„Ich weiß, wo mein Platz ist.“

Dezember 2014. Die Arena im Plenum des Thüringer Landtages ist voll besetzt. Das Spiel geht in die Verlängerung, erst im zweiten Wahlgang fällt die Entscheidung für den Abgeordneten Bodo Ramelow. Seitdem ist der 61jährige Ministerpräsident des Freistaates Thüringen und damit erster linker Regierungschef in Deutschland. Seine Koalition trägt die Farben rot-rot-grün, seinerzeit ebenfalls ein politisches Novum. Zweieinhalb Jahre später ist Halbzeit. TOP THÜRINGEN sprach in der Pause im Steigerwaldstadion mit Bodo Ramelow über den Halbzeitstand, über Grätschen, Transfermarktgerüchte und einen Fußball-Vater, der lieber das Bier holt.

Herr Ministerpräsident, herzlich willkommen in der Halbzeitkabine! Der Halbzeitstand findet sich im letzten ThüringenTREND, in dem 48 Prozent der Thüringer mit der Regierungsarbeit zufrieden und 47 Prozent unzufrieden sind. Steht es Unentschieden?

Ja, wenn man den Zahlen Glauben schenkt, ist es eine Pari-Pari-Situation. Demokratie lebt davon, dass Staatsbürger insbesondere bei Wahlen Entscheidungen treffen. Deswegen muss man mit Zwischenergebnissen immer achtsam umgehen. Wir sind aus einer Außenseiterposition gestartet und haben uns ins Mittelfeld hochgespielt. Insofern ist das ein guter Wert.

 

Das heißt, Sie sind mit der Mannschaftsleistung zufrieden?

Wenn man bedenkt, dass wir keine Zeit zum Trainieren hatten und unser Team nicht nur aus Vollprofis besteht, ist die Mannschaftsleistung exzellent. Wir haben nicht behauptet, dass wir in der Champions League mitspielen können. Wir haben immer gesagt, dass wir ein Spiel spielen, dass bisher noch keiner versucht und sich zugetraut hat. Ein homogenes Team aus drei unterschiedlichen Mannschaften mit durchaus verschiedenen Spielkulturen zu bilden, ist nicht ganz einfach. Wir sind aber auf dem Weg, eine eingespielte Mannschaft zu werden.

 

Die sich aber auch schon die eine oder andere unnötige gelbe Karte eingehandelt hat und ins Abseits gelaufen ist. Wie haben Sie unnötige Fehler erlebt?

Wer arbeitet, macht auch Fehler. In der Kommunikation der vorgeblichen Lauinger-Affäre war es sicherlich nicht klug, dass der Vater Lauinger eine Pressekonferenz gegeben hat. Den Minister Lauinger achte ich sehr. Er hat  als Integrationsminister mit seinem Team eine wirklich gute Arbeit geleistet. Und dass sich ein Vater um seinen Sohn kümmert, halte ich auch für richtig. Aber man muss eine saubere Trennung hinbekommen, sodass nicht mal der Hauch eines Eindrucks entsteht, dass wir unsere Regierungsposition zur Vorteilsnahme benutzen. Dieser Eindruck musste aber leider durch eine Empfindung des Vaters Lauinger entstehen. Wir hätten die Aufklärung den zuständigen Stellen überlassen sollen. Ich bedauere sehr, dass das alles auf dem Rücken des Sohnes von Herrn Lauinger stattfindet, der mit unserer Regierung nun gar nichts zu tun hat.

 

Als Ministerpräsident sind Sie Kapitän und Mittelstürmer. Trotzdem haben Sie in der ersten Hälfte eher ruhig agiert. Hat Sie die Würde des Amtes besonnener werden lassen?

Die Rolle eines Oppositionsführers und Wahlkämpfers ist durchaus eine andere. Als Ministerpräsident habe ich insbesondere eine Repräsentationsverpflichtung. Ich sehe mich als Werbeträger für dieses Bundesland und bin eben deutlich mehr als nur der Chef im Kabinett. Da spiele ich eher Libero und habe die Richtlinienkompetenz. Natürlich untersetze ich diese Kompetenz argumentativ, stelle sie aber nie als formale Drohung in den Raum. Das wäre destruktiv. Mit gefällt es, Thüringer Stärken nach außen zu präsentieren und damit den Freistaat im Konzert der 16 Bundesländer noch besser zu positionieren.

 

Weil Ihre Mannschaftsaufstellung aus drei unterschiedlichen Teams ein Exportschlager werden könnte?

Als wir uns in dieser Dreierkonstellation aufgemacht haben, Politik zu gestalten, hat uns keiner zugetraut, dass wir das schaffen. Weil das bis dahin in Deutschland als undenkbar galt. Jetzt ist Halbzeit. Bei unserer 100. Kabinettssitzung ist mir bewusst geworden, dass Leute auf unser Scheitern in den ersten 100 Tagen gewettet haben. Es ist nicht nur viel Zeit vergangen, wir haben in dieser Zeit auch viele Entscheidungen getroffen, die schon als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden.

 

Zum Beispiel?

Das beitragsfreie Kita-Jahr kommt jetzt, wir haben deutlich mehr Lehrer und Polizisten eingestellt. Die Verbeamtung von Lehrern wird wieder aufgenommen, obwohl die Personalkosten des Freistaates Thüringen die höchsten in ganz Deutschland sind. Wir haben eben auch ein Erbe übernommen, bei dem leider jahrelang keine Hausaufgaben gemacht worden sind. Wir wollen jetzt die Verjüngung in den Lehrerzimmern und Polizeistationen hinbekommen, das kostet aber richtig viel Geld. Man hat uns ja attestiert, dass wir mit Geld nicht umgehen können. Jetzt sind wir das Kabinett, das die höchsten Überschüsse erzielt hat – und zwar durch eine strikte Haushaltsführung.

 

Sie haben den prognostizierten vorzeitigen Abstieg angesprochen. Wie viel persönliche Kraft hat denn die erste Halbzeit gekostet?

Die Erfüllung dieser Aufgabe kostet natürlich persönliche Kraft. Wenn man die nicht bereit ist zu investieren, sollte man so ein Amt nicht anstreben. Wenn man eine Ministerpräsidentschaft ausfüllen will, muss man sie auch annehmen. Man muss auch weniger schöne Dinge wegstecken, zum Beispiel das Beschmieren von Häuserwänden mit Schmähschriften. Ober wenn ich in sozialen Netzwerken meine Adresse lese mit dem Aufruf, mich zu besuchen. Oder wenn ich höre, dass Versicherungen die Brandschutzpolice von Wahlkreisbüros unserer Partei kündigen. Das sind Alarmzeichen, bei denen wir aufpassen müssen, dass das Klima in unserem Land und das Klima der Demokratie nicht von Schreihälsen und Gewalttätern kaputt gemacht werden. Demokratie lebt vom Engagement der Leute. Ich erlebe ja auch, was manch ein Bürgermeister, Gemeinderat oder engagierter Bürger wegstecken muss. Oder wenn beispielsweise ein Unternehmer Hass-Mails bekommt, weil er Flüchtlingen Praktikums- bzw. Arbeitsplätze ermöglicht, ist das ein Hinweis darauf, dass wir mitten in einer unsicheren Zeit stehen.

 

Wie wollen Sie gegen diesen Hass gewinnen?

Wir müssen lernen, laut über unsere Erfolge zu reden. Thüringen war wirtschaftlich noch nie so stark wie heute. Als ehemaliger Gewerkschaftler hätte ich es mir vor 25 Jahren nicht träumen lassen, dass wir heute eine Arbeitslosigkeit haben, die im Mittelfeld der Bundesrepublik Deutschland liegt. Gestartet sind wir im Katastrophenmodus mit 25 bis 30 Prozent Arbeitslosigkeit. Heute sind es 6,6 Prozent – mit Tendenz zur Unterschreitung des bundesdeutschen Durchschnitts. Das heißt, wir gehen bundesweit auf die Habenseite. Oder wie ich es immer zu sagen pflege: wir haben es geschafft, der Westen vom Osten zu sein. Das ist für unseren gesamtdeutschen Integrationsauftrag eine wichtige Scharnierfunktion. Menschen kommen nach Thüringen und sehen, dass es angenehm ist, hierher zu fahren, hier zu arbeiten, zu produzieren, zu forschen, zu leben.

 

Was würde denn der Trainer Ramelow seinem Kapitän Ramelow beim Pausentee sagen? Was hätte der Spieler besser machen können?

Das würde voraussetzen, dass es zwei verschiedene Personen sind. Ich bin noch nicht soweit, dass ich Selbstgespräche führe (lacht)… Ich muss mich bei jeder einzelnen Entscheidung vorher fragen, welche Alternativen ich habe. Im Nachhinein zu sagen, die andere wäre doch besser gewesen – klar, das gibt es. Aber das Tor, das du vorher nicht geschossen hast, brauchst du nachher nicht zu beklagen. Du kannst zur Kenntnis nehmen, dass du eins hättest schießen können. Aber du solltest lieber deine Nerven schonen. Es gilt doch immer noch die alte Fußballweisheit: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Man muss den Ball im Spiel halten. Nicht aufs Tor zu schießen, das ist doch der Fehler. Nicht zu entscheiden, nicht den nächsten Schritt zu gehen, das ist ein Versäumnis. Also mache ich lieber mal einen Fehler und gebe den danach auch zu.

Wie zum Beispiel bei der Rückübertragung der Horte in den Landesdienst?

Ja, das habe ich im Nachhinein für mich als Fehler analysiert. Ich kann die Abwicklung jetzt aber nicht wieder abwickeln, das würde doch das Chaos nur noch vergrößern. Ich schaue nach vorn, mache meine Hausaufgaben und muss den Hort und die Schulen zusammendenken. Am Ende brauchen wir Gemeinschafts- und Ganztagsschulen und noch mehr schulische und pädagogische Begleitung.

 

Nennen wir Sie in der Fußball-Metapher mal „Klubführung“ – die Damen und Herren im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Wie beurteilen die eigentlich Ihre Leistung? Gelegentlich grätschen Sie mit der Realität die Programmatik.

Das ist so. Bei jedem Realitätscheck stellt sich doch die Frage, ob mir pure Programmatik weiterhilft? Nehmen wir das Thema Inklusion. Wir haben eine klare Aussage dazu, wie wir das in der Gesellschaft, im Alltag, in der Schule haben wollen. Dann erleben wir, dass Menschen Ängste haben und ihre Herzen nicht öffnen. Da hilft mir die Programmatik meiner Partei nicht weiter. Mit dem Glauben an eine schönere Welt ist sie auf dem Parteitag beschlossen worden. Die muss aber erst als Prozess entwickelt werden. Dabei ist es gut, wenn die Programmatik ab und zu mal wieder eine Rückbindung an die Realität bekommt. Deswegen grätsche ich da immer mal gerne rein. Als evangelischer Christ fühle ich mich als Kieselstein im Schuh meiner Partei.

 

Und besinnen sich dabei auch auf einen Ihrer Vorgänger im Kapitänsamt. Bernhard Vogel prägte einst das Credo „Erst das Land, dann die Partei!“. Bleibt das auch in Halbzeit zwei so?

Na klar – bei aller politischen Unterschiedlichkeit zu Bernhard Vogel, die ich gern aufsagen könnte. Aber er hat Entscheidungen in schwierigen Situationen treffen müssen, um die ich ihn nicht beneide. Beim Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor 15 Jahren hat Bernhard Vogel unglaublich routiniert agiert. Ich habe das damals bewundert, weil das Ruhe in eine Situation gebracht hat, in der wir alle fast durchgedreht wären. Er sagte mir, das hinge mit seiner Erfahrung aus der Flugkatastrophe in Rammstein 1988 während seiner Amtszeit in Rheinland-Pfalz zusammen.

Natürlich könnte ich heute sagen, diese oder jene Entscheidung von Bernhard Vogel war falsch. Na und? Am Ende sind aus diesen Entscheidungen wieder andere gewachsen. Und zur Ehrlichkeit gehört auch, dass ich heute die Ernte einfahren kann für etwas, was ich damals kritisiert habe. Bernhard Vogel hat das ICE-Kreuz Erfurt gegen alle Kritiker durchgesetzt.

 

Warum wollten Sie das abwehren?

Weil ich damals mit der Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Bahn mit dem Knoten in Jena das bessere Konzept hatte. Es wäre nur niemals realisiert worden. Der alte Fuchs Vogel wusste, dass es entweder die Sachsen-Magistrale oder die Thüringer-Wald-Magistrale gibt. Ich habe das damals immer ausgeblendet. Heute haben wir die Zusage von Bundesverkehrsminister Dobrindt, dass die Mitte-Deutschland-Bahn elektrifiziert wird. Bernhard Vogel hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Ich habe ihm 2003 wahrlich keine freundliche Abschiedsrede gehalten, weil er das Amt wahltaktisch für Dieter Althaus freigemacht hat. Das schmälert aber überhaupt nicht die Leistung, die Bernhard Vogel für Thüringen erbracht hat.

 

Viele Fußballer sind abergläubisch. Hilft Ihnen Ihr christlicher Glaube bei politischen Entscheidungen?

Mein Glaube ist sehr individuell und persönlich. Er ist meine Kraftquelle. Bei mir sitzt kein kleiner Gott auf der Schulter, der mir täglich sagt, was ich zu tun habe. Ich habe in meinem Herzen einfach das Gefühl, dass da noch etwas ist, was ich zum Glück nicht genau weiß und auch nicht wissen will. Ich glaube, dass es mehr gibt als unser tägliches Leben mit all unseren Stärken und Schwächen, Siegen und Niederlagen. Es gab in meinem Leben oft genug so gravierende Brüche, dass ich froh über diese Kraftquelle war, um mit ihnen zu leben und nicht an ihnen zu verzweifeln.

 

Geht Ihr Team unverändert zurück auf den Platz oder sind Wechsel geplant?

Wir bleiben unverändert und haben einen Reserveplan, der in krankheitsbedingten Ausfällen zum Tragen kommt. Ich bin froh, dass wir bei solchen Ausfällen nicht sofort in die Knie gehen, sondern sie kompensieren können. Wir wollen mit der Mannschaft bis zum Abpfiff durchhalten, eine Garantie kann man aber nicht geben.

 

Sie haben angekündigt, für die eigenen und die gegnerischen Fans da zu sein. Wie gelingt Ihnen das bis zum Schlusspfiff?

Ich muss darauf hinweisen, dass ich für drei Fangruppen da sein muss. Neben politischen Freunden und Gegnern habe ich noch ein Gruppe dazu bekommen, die uns garantiert nicht gewählt hat: die Wirtschaftsvertreter. Wir als Landesregierung kommen aber mit ihnen wirklich gut klar und bemühen uns, den Kontakt weiter zu verbessern. Dabei hilft mir, dass ich seit 27 Jahren in Thüringen lebe und viele Betriebe von innen und nicht nur von außen kenne. Zu sehen, dass sich eine Menge Unternehmen sehr gut entwickelt haben, macht mir eine große Freude. Vor 25 Jahren, als Tausende Menschen ihre Kündigung bekamen, war die Situation viel depressiver und brandgefährlich.

 

Zum Beispiel beim Arbeitskampf in der Kaligrube Bischofferode?

Ja, die notwendige Schlichtung war trotzdem eine bittere Niederlage für die Beschäftigten und die Region, die sich davon immer noch nicht umfassend erholt hat. Aktuell kämpfen wir um 4.500 Bergleute im Werra-Revier mit der Prämisse, Ökonomie und Ökologie in eine bessere Balance zu bringen. Mit vielen kleinen Schritten konnten wir die Produktion sichern und trotzdem die Umwelt verbessern. Aber was nützen höchste ökologische Baustandards, wenn der Einzelne, der in dem Haus wohnt, die Miete nicht mehr bezahlen kann? Wir müssen vernünftige Relationen wahren.

 

Zwei Teams haben die erste Liga richtig aufgemischt: Baden-Württemberg mit Kapitän Winfried Kretschmann und Thüringen unter Ihrer Führung. Kretschmann spielt schon die zweite Saison. Planen Sie bereits für die nächste Spielzeit?

Ich bin zunächst froh über die gute und erfolgreich erste Halbzeit. Wir sind im Zeitlimit und stellen gerade den Doppelhaushalt 2018/2019 auf. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, um überhaupt erfolgreich bis zum Saisonende zu kommen. Dann gehen wir in die Planung. Derzeit sagt auch unser sozialdemokratischer Partner, dass er sich gut vorstellen kann, in solch einer Konstellation weiter zu machen. Worauf ich richtig stolz bin ist, dass heute eine Situation besteht, dass Frau Merkel bei der Bundestagswahl angreifbar scheint und im Bund von Rot-Rot-Grün geredet wird. Das hat etwas mit Thüringen zu tun, weil das Undenkbare hier denkbar wurde. Wenn unsere Entwicklung so weitergeht, wird es mir eine Freude sein, in den nächsten Thüringer Wahlkampf zu ziehen. Dafür müssen wir aber weiter fleißig unsere Hausaufgaben machen.

 

Der Transfermarkt lebt vor allem von Gerüchten. Liegt Ihnen ein seriöses Angebot aus Berlin vor?

Ich höre die Gerüchte immer wieder voller Interesse. Das macht ja deutlich, dass der Ministerpräsident von Thüringen einen gewissen Marktwert hat und eine gewisse Ablösesumme auslösen könnte.

 

Ist die nicht festgeschrieben?

Ich würde davon ja nichts bekommen, das ginge doch alles an meinen Heimatverein (lacht)… Fakt ist: seitdem die Thüringer Landesregierung unter meiner Führung Politik gestaltet, spielen wir eine sehr unaufgeregte Rolle im Bundesrat. Wir koordinieren das mit dem Karl-Liebknecht-Haus und mit der Bundestagsfraktion. Deswegen gibt es einen Spielmacher hinter den Kulissen, der keine Lust hat, davor aufzutauchen – der Ministerpräsident von Thüringen. Das kann er aber nur machen, wenn er Thüringer Regierungschef bleibt. Es war so ein schöner Tag, an dem ich entschieden habe, als Spitzenkandidat 2009 in Thüringen zu kandidieren. Das war für mich innerlich eine Befreiung. Ich weiß, wo mein Platz ist! Die meiste Lebenszeit habe ich in Thüringen verbracht. Ich bin mit diesem Land verwachsen und verwurzelt. Wenn ich vom Frankfurter Flughafen komme und an den drei Gleichen vorbeifahre, habe ich das unglaublich schöne Gefühl, zu Hause zu sein.

 

Die „Abteilung Attacke“ des Gegners gehört zum Geschäft und natürlich gibt es auch Fouls. Aber die Mannschaft mit den blau-roten Trikots überschreitet gelegentlich die Fair-Play-Grenzen. Inwieweit beschäftigt Sie das, wie versuchen Sie dieses Team zu bespielen?

Meine erste Aufgabe ist es, das Land und die Koalition zu führen. Natürlich duellieren sich der Ministerpräsident und der Oppositionsführer im Thüringer Landtag. Bei langzyklischen Fragen allerdings reden wir regelmäßig miteinander und nicht übereinander. So ist Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin mit mir als Oppositionsführer umgegangen. Wir haben uns über viele brisanten Themen immer auf kurzem Wege verständigt. So halte ich es auch mit dem Oppositionsführer Mike Mohring. Um auf die von Ihnen angesprochene AfD-Fraktion zu kommen: meine Beobachtung ist, dass die liberalen Kräfte aus der Partei vertrieben worden sind, dass sich die Verbalradikalisierung nicht nur an Herrn Brandtner festmacht, sondern dass das bewusste Zerstören von Fair Play ein Teil des Programms ist. Dieses bewusste Beleidigen von Kollegen im Landtagsplenum ist völlig inakzeptabel. Das entspricht aber genau der Linie, die Herr Höcke in seiner Dresdner Rede vorgegeben hat. Er hat sich ja nicht für deren Inhalt, sondern nur für den Ton entschuldigt. Diese Rede knüpft an das Ende der Weimarer Republik und den Übergang in den offenen Nazi-Faschismus. Es gehörte dazu, die Parlamente zu verunglimpfen und unmöglich zu machen. Wählerinnen und Wähler müssen aktuell für sich feststellen, was ihnen parlamentarische Demokratie wert ist. Ich kenne keine Alternative dazu. Zu glauben, dass wir Alternativen zu Wahlen und zum Parlamentarismus haben, halte ich für gefährlich. Das zeigt unserer Geschichte. Deshalb sage ich den Wählerinnen und Wähler: schaut genau hin!

 

Lassen Sie uns bitte noch über den Fußball selbst reden! Borussia Dortmund oder Bayern München?

Ich bin in der Nachbarschaft des Weserstadions in Bremen geboren. Es gibt aber ein Geheimnis, um das ich mich gar nicht drücken möchte. Meine zwei fußballbegeisterten Söhne – der eine Bayern-Fan, der andere Werder-Fan – sind sich in einem Punkt einig. Wenn das Spiel beginnt, ist es besser, wenn der Vater Bier holen geht. Dann stört er nicht, quatscht nicht dazwischen und redet kein dummes Zeug. So halte ich das auch, ich habe nämlich überhaupt keine Ahnung vom Fußball. Deswegen wäre es auch Quatsch, wenn ich jetzt irgendetwas dazu sagen würde. Zu Bayern fällt mir nur ein: Klub der Millionäre. Dazu habe ich eine innere politische Sicht. Und trotzdem ist es die stärkste Mannschaft Deutschlands. Insgesamt gefällt mir aber nicht, dass Fußball immer mehr zum Marken- und Geldthema wird und Fußballspieler Geldeinnahmen haben, von denen ein Normalbürger nur träumen kann. Mir als Ministerpräsident gefällt auch nicht, dass unsere Thüringer Spitzen-Vereine im Handball, Volleyball und Fußball permanent Auflagen kriegen, die bald nicht mehr zu stemmen sind. Wenn wir wollen, dass alle Bundesliga spielen, muss etwas getan werden. Gleiches gilt für eine Biathlon-Weltmeisterschaft in Oberhof. Ich will sie, weil wir dann viele Sendeminuten im Fernsehen bekommen. Aber wenn das riesige Geldaufwendungen zur Folge hat, die mir dann in der Sanierung von Schulsporthallen fehlen, dann muss ich feststellen, dass die Diskrepanz zwischen Spitzen- und Freizeitsport leider immer größer wird. Das ist ein Problem.

 

Rot-Weiß Erfurt oder Carl Zeiss Jena?

Ich bin ja seit vielen Jahren zahlendes Mitglied im Fanprojekt von Carl Zeiss, und ich stand über eine lange Zeit dem Vorstand von Rot-Weiß beratend zur Seite. Ich habe mich und werde mich auch weiter dafür einsetzen, dass beide Vereine gute Bedingungen haben. Die Fans werden nicht verstehen, dass mein Herz für beide Städte und Vereine schlägt. Und mir gefällt nicht alles, was in beiden Fan-Subkulturen passiert. „Juden-Jena-Rufe“ zum Beispiel gehen mir unter die Haut. Jeder sollte wissen, dass das in der Nähe von Topf & Söhne und Buchenwald die falsche Anfeuerung ist.

 

Wie und wo verbringen Sie eigentlich die Sommerpause?

Mein Büro hat mir eine eingeplant. Das soll schon etwas heißen. Und ich werde sie in Thüringen verbringen. Ich bin in meinem Leben schon so oft durch die Welt gefahren und werde auch dieses Jahr viel für Thüringen international unterwegs sein. Da habe ich wirklich keine Lust, in den Ferien wegzufahren. Zumal Thüringen so viele schöne Seiten hat, die immer wieder lohnen, erkundet zu werden. Wir haben doch alles: Berge, Wald, Seen, Natur und Kultur. Und ganz ehrlich: ich habe auf meinem Grundstück noch viel Holz zu hacken.

 

Herr Ramelow, wir wünschen gute Erholung und viel Erfolg in Halbzeit zwei.

 

Text: Peter Rüberg, Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus