„Ich habe wieder zu mir gefunden.“

Seit 2003, damals war sie zehn Jahre alt, steht die in Gebesee geborene Maria Ehrich vor der Kamera. Unter anderem in prämierten Hauptrollen solch bekannter TV- und Kinoproduktionen wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, „Das Adlon“, „Ku’damm“ und der Trilogie „Rubinrot“, „Saphirblau“ und „Smaragdgrün“. 2018 bricht sie aus dem Schauspieleralltag aus und geht mit ihrem Freund, dem Journalisten und Kameramann Manuel Vering, auf eine siebenmonatige Reise: nach Kenia, Mexiko, durch die USA bis nach Neufundland. Und zu sich.

TOP THÜRINGEN sprach vor der Premiere ihres Dokumentarfilms „Leaving the Frame – Eine Weltreise ohne Drehbuch“ mit Maria Ehrich über einen Ausbruch, wahre Helden und Hollywood.

Frau Ehrich, heute jährt sich der Jahrestag der deutschen Einheit zum 29. Mal. Sie waren damals noch gar nicht auf der Welt, was verbinden Sie mit Mauerfall und Wiedervereinigung?

Ich habe mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht, mein Freund kommt aus „Westdeutschland“ und dass wir uns gefunden haben, haben wir nur dem Fall der Mauer zu verdanken. (lacht). Die deutsch-deutsche Geschichte finde ich total spannend und dadurch, dass ich auch schon Filme gedreht habe, die in dieser Zeit spielen, ist es für mich umso schöner, durch meine Rollen in diese Epoche eintauchen zu können, obwohl ich damals noch nicht geboren war. Trotzdem kann ich diese Zeit durch die Filme erleben, und zwar auf eine spannende Art und Weise, viel lebhafter als im Geschichtsunterricht.

 

Wir sitzen hier im Kulturcáfe Franz Mehlhose in Erfurt. Wie oft sind Sie noch zuhause?

Ich versuche es möglich zu machen, dass ich einmal im Monat herkomme. Ich bin total heimatverwurzelt. Berlin, wo ich lebe, hat zwar auch viel Grün, aber es ist nochmal etwas ganz anderes, ob du in einem Stadtpark bist oder zuhause aus der Tür gehst und quasi sofort im Wald stehst. Das fehlt mir manchmal in Berlin.

 

Von Erfurt aus begann 2003 Ihre Karriere als Schauspielerin. Jetzt stellen Sie 16 Jahre später in Ihrer Heimatstadt Ihren ersten selbst gedrehten und produzierten Film vor. Aufgeregt?

Es ist superaufregend. Ich war anderthalb Wochen auf Kino-Tour mit dem Film, manchmal in zwei Städten pro Tag. Und ich war nie wirklich aufgeregt. Aber heute, weil ich weiß, dass viele Freunde und die Familie da sein werden, bin ich schon etwas nervös.

 

Seit Ihrem 10. Lebensjahr stehen Sie vor der Kamera und spielten unter anderem prämierte Hauptrollen in „Das Adlon“, „Polizeiruf 110“, „Ku’damm“ und in der Trilogie „Rubinrot“, „Saphirblau“ und „Smaragdgrün“. Wollten Sie nach 15 Jahren einfach mal raus aus dieser Glamour-Welt?

Ja, total. Als Schauspieler wird man oft auf ein Podest gestellt, weil die Branche in der Außenwahrnehmung sehr glamourös scheint. Aber vielmehr ist es super schwierig, sich in dem Beruf zu behaupten. Früher dachte ich, es gäbe kaum Konkurrenz, weil ja jeder anders ist, aber letztlich bewerben sich zehn Schauspieler auf eine Rolle und nur einer bekommt sie am Ende. Man muss mit der Zeit lernen, damit zurechtzukommen. Jeder Schauspieler hat auch mal schwierigere Jahre, in denen er nicht so oft besetzt wird. Ich hatte auch eine längere Zeit, in der mir nur bestimmte Rollen angeboten wurden. Wenn man dann auf der Berlinale ist, dann sehen alle nur den Glamour. Alle sind happy oder tun zumindest so. Das hat mich irgendwann richtig genervt und ich dachte, mir geht es mit der Situation nicht gut, ich muss mal raus. In dem Fall war es wirklich eine Art Ausbruch. Aber ich wusste, dass ich auf jeden Fall wieder zurückkommen werde.

 

Mit einem Dokumentarfilm und einem Buch im Gepäck.

So mit 23, 24 habe ich gemerkt, dass ich irgendwie gern nochmal raus möchte, wusste aber nicht richtig wie und wohin. Ich wurde in dieser Zeit immer unzufriedener, habe mehr und mehr geschaut, was die anderen machen und mich mit ihnen verglichen. Mein Freund meinte dann, er würde gern eine große Reise machen. „Ich auch, ich auch“, sagte ich. Aber wir wollten eben nicht nur ein paar Wochen in der Hängematte liegen, sondern etwas tun. Wir wollten raus in die Welt und Menschen treffen, die etwas Besonderes machen und etwas bewegen wollen. So hat sich dann das Projekt „Leaving the Frame“ entwickelt.

 

Die Reise beginnt in Kenia. Wie kamen Sie dann darauf, für den 20.000 Kilometer langen Trip von Mexiko bis Neufundland einen VW Käfer mit Schlafzelt auf dem Dach als Fortbewegungs- und Übernachtungsmittel zu nutzen?

In Afrika und auf Hawaii waren wir immer mit Mietautos unterwegs gewesen und sind von einer Unterkunft zur nächsten gefahren. Das wurde irgendwann sehr stressig, wir wollten unsere eigene Basis haben und trotzdem reisen. In Mexiko hat Manuel den cremefarbenen Käfer gesehen und von da an hat uns das Auto dann bis nach Neufundland begleitet.

 

Wenn die Kamera läuft, sei das für Sie Arbeit, sagen Sie im Film. Sehen die Zuschauer eine Schauspielerin oder die private Maria Ehrich?

Ich war auf unserer Reise nie die Schauspielerin, weil ich ja keine Rolle hatte, aber ich habe gemerkt, dass mich das angestrengt hat, wenn die Kamera ständig lief. Du kommst irgendwo an, siehst einen krassen Sonnenuntergang oder riesige Berge und staunst nur, aber gleichzeitig hast du schon wieder die Kamera im Gesicht. Ich verhalte mich natürlich anders, wenn die Kamera an ist, denn ich weiß, wie man sich bewegt und wie man spricht. Das war für mich insofern Arbeit, dass ich es erst einmal schnallen musste, dass es Arbeit ist. Wir haben für uns im Laufe der Zeit dann festgelegt, wann wir filmen und wann nicht. Dann war es auch ok.

Sie haben während der Reise einige interessante Menschen besucht, Sie nennen sie Helden. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Ich habe alle ins Herz geschlossen, es ist schwierig, jemanden herauszuheben. Alle wollen in der Welt etwas bewegen und kämpfen mit großer Leidenschaft für ihre Ziele. Ordensschwester Mary Jane aus Nairobi ist so ein Sonnenschein, obwohl sie selber nichts hat, versucht sie den Waisenkindern, die sie betreut, alles zu geben. Oder der britische Tierschützer Simon Thomsett, der sich in Kenia um verletzte Raubvögel kümmert. Oder der polnische Maler Jurek Bitter, der als Kind aus dem Warschauer Ghetto fliehen konnte und in New York in seinen Bildern die traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen an die Folgen des Holocausts verarbeitet.

 

Nach sieben Monaten auf Achse: Wie gelang die Umstellung zurück in Ihr normales Leben in Berlin?

Das war mein verrücktestes Jahr bisher: Wir haben „Leaving the Frame“ produziert, das Buch geschrieben, einen Hund adoptiert und ich habe für den Film „Altes Land“ gedreht. Nach der Reise haben wir zu Hause neun Monate lang das Material gesichtet, den Film geschnitten und alles in Eigenregie produziert. Das brachte mir Einblicke in die Welt des Films, wie ich sie vorher nicht hatte. Bisher habe ich mich ja immer nur auf meine Rollen konzentriert, vom ersten bis zum letzten Drehtag. Insofern war das richtig lehrreich für mich.

Es ist zwar noch kein neues Reiseprojekt geplant, aber ich weiß, dass ich dieses Reisefieber in mir habe und dass es irgendwann wieder ausbricht.

 

Wie sind Sie eigentlich zur Schauspielerei gekommen? Und wann haben Sie gemerkt, dass das Ihre Berufung ist?

Ich weiß gar nicht genau, ob ich da einen konkreten Schlüsselmoment benennen kann. Mir hat das einfach schon immer unglaublich viel Spaß gemacht. Ich hatte auch als Kind nie das Gefühl, dass es mich überfordern würde. Meine Mutter hatte 2003 in der Thüringer Allgemeinen einen Artikel gelesen, dass ein Mädchen für eine Rolle in dem Film „Mein Bruder ist ein Hund“ gesucht wird. Ich habe mich beworben und die Hauptrolle bekommen.

So ging es dann immer weiter neben der Schule, neben dem Abitur. Ich wollte immer weiter schauspielern.

 

Sie haben von Beginn an mit großen Stars wie Veronica Ferres, Benjamin Sadler, Heiner Lauterbach, Marie Bäumer, Heino Ferch, Wotan Wilke Möhring, Claudia Michelsen und Thomas Thieme gedreht. Hatten oder haben Sie ein Vorbild?

Eigentlich nicht. Meine Stars waren damals die Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grind. Wenn die vor mir gestanden hätten, dann wäre ich auch nervös geworden. Die Kollegen, mit denen ich gedreht habe, das waren eben meine Filmmutti und mein Filmvati. Dadurch hatte ich auch nie diese Berührungsängste.

 

War die Hauptrolle 2013 im TV-Dreiteiler „Das Adlon“ Ihr großer Durchbruch?

„Adlon“ und „Rubinrot“ kamen im selben Jahr raus. Dadurch bin ich gleichzeitig einer breiten Masse bekannt geworden, Teenagern und Erwachsenen. Beide Filme gingen durch die Decke. Dabei wurde ich beim „Adlon“ auf zwei Rollen gecastest, eine war eine kleinere Rolle und ich dachte, dass ich dafür besetzt werden würde. Dann durfte ich aber doch die größere Rolle, die Alma, spielen und hatte einen echt coolen Sommer, in dem ich viele tolle Leute kennengelernt habe. Seitdem werde ich für die unterschiedlichsten Rollen angefragt. Mir wird immer gesagt, ich hätte ein historisches Gesicht. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Sehe ich alt aus? (lacht)

 

Nein, keineswegs!

Ich passe anscheinend irgendwie in viele Epochen.

 

Was drehen Sie aktuell?

Ab Februar geht es mit den Dreharbeiten für die Fortsetzung von „Ku’damm“ weiter. Dafür stehen vorher noch viele Proben und Vorbereitungen an.

 

Verfolgen Sie als Schauspielerin ein bestimmtes Ziel, was Sie einmal erreichen möchten?

Nein. Bei der Schauspielerei ist der Weg das Ziel. Was passiert denn, wenn ich jetzt mit 26 die tollste Rolle meines Lebens bekomme, soll ich dann aufhören? Es gibt ja noch tausend andere schöne Rollen.

 

Zum Beispiel in Hollywood?

Natürlich würden mich auch der amerikanische und britische Markt reizen, aber was das betrifft, lasse ich einfach alles auf mich zukommen. Das habe ich auch durch die Reise gelernt: nicht immer zu denken, was man einmal leisten will, sondern darauf zu schauen, was man gerade macht und den Moment zu genießen.

 

Was hat sich für Sie persönlich durch die Reise verändert? Sind Sie ein anderer Mensch geworden?

Ich bin ein bisschen reifer geworden. Wir sind losgefahren, da war ich 24, jetzt bin ich 26. Auch wenn ich das nicht gedacht hätte: Zwei Jahre machen doch einen kleinen Unterschied. Ich habe sehr viel gelernt als Mensch und darüber, was andere Länder und Sitten angeht. Ich bin kein anderer Mensch geworden, ich habe vielmehr wieder zu dem Menschen gefunden, der ich war, bevor ich mich in eine Richtung entwickelt habe, in der ich mich nicht gesehen habe.

 

Sie empfehlen im Film eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit der Zukunft.

Man sollte sich nicht so viele Sorgen machen. Es kreuzen auch mal unschöne Sachen unseren Weg, aber die Dinge sind ja nur so, wie wir sie bewerten. Zum Beispiel ist es leichter, einen Fehler als eine Art Lehre zu sehen, dann kann man auch leichter und mit weniger Sorgen in die Zukunft sehen.

 

Macht Ihnen die aktuelle politische Situation Sorgen?

Ja, ich interessiere mich sehr für Politik. Dadurch, dass ich in Berlin lebe und oft in Thüringen bin, bekomme ich natürlich unterschiedliche Meinungen mit und versuche offen damit umzugehen. Ich versuche zuzuhören und den Menschen Ängste zu nehmen, einen Dialog zu führen und nicht zu verurteilen. Wir leben in einer explosiven Zeit, die die Gesellschaft entzweien kann. Aber wir sind nur als Gemeinschaft stark. Dort müssen wir wieder hinkommen. Wichtig sind die Leute, die in der Mitte stehen.

 

Frau Ehrich, vielen Dank für das Gespräch.

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Marco Fischer, Manuel Vering