„Man kann den Papst gut vorzeigen’“

Am 23. September um 10.45 Uhr betritt mit Papst Benedikt XVI. erstmals ein Oberhaupt der katholischen Kirche auf dem Rollfeld des Flughafens Erfurt-Weimar thüringischen Boden. Während seines knapp 24-stündigen Aufenthaltes im Freistaat wird der Heilige Vater in Erfurt und Etzelsbach Gottesdienste abhalten und darüber hinaus viele Gespräche führen.

Immer an seiner Seite wird der Bischof des Bistums Erfurt Dr. Joachim Wanke sein, der Joseph Ratzinger in den letzten 30 Jahren öfters getroffen hat. TOP sprach mit dem 70-jährigen Thüringer über den Glauben, religiöse Nachhaltigkeit und die Fülle des Lebens.

Herr Bischof Wanke, bevor wir zum Papstbesuch kommen, möchte ich wissen, wie Sie den Weg zu Gott gefunden haben?

Der Ausgangspunkt ist sicherlich die Erziehung im häuslichen Umfeld gewesen. Aber entscheidend war dann, dass ich in den Jahren, als ich auf der sozialistischen, also religionskritischen Oberschule in Ilmenau war, auch andere überzeugende Christen kennenlernen konnte

 

Sie haben von einem Ausgangspunkt gesprochen. Aber wie haben Sie den Glauben angenommen, ihn verinnerlicht?

Das kann man schwer beschreiben. Das ist wie mit einer Freundschaft, man spürt mit der Zeit, worauf es ankommt. Es stellt sich die Erfahrung ein, dass es so etwas gibt wie eine Fülle des Lebens, die sich nicht erschöpft mit dem, was man im Augenblick hat oder erlebt, die unser lebenshungriges Herz stillen kann, uns eine Antwort auf das Sterben und auch die eigene Lebensschuld geben kann.

Ein junger Vater sagte einmal zu mir: „Als ich das neugeborene, gesunde Kind auf dem Arm hatte, ahnte ich: Das Leben ist eben doch mehr als eine biologische Tatsache.“ In diese Richtung geht auch die Glaubenserfahrung. Das ist ein Weg mit vielen Höhen und Tiefen. Wenn man großes Leid erlebt und Ungerechtigkeiten, da können auch Zweifel an Gott aufkommen. Doch letztlich gilt: Der Glaube geht von Mensch zu Mensch, gerade auch in Krisenzeiten. Er lebt vom Zeugnis, das wir einander geben.

 

Wie erklären Sie das einem Kind?

Der Glaube ist wie die Nähe der Mutter, des Vaters oder anderer lieber Menschen. Zugänge sind das Angenommensein, das Geliebtwerden. Darauf reagiert ein Kind ganz spontan. Der Mensch braucht mehr als Nahrung und Erziehung. Er braucht jemanden, der zu ihm sagt: „Du bist gewollt und nicht nur ein Zufallsprodukt der Evolution.“ Auf der Beziehungsebene leuchtet am ehesten auf, was der Gottesglaube uns schenkt.

 

Können Sie sich noch an das Jahr 1972 erinnern, als Sie im Trabant einen gewissen Joseph Ratzinger durch Thüringen chauffiert haben?

Natürlich, so etwas vergisst man nicht. Leider gibt es keine Fotos von diesem Ausflug. Joseph Ratzinger war damals Universitätsprofessor und mit meinem akademischen Lehrer Heinz Schürmann befreundet. Sie waren beide Mitglieder einer internationalen Theologenkommission. Ich habe beide Herren mit meinem Diensttrabant nach Weimar und Jena zu den Klassikerstätten gefahren. Es war sehr interessant für mich, Professor Ratzinger aus der Nähe kennenzulernen, schließlich war er damals schon ein bekannter Mann.

 

Haben Sie damals geahnt, dass er einmal Papst werden würde?

Nein, das war nicht im Blick, zumal Professor Ratzinger erst Jahre später zum Bischof geweiht wurde.

 

Jetzt kommt Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. erstmals nach dem Fall Mauer nach Ostdeutschland. Was für eine Bedeutung hat dieser Besuch für Thüringen?

Ich freue mich natürlich, dass er Thüringen ausgesucht hat und an zwei Tagen bei uns sein wird. Aber zunächst einmal wählt der Papst sicherlich die Station Erfurt im Hinblick auf die Neuen Bundesländer insgesamt. Und insofern stehen wir auch stellvertretend für die Bistümer Görlitz, Dresden-Meißen und Magdeburg. Ich gehe davon aus, dass Papst Benedikt die Aufbauarbeit der letzten 20 Jahre würdigen wird. Wir haben schließlich aus der geschenkten Freiheit auch etwas gemacht. Zudem wird er uns ermutigen, die gewonnene Freiheit auch weiterhin in Verantwortung zu gestalten.

Andererseits ist der Papst natürlich – auch wenn nicht jeder mit seiner Meinung übereinstimmt – eine Persönlichkeit der Weltöffentlichkeit. Der Besuch des Papstes ist daher ohne Zweifel für Thüringen eine große Chance, in den Blick einer größeren Öffentlichkeit zu kommen, auch international.

 

Und kirchlich gesehen?

… eröffnet er die Chance, uns mit wichtigen Fragestellungen auseinander- zusetzen.

 

Zum Beispiel?

Etwa mit der Frage: Dürfen wir alles, was wir können? Oder: Welche Werte wollen wir unseren Kindern vermitteln? Oder: Halten wir an der Solidarität fest, auch wenn sie etwas kostet? Wie hoch ist der Wert des menschlichen Lebens, auch des ungeborenen?

In einem Interview warnten Sie davor, dass der Papstbesuch nur ein kurzfristiger medialer „Meteoriteneinschlag“ werden könnte.

Das wäre fatal. Ich hoffe, dass der Papst für unsere normale pastorale Arbeit einen Impuls gibt. Wir wollen den Heiligen Vater als Wallfahrer begrüßen und seinen Besuch in den Reigen der Feste und Begegnungen in unserem Kirchenjahr einordnen. Insofern ist seine Visite mit der Erwartung einer gewissen religiösen Nachhaltigkeit verbunden. Es geht nicht nur um ein großes Event, sondern darum, dass der Papst mit uns auf die veränderte gesellschaftliche und religiöse Situation zurückschaut, vor allem aber nach vorn, dass er uns Mut zuspricht. Die Kirche hat ja reichliche Erfahrungen mit sich wandelnden gesellschaftlichen Situationen. Sie musste auch immer wieder neue Wege zu den Menschen suchen. Gegenwärtig ändern sich die Rahmenbedingungen des kirchlich-religiösen Lebens, aber das sagt ja nichts über die Fragen und Sorgen der Menschen aus. Diese Fragen und Sorgen bleiben.

 

Die Gesellschaften wandeln sich, muss dass die katholische Kirche, gerade nach den Ereignissen der letzten Jahre, nicht auch?

Das muss sie immer. Sie ist ein Gefäß, das einen kostbaren Inhalt hat. Es ist das Evangelium mit der Botschaft: Der Mensch ist nicht mit sich selbst allein. Wir sind gewollt, wir sind von Gott bei unserem Namen gerufen, wir haben eine Zukunft über den irdischen Tod hinaus. Insofern ist dieses „Gefäß“ immer wieder so zu gestalten, dass die Fragen der Menschen im Hier und Heute Antworten finden. Das heißt nicht, dass man alles verändert, was einmal gewesen ist. Doch muss aus dem Erbe ein neues Angebot werden.

 

Wollen Sie den Papstbesuch auch nutzen, um Menschen anzusprechen, die nicht an Gott glauben?

Ohne Zweifel. In einer profilierten und doch sehr menschlichen Weise, die auch auf die Lebensdienlichkeit des Glaubens hinweist, können heute Menschen auf Gott hin angesprochen werden. Es geht nicht darum, Abhängigkeiten zu schaffen. Das Religiöse bietet die Möglichkeit, das Leben als Ganzes zu deuten. Der religiöse Standpunkt macht nicht von vornherein fundamentalistisch, das ist mir wichtig. Gläubige wie ungläubige Menschen erfahren letztlich dasselbe. Der gläubige Mensch deutet es nur anders als der Nichtgläubige. Er sieht einen größeren Zusammenhang, auf den er sich voll Vertrauen verlässt. So öffnet der Gottesglaube für die Nichtglaubenden eine Tür: „Sieh das doch mal aus einer anderen Perspektive.“ Das zeichnet eine gesunde Frömmigkeit aus: Empathiefähigkeit, mitfühlen können mit den Fragen, Sorgen und Anliegen auch der nichtreligiösen Menschen – wir können das, weil uns deren Ängste und Hoffnungen nicht fern sind. Die Glaubenden müssen insgesamt koalitionsfähiger werden. Wir wissen nicht auf alle Fragen der Menschen eine Antwort. Aber die Erhöhung des Bruttosozialprodukts wird es alleine auch nicht bringen.

 

Die Menschen sind in unserer globalen, technisierten Welt unzähligen Einflüssen und Reizen ausgesetzt.

Wir sind pluralistischer und individualistischer geworden. Die Welt vom eigenen Ich her entwerfen, das ist heute die gängige Art und Weise, mit dem Leben klarzukommen. Das stößt aber auch schnell an Grenzen, sobald das Ich seine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten erkennt. Das Pendel muss dann notwendigerweise wieder zum Wir ausschlagen. Dann muss man allerdings aufpassen, dass es zu keinen „faschistoiden“ Lösungen kommt. Ein falsches Schwarz-Weiß-Denken kann den Ruf nach einem starken Führer angesichts der heutigen „Unübersichtlichkeit“ laut werden lassen. Dann wird es freilich gefährlich.

 

Kommen wir zurück zum Papstbesuch. Wird es während der 24 Stunden, die der Heilige Vater in Thüringen weilt, auch private Momente geben?

Hier und da wird es diese Momente geben. Das Programm lässt sicherlich mal persönliche Gespräche zu, bei den Mahlzeiten, wenn ich den Papst begleite. Papst Benedikt war ja als Professor und Kardinal schon mehrfach bei uns. Insofern ist ihm unsere Situation nicht fremd.

 

Unterhalten Sie sich dann auch mal über scheinbar banale Dinge?

Natürlich, die Gegebenheiten des Alltags spielen eine Rolle. Welche Eindrücke er mitnimmt, was ihn bewegt. Zweifellos ist er ein professoraler Typ, weniger ein Charismatiker. Es sind nicht jedem Menschen alle Gaben gegeben. Aber der Heilige Vater hat eine charmante Art, wie er Menschen anspricht. Ich glaube, man kann diesen Papst gut „vorzeigen.“

 

Was wünschen Sie sich ganz persönlich von diesen zwei historischen Tagen im September?

Dass die Tage in Deutschland insgesamt gelingen. Ich wünsche mir gutes Wetter, viele interessierte Besucher, offene Herzen, und dass der Papst dann wieder glücklich nach Rom kommt – und dass uns die Erinnerung an die Begegnung dieser Tage Ermutigung für unseren weiteren Weg als Christen in Thüringen ist.

 

Fotos: Marcel Krummrich