Eine FAIRE Chance

 

Der Anlass war feierlich und sehr bewegend. Besonders für die 50 Thüringer Kinder und Jugendlichen, die am 22. Februar in der Erfurter Staatskanzlei von ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Stipendien-Programm FairTalent der Roland Berger Stiftung berichtet haben.

TOP sprach am Rande der Veranstaltung mit dem erfolgreichen Unternehmensberater und Stiftungsgründer Prof. Dr. h.c. Roland Berger über soziale Schieflage, Bildungsdefizite, die deutsche Wirtschaft und richtige Quellenangaben.

Herr Prof. Berger, wer sind die 50 Thüringer Stipendiaten?

Das sind alles Schüler im Alter von 7 bis 18 Jahren, die es bisher nicht immer leicht hatten in ihrem Leben. Sie stammen aus sozial benachteiligten Familien, sind aber sehr begabt und haben schon bewiesen, dass sie sich engagieren können und zwar nicht nur für sich, sondern auch für ihre Eltern, die Schule und ihre Mitschüler. Das Wichtigste ist, dass sie stellvertretend für alle Kinder und Jugendlichen aus benachteiligten Schichten als Opfer der sozialen Schieflage des deutschen Bildungssystems anerkannt werden. Deshalb war es auch wichtig, dass Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht mit ihnen gesprochen hat.

 

Sie haben die soziale Schieflage des Bildungssystems angesprochen. Wie konnte es dazu kommen?

Unser Land hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt. Wir haben zum Beispiel 19,2 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu hat sich der Arbeitsmarkt verändert, wir haben einen signifikanten Billiglohnsektor und immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit und zu viele Hartz-IV-Bezieher.

 

Und das wirkt sich auf die betroffenen Kinder aus. Nur 20 Prozent der Kinder von Nichtakademikern studieren.

Ja, das soziale Umfeld der meisten Kinder aus gesellschaftlich benachteiligten Schichten ist relativ bildungsfern. Aus Unwissenheit der Eltern und weil das Geld fehlt für den Zugang zur Bildung. Das führt zu einer massiven Ungerechtigkeit.

 

Welche Auswirkungen hat das für die Gesellschaft?

Es geht nicht nur um die soziale Ungerechtigkeit, sondern auch darum, dass der Gesellschaft dadurch Wertschöpfung verloren geht. Jeder akademisch ausgebildete Mensch bringt der Gesellschaft einen Mehrwert von durchschnittlich 150.000 Euro. Das heißt, je mehr gut ausgebildete Menschen wir haben, umso mehr profitieren wir alle. Deutschland hat kaum Rohstoffe, also muss der einzige, den wir haben – das Wissen – ausgebaut werden, denn wir befinden uns auf dem Weg von der Industrie- über die Dienstleistungs- in die Wissensgesellschaft.

 

Helfen den benachteiligten Kindern Bildungsgutscheine?

Zunächst einmal hilft den Kindern alles, was ihnen Zugang zu Bildung und einem normalen Leben ermöglicht. Dazu gehören auch das warme Mittagessen, der Kinobesuch, der Sportverein und die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen, Spaß zu haben. Ein Leben in sozial schwierigen Verhältnissen bedeutet oft auch Ausgrenzung. Insofern halte ich diese Initiative für einen guten Ansatz. Und es ist auch richtig, Bildungsgutscheine anstelle von Geld auszugeben, damit die Unterstützung auch wirklich bei den Kindern ankommt.

Herr Prof. Berger, Sie sind ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Wie ist die Idee Ihrer Stiftung entstanden?

In der Tat hatte ich das Glück, mir als Unternehmer einen gewissen Wohlstand erarbeiten zu können. Ich habe mich dann gefragt, was macht man damit? Meine Kinder sind versorgt und stehen auf eigenen Beinen, also wollte ich etwas für die Gesellschaft tun. Und das Wichtigste für die Gesellschaft ist die Investition in die Ausbildung unserer Jugend. Da lag es relativ nahe, auch aufgrund der bereits angesprochenen sozialen Schieflage, sich für Bildung zu engagieren.

 

Was leistet das Förderprogramm FairTalent?

Wir wollen den Schülern zusätzliches Wissen neben der Schule zukommen zu lassen und sie begleiten, z.B. bei den Übergängen von der Grundschule auf das Gymnasium und zum Studium. Dazu sollen sie ihre Persönlichkeit entwickeln und sich selbst verwirklichen. Wichtig ist uns aber auch, dass wir die Schüler mit dem in Europa gültigen Wertesystem vertraut machen.

Die Säulen des Programms sind dabei der individuelle Förderplan, die

Betreuung durch ehrenamtliche Mentoren – die eine entscheidende Mittlerrolle zwischen Stipendiat, Elternhaus, Schule und Stiftung einnehmen – und die Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin, die unsere Maßnahmen wissenschaftlich überprüft, damit wir das Programm verbessern können.

 

Wie erfahren die Kinder von dem Stipendium?

Wir arbeiten eng mit den Landesregierungen und den jeweiligen Bildungsministerien zusammen, die die Schulen und Lehrkräfte informieren. Die Lehrer helfen uns, verborgene Talente zu entdecken. Die ausgewählten Kinder bewerben sich dann zusammen mit den Lehrern und den Eltern bei der Stiftung. In der Regel wird jedes dritte, vierte Kind aufgenommen.

 

Ist das nicht wieder eine Art Ausgrenzung, was passiert mit den nicht ausgewählten Kindern?

Der Bedarf ist tatsächlich so immens, dass die Stiftung leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein kann. Deswegen stellen wir auch den jeweiligen Kultusministerien unsere Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Stipendienprogrammen zur Verfügung, damit diese eventuell mit in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden.

 

Kommen wir zur aktuellen Wirtschaft. Deutschland ist hervorragend aus der Krise gekommen. Ist das nur eine Momentaufnahme oder ist die Entwicklung nachhaltig?

Beides. Nachhaltig, weil die deutsche Wirtschaftsstruktur sehr gut aufgestellt ist. Wir sind durch viele Innovationen im letzten Jahrzehnt sehr leistungsfähig geworden. Übrigens vor allem auch durch politische Reformen aus der rot-grünen Zeit, wie etwa die Agenda 2010. Das alles hat uns wettbewerbsfähiger gemacht. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass die deutsche Industrie ein ganz spezifisches Produktportfolio anbietet, das in erster Linie aus Investitions- und Infrastrukturgütern besteht. Diese Güter brauchen derzeit Länder wie Russland, Indien, China, Brasilien. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass die Länder diese Industrien auf Dauer nicht auch selber aufbauen werden, und müssen also schon jetzt unser Angebot anpassen. Wissen, Ideen, Unternehmertum und die Bereitschaft zur Veränderung werden weiter gefragt sein. Jetzt ist die Wirtschaft dran, sich wieder neu zu erfinden, um sich für die nächste Generation der neuen Technologien fit zu machen. Es ist schon bedenklich, dass all die Googles und Apples dieser Welt in Amerika sitzen und viele zukunftsträchtige Produkte aus Asien und nicht aus Europa kommen.

 

Apropos fit. Wie gut ist die Wirtschaft in den neuen Bundesländern 20 Jahre nach der Einheit aufgestellt?

Sie hat Strukturprobleme, die objektiv noch nicht beseitigt sein können. Aber überwiegend ist sie gut aufgestellt, die industrielle Basis wächst ständig. Problematisch sind der demografische Wandel, die Abwanderung von Fachkräften und die im Vergleich zum Westen geringere Forschungs- und Entwicklungsintensität.

 

Empfehlen Sie Ihren Stipendiaten jetzt eigentlich noch eindringlicher, bei ihren wissenschaftlichen Arbeiten auf die richtige Quellenangabe zu achten?

(lacht) Ich denke, es ist einfach eine Frage der Moral, ehrlich zu sein. Es gilt für jeden Menschen und natürlich auch für Politiker, dass man geistiges Eigentum von anderen achtet und entsprechend kenntlich macht. Es gehört zu unseren Aufgaben, wenn wir Kindern unseren Wertekodex vermitteln, ihnen auch Respekt vor geistigem Eigentum zu vermitteln.

 

Herr Professor Berger, vielen Dank für das Gespräch.

 

TOP Service:

www.rolandbergerstiftung.org

Fotos: pikarts