„Wir wollen in die Zukunft blicken.“
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 ist die Universität Erfurt maßgeblich an dem Gemeinschaftsprojekt COSMO – COVID-19 Snapshot Monitoring – beteiligt. Bei der Online-Erhebung werden wöchentlich 1.000 Personen in Deutschland befragt, um einen Einblick zu erhalten, wie die Bevölkerung die Pandemie wahrnimmt. Der Doktorand Philipp Sprengholz gehört seit der ersten Befragung zum COSMO-Team. Ein Gespräch über Transparenz, Meinungsbilder und eine Blaupause.
Herr Sprengholz, ein Jahr Corona-Pandemie heißt auch ein Jahr COSMO. Konnten Sie sich im März 2020 nach der ersten Befragung vorstellen, dass alle großen nationalen Medien und sogar die New York Times mit Ihren wöchentlichen Studienergebnissen arbeiten?
Damit hat niemand gerechnet. Die Idee für die Studie entstand im Februar 2020, als die ersten Coronafälle in Europa und Deutschland nachgewiesen wurden. Da haben wir überlegt, ob das ein Thema für uns sein könnte. Obwohl wir alle in der Gesundheitskommunikation in andere Forschungsprojekte eingebunden waren und sind, haben wir uns gesagt: Wir müssen dazu etwas machen, lasst uns eine Studie aufsetzen. Geplant waren zunächst ein paar Erhebungswellen, das hat sich dann schnell zu einem Selbstläufer entwickelt.
Wie läuft die repräsentative Befragung ab?
Wir befragen seit dem 3. März 2020 je nach aktueller Lage wöchentlich oder alle zwei Wochen ungefähr 1.000 Erwachsene. Von Dienstagmittag bis Mittwochnacht können die Fragebögen online ausgefüllt werden. Jede Woche werden neue Teilnehmer über den Panelanbieter Respondi repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Bundesland akquiriert. Die Antworten werden automatisch bei uns in eine Datenbank geladen. Unser Kernteam, bestehend aus der Initiatorin und Leiterin Professorin Cornelia Betsch, sechs Doktoranden und ein paar Studenten, wertet diese dann aus und erstellt die entsprechenden Grafiken. Freitag sind die Ergebnisse online.
Was wird konkret abgefragt?
Es gibt verschiedene Themenblöcke, so beispielsweise Risikowahrnehmung, Sorgen, Belastungen, Gesundheitsversorgung, Masken, Rauch- und Trinkverhalten, Schnelltests und Regeln an Schulen. Wir fragen auch die Akzeptanz und Ablehnung politischer Maßnahmen ab, ebenso das Vertrauen in Institutionen und die Impfbereitschaft. Vor jeder Erhebung schicken uns die Studien-Partner ihre Ideen für die nächste Befragung. Der Großteil der Themen und Fragen kommt von uns. Politische Einstellungen fragen wir eher nicht ab, weil wir uns nicht zum Spielball von politischen Akteuren machen wollen.
Sie kennen bestimmt das Zitat von Winston Churchill: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“
(lacht) Natürlich ist es möglich, Fragen so zu formulieren, dass man ein bestimmtes Ergebnis erhält. Daran sind wir aber nicht interessiert, wir wollen einfach zeigen, was die Bevölkerung gerade denkt, fühlt, und wie sie sich in bestimmten Situationen verhält. Wo immer möglich, setzen wir auf etablierte und von anderen Forschern validierte Fragebogenitems sowie Auswertungsmethoden und versuchen, den gesamten Prozess der Datenerhebung und -auswertung auf der Projekt-Homepage transparent zu machen.
Was ist das Ziel von COSMO?
Wir wollen aufzeigen, wie die Bevölkerung die Corona-Pandemie wahrnimmt. Die Meinungsbilder sollen es erleichtern, öffentliche Kommunikation und Berichterstattung so zu gestalten, dass die Bevölkerung korrektes, hilfreiches Wissen erhält und Falschinformationen sowie Aktionismus vorbeugen kann. Die gewonnenen Informationen sollen zudem Behörden und Medienvertretern dazu dienen, die Herausforderungen der COVID-19-Epidemie einschätzen zu können und im besten Falle zu bewältigen. Uns geht es aber auch darum, die Wissenschaft voranzubringen. Wir wollen eine Blaupause erstellen, wie sich bestimmte Leute in bestimmten Situationen verhalten und abstrahieren, was davon in Zukunft wichtig werden könnte, wenn zum Beispiel eine neue Pandemie auftritt. Wir wollen in die Zukunft blicken, um vorbereitet zu sein.
Professorin Cornelia Betsch, die zum Beratungsgremium der Bundesregierung gehört, sagte in einem Interview, es gehe auch um die psychologische Lage. Wie würden Sie diese nach einem Jahr Pandemie einschätzen?
Die Befragten zeigen auf jeden Fall eine Zunahme der Belastungen an, die Kurve geht konstant nach oben. Das hängt damit zusammen, dass die Leute keine richtige Perspektive sehen und mit dem Pandemiemanagement der Bundesregierung unzufrieden sind – nur noch ein Viertel ist aktuell zufrieden. Unser Wunsch ist es natürlich, dass solche Ergebnisse in politische Entscheidungen einfließen.
Welche Aussagen und Meinungsbilder haben Sie am meisten überrascht?
Jeder im Team bearbeitet seine Themenblöcke. Ich bin für das Thema Impfen verantwortlich und analysiere, wie sich die Impfbereitschaft ändert und wovon das abhängt. Wir konnten beobachten, dass die Impfbereitschaft im vergangenen Jahr deutlich zurückging, seit der Zulassung der ersten Impfstoffe über den Jahreswechsel aber wieder zugenommen hat. Es wird sich zeigen, ob die Bereitschaft ausreicht, um das Virus zurückzudrängen und die Pandemie zu beenden. Es zeigt sich, dass über die Sicherheit und Effektivität von Impfungen noch besser aufgeklärt werden muss. Aktuell untersuchen wir auch die Wirkung verschiedener Anreize auf die Steigerung der Impfmotivation, zum Beispiel durch eine Geldprämie.
Wenn Corona vorbei ist, ist dann auch COSMO zu Ende?
Wir haben jetzt einen riesigen Datenberg aus 44 Wellen mit rund 44.000 Befragten.
50, 60 Wellen werden es bestimmt am Ende sein. Ein Großteil der Daten ist noch gar nicht im Detail ausgewertet. Was Sie auf unserer Website sehen, sind meistens Verlaufsgrafiken für einzelne Fragen, die können aber auch noch in Beziehung gesetzt werden. Es gibt viele Möglichkeiten, die Daten auszuwerten, um für zukünftige relevante Gesundheitsfragen Informationen zu liefern. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist also noch jede Menge zu tun. Nach der Pandemie wollen wir zusätzliche Vergleichsdaten erheben. So können wir zum Beispiel schauen, ob die Pandemie einen nachhaltigen Einfluss auf private Kontakte oder das Vertrauen in Regierung und Behörden hat.
Herr Sprengholz, vielen Dank für das Gespräch.
Text: Jens Hirsch
Fotos: Mario Hochhaus