war es schwer für mich, Freundschaften einzugehen und zu pflegen, wenn man so eingespannt war. Heute habe ich Freunde aus ganz vielen Bereichen und sie stehen zusammen mit meiner Familie im Mittelpunkt. Während meiner Eiskunstlauf-Karriere war es der Sport. Ich habe auch nie darüber nachgedacht, was ich denn machen würde, wenn ich zum Beispiel aufgrund einer Verletzung mit dem Eiskunstlaufen hätte aufhören müssen. Ich hatte keinen Plan B.“

 

Der Druck

„Natürlich wurde man „aussortiert“, wenn man nicht die geforderten Ergebnisse gebracht hat. Aber das empfand ich als fair, wenn man frühzeitig gesagt bekommt, dass es für die Weltspitze nicht reichen würde. Ich durfte bleiben. Es gab in der DDR nicht so einen großen Star-Rummel, keinen medialen Druck, dem die Top-Athleten heute ausgesetzt sind. Man konnte sich ungestört entwickeln. Auf dem Eis war der Druck dagegen immer da, besonders bei Olympischen Spielen. Das war schon unerträglich, was auf meinen Schultern lastete. So richtig reflektiert habe ich das aber erst im Nachhinein. Damals war ich jung und naiv, mein Selbstvertrauen hat mich gerettet. Und war der Druck am größten, war ich sowieso am stärksten.“

 

Die Egoistin

„Als Sportler muss man egoistisch sein, man kann es nicht jedem Recht machen. Ansonsten kommt man nicht in die absolute Weltspitze. Natürlich wollte ich auch im Mittelpunkt stehen.

Man darf im Wettkampf keine Rücksicht auf die anderen nehmen und denken: Wenn ich heute gewinne, geht es den anderen aber schlecht. Deshalb sind Freundschaften auch nahezu unmöglich, auch wenn wir uns respektiert haben. Einmal habe ich einer Konkurrentin Pralinen geschenkt, damit sie zunimmt und dann in der Saison nicht mehr so gut ist (lacht).

 

Die Privilegien

„In der DDR konnte ich meinen Sport kostenlos ausüben. Deshalb bin ich auch für die Werktätigen gelaufen, weil sie mir das ermöglicht haben. Dafür musste man sich aber mit Leistungen revanchieren.

Für uns DDR-Sportler war das Reisen die größte Motivation und ja, auch ein Privileg. Leider hat mir aber vorher niemand gesagt, dass ich neben Flughafen, Hotel und Eishalle nicht viel sehen werde. Bei meinen zahlreichen Aufenthalten im Westen habe ich nie darüber nachgedacht, dort zu bleiben.“

Das Eiskunstlaufen

„Für mich ist Eiskunstlaufen die schönste Sportart überhaupt. Das Wort Kunst steckt ja schon drin. Es ist ein Mix aus Musik, Choreografie, Athletik, Turnen, Gymnastik und Technik. Ich war zutiefst beeindruckt von den Leistungen bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang und bei den Weltmeisterschaften in Mailand, besonders natürlich von unseren Olympiasiegern und Weltmeistern Aljona Savchenko und Bruno Massot. Unsere Sportart wird immer athletischer mit den vielen Sprüngen. Ich wollte auf dem Eis immer, dass die Zuschauer spüren, dass ich einen Charakter darstelle, eine Geschichte erzähle und nicht nur von Sprung zu Sprung eile. Ich war die erste, die das mit der Maria aus der West Side-Story und mit Carmen gemacht hat. Und natürlich habe ich auch mit dem Publikum und den Preisrichtern geflirtet. Das gehörte dazu. “

 

Die Schlacht der Carmens

„Ich hatte mächtig Fracksausen, als ich vor der Olympia-Saison `88 hörte, dass meine große Konkurrentin Debi Thomas auch zur Musik von Bizets Carmen laufen wird. Sie nahm sich sogar einen russischen Star-Ballett-Trainer. Daraufhin bin ich in die Staatsoper gegangen und habe dort noch intensiver Ballett und Tanz trainiert. Zu den Olympischen Spielen in Calgary machten die Medien aus unserem Duell die „Battle oft the Carmens“, für sie war es die Schlacht zwischen Ost und West. Das fand ich nicht schön, aber es brachte natürlich viel Aufmerksamkeit. Ich lief die entscheidende Kür vor Debi Thomas. Beim Anlauf zum dreifachen Rittberger war ich mir plötzlich unsicher und sprang ihn nur zweifach. Damit hatte ich die Tür zur Goldmedaille für Debi Thomas aufgemacht. Ich sah dann aber, dass das Hände-Abklatschen zwischen Debi und ihrem Trainer vor ihrer Kür nicht richtig funktionierte. Da wusste ich, sie hat noch mehr Fracksausen als ich. Sie machte dann auch vier Fehler und ich dachte, dass ich Gold sicher hätte. Als letzte lief die Kanadierin Elizabeth Manley eine unglaubliche Kür ohne Fehler. Nach ihrer Wertung brach plötzlich ein riesiger Beifallssturm in der Halle los. Sollte sie die lachende Dritte sein, dachte ich. Dann blickte ich schnell auf die Anzeigentafel und sah meinen Namen ganz oben stehen. Die Kanadier feierten so lautstark, weil ihre Landsfrau den zweiten Platz erreichte.“

 

Der Fall der Mauer

„Ich war an diesem 9. November 1989 in Sevilla zu Dreharbeiten von „Carmen on Ice“. Es war ein Nachtdreh, gegen drei Uhr in der Früh unterbrach plötzlich der Produzent die Aufnahmen und sagte: Die Mauer ist gefallen. Natürlich hatte ich die Monate zuvor mitbekommen, was in der DDR los war, aber das die Mauer so schnell fallen würde, damit hatte niemand gerechnet. Gegen sechs Uhr war ich im Hotel und schaltete den Fernseher ein. Am liebsten wäre ich sofort nach Hause geflogen, aber das ging natürlich nicht. Das Begrüßungsgeld habe ich mir später nicht abgeholt, das war mir etwas peinlich.“

 

Der Deal     

„Nach meinem zweiten Olympiasieg 1988 in Calgary hatte ich keine Motivation mehr, ich hatte ja alles erreicht. Ich wusste, dass ich am Saisonende aufhören würde. Mit 22 Jahren war ich zwar noch sehr jung, aber ich stand auch schon 17 Jahre auf dem Eis. Für mich war klar, dass ich nach meinem Karriereende Eis-Shows in Amerika laufen wollte. Einen anderen Plan hatte ich nicht. Das sagte ich auch Manfred Ewald, dem damaligen Chef des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB). Er sagte zu mir: ‚Bring aus Calgary Gold mit, dann darfst du bei den Shows laufen’. Sie dachten insgeheim, wir lassen sie jetzt mal mitlaufen in Amerika, die kommt nach einem Jahr sowieso wieder. Aber dann fiel die Mauer und ich bin noch 20 Jahre Shows auf der ganzen Welt gelaufen. Das hätte ich mir vorher nie erträumt. Im Februar und März 2008 habe ich dann nach 37 Jahren das Kapitel Eiskunstlaufen mit einer großen Abschieds-Tournee in Deutschland abgeschlossen. Das waren mit meine emotionalsten Auftritte“.

 

Amerika

Die Amerikaner verliebten sich anfangs in mich, weil ich der Schauspielerin Brooke Schields ähnlich sah. Ein Amerikaner sagte einmal: ‚Wenn das das schönste Gesicht des Sozialismus ist, habe ich nichts dagegen, wenn Amerika sozialistisch wird.’“

 

Der Ruhm

„Medaillen besitzen für mich keinen materiellen Wert, ihr immaterieller Wert ist dagegen unbezahlbar. Meine olympischen Goldmedaillen von Sarajevo und Calgary und die von meinem vierten Weltmeistertitel aus Budapest liegen in einer Vitrine. Alle anderen habe ich in eine Sporttasche gepackt. Wo ist die eigentlich? Das Schönste für mich war immer, die magischen Momente auf dem Eis mit den Zuschauern in der Halle und den Millionen Zuschauern vor den Bildschirmen teilen zu dürfen. Bis heute sprechen mich immer wieder Menschen an, wie sie zum Beispiel die Carmen-Kür erlebt haben und was sie ihnen bedeutet. Diese Erinnerungen kommen immer wieder hoch, wenn ich wie jetzt hier, die Bilder von der Kür auf der Leinwand sehe.“

 

Katarina Witt stellt die Schlussszene der Kür nach und legt sich auf die Bühne. „Das ist alles, was ich noch kann von der Kür, mich hinlegen.“ (lacht)

Die Gäste erheben sich und applaudieren ihrem Star. Sie spüren, dass dieser Abend für Katarina Witt keine Pflicht war. Sondern eine Kür. Mit Bestnote!

 

TOP Service:

www.der-lindenhof-gotha.de

www.katarina-witt.de

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus