„Ich wollte immer Chef sein.“

Birkenwerder, Brandenburg. Ein sonniger Sommervormittag. Josef Duchač kommt langsam laufend, geführt von seiner Tochter, auf die Terrasse seines Hauses zum Interview. Vor 30 Jahren – am 8. November 1990 – wurde der Gothaer zum ersten Thüringer Ministerpräsidenten nach der Wiedervereinigung gewählt. Nach seinem Rücktritt am 23. Januar 1992 leitete er mehrere Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung. In Folge eines Schlaganfalls ist Josef Duchač seit fünf Jahren blind. Ein Gespräch über das Leben in Dunkelheit, eine große Aufgabe, fehlendes Vertrauen und einen letzten Wunsch.

Herr Duchač, wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Mit der Unterstützung meiner Familie, also vor allem meiner Frau und meiner Tochter, ist es bei allen Schwierigkeiten gut zu ertragen. Wir sind seit 60 Jahren verheiratet und meine Frau sagt immer, dass wir es uns versprochen haben, in guten wie in schweren Tagen. Das wollen wir durchhalten. Ansonsten wäre es in der Dunkelheit schwierig. Dank technischer Hilfsmittel wie der akustischen Fernsehbild-Beschreibung und dem Vorlesegerät für die Zeitung bin ich nicht ganz abgeschnitten von der Welt. Zudem höre ich Hörbücher und Radio. Im Haus kann ich mich allein bewegen, draußen brauche ich Hilfe. Nach dem Schlaganfall musste ich mich in den Alltag zurückkämpfen. Aber dank meines Ehrgeizes habe ich das geschafft.

 

Ihr Ehrgeiz hat Sie Ihr ganzes Leben ausgezeichnet, sonst wären Sie nicht Ingenieur, Betriebsleiter und Ministerpräsident geworden.

Das stimmt. Ich wollte immer Chef sein. Das ist nicht spaßig gemeint. Das fing schon in der Schule als Klassensprecher an und hat sich fortgesetzt.

 

Bis zum Höhepunkt am 8. November 1990, als Sie zum ersten Thüringer Ministerpräsidenten nach der Wiedervereinigung gewählt wurden. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen historischen Tag?

Das war für mich sehr beeindruckend und emotional, weil mir da so viel durch den Kopf ging. Als Regierungsbevollmächtigter für die Bezirksverwaltungsbehörde Erfurt war ich nach dem Landeseinführungsgesetz ja schon vorher für den Aufbau Thüringens zuständig. Mit der ersten freien Landtagswahl und der Wahl Erfurts zur Landeshauptstadt am 14. Oktober und der Konstituierung des Freistaates am 25. Oktober war das gelungen.

 

Aber damit war die Arbeit ja nicht getan.

Stimmt, danach ging es erst richtig los. Ich hatte großen Respekt vor der Aufgabe, weil es so viel auf einmal war. Das Pensum war enorm. Als ich als Ministerpräsident zurückgetreten bin, habe ich mich besonders darüber geärgert, dass dieses Maß an Arbeit nicht bewertet wurde.

 

In der Zeit von 1959 bis 1986 machten Sie im VEB Gummiwerke Waltershausen Karriere vom einfachen Arbeiter über die Ausbildung zum Chemie- und Diplom-Ingenieur-Ökonom bis hin zum Produktionsleiter. Warum gingen Sie in die Politik?

Ich bin 1957 in die CDU eingetreten, weil ich eine Reihe von christlichen Freunden hatte, die dort aktiv waren. Damals hatte ich den Eindruck, dass man in der politischen Arbeit etwas erreichen kann.

 

Als Gegenpol zur allmächtigen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands?

Ja. Und um damit auszudrücken, dass ich nicht in die SED will. Die aktive politische Arbeit hat sich aber erst ergeben, als ich 1986 aus den Gummiwerken ausgeschieden bin und in den Rat des Kreises Gotha wechselte, zunächst nur als Krankheitsvertretung. Mit einem solchen Amt wurde man automatisch in den Kreis-Parteivorstand der CDU kooptiert. Damit war später die politische Arbeit vorgezeichnet – bis nach der Wende in die Regierungstätigkeiten.

 

Die CDU war in der DDR eine Blockpartei, im Volksmund auch „Blockflöte“ genannt, weil sie auf der Klaviatur der SED spielen musste. Mit welchen Ambitionen gingen Sie als Christdemokrat in den Rat des Kreises?

In den Gummiwerken habe ich sehr erfolgreich gearbeitet. Gern wäre ich Betriebsleiter geworden. Der Kaderleiter hatte mir aber klar zu verstehen gegeben, dass ich niemals eine Stelle bekommen würde, die einem SED-Funktionär vorbehalten sei. Ich sollte keine Führungsposition haben, weil ich kein Genosse war. Das hat mich so geärgert, dass ich gegangen und auf Vorschlag der CDU in den Rat des Kreises gewechselt bin.

 

Wann haben Sie gespürt, dass die DDR dem Untergang geweiht ist?

Eigentlich erst richtig in der Auswertung des Weimarer Briefes vom 10. September 1989. Natürlich habe ich bereits einige Monate zuvor die Flüchtlingswelle registriert. Ich war auch später bei einigen Montagsdemonstrationen in Leipzig und in Gotha in der Augustinerkirche dabei. Da merkte ich schon, dass das nicht mehr lange gutgehen würde. Obwohl ich immer noch dachte, der Sozialismus ist reformierbar.

 

So haben es auch die Verfasser – darunter auch Ihre spätere Nachfolgerin Christine Lieberknecht – im Weimarer Brief geschrieben.

Das hat sich aber als nicht richtig erwiesen, auch wenn ich es erst nicht glauben wollte. Wenn man genauer über Glasnost und Perestroika nachgedacht hat, stellte man fest, dass das nichts bewirkt hat in Russland. Der Sozialismus war nicht reformierbar. Richtig ausgesprochen habe ich das in der Programmdiskussion zur Vorbereitung des Parteitages der CDU im Dezember 1989 in Ostberlin. Da haben wir Lothar de Maizière gesagt, er müsse klarstellen, dass der Sozialismus out ist. Er formulierte es dann so: „Der Sozialismus ist eine leere Hülse.“

 

Also waren Sie auch für eine schnelle Wiedervereinigung?

Ja. Diese Forderung ganz vieler Menschen „Kommt die DM nicht zu mir, dann gehen wir zu ihr!“ war doch ganz bewusst formuliert.

 

Wie haben Sie den Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 erlebt?

Das weiß ich noch ganz genau, denn unsere damals hochschwangere Tochter war gerade bei uns und hatte am 8. November ihren Entbindungstermin. Ich war am Abend des 9. November mit meiner Frau auf einer Versammlung der Wohnungsbaugenossenschaft Gotha. Im Anschluss saßen wir noch bei einem Glas Wein in einer Wohngebietsgaststätte, ist Ihnen das noch ein Begriff?

 

Natürlich.

Da kam der Kellner und sagte: „Herr Duchač, in Berlin ist die Mauer auf.“ Ich antwortete: „Veräppeln kann ich mich alleine“ und bin an die Theke gegangen. Dort hörte ich die Meldung im Radio. Wir haben sofort bezahlt und sind nach Hause gefahren. Meine Tochter saß vor dem Fernseher und weinte. Wir haben uns danebengesetzt und mitgeheult. Drei Tage später kam unsere Enkelin auf die Welt.

 

Wie haben Sie die Stimmung im Land unmittelbar nach der Wende erlebt?

Sehr positiv. Es herrschte Euphorie, es war nicht so traurig wie jetzt teilweise. Ich konnte als Regierungsbevollmächtigter bereits entscheidende Beschlüsse durchsetzen. Zum Beispiel war die Schmalwassertalsperre bei Tambach-Dietharz in Arbeit. Die Grünen wollten sie stoppen, weil es ein sozialistisches Projekt war. Ich habe den Weiterbau durchgesetzt. Gleiches gilt für das weit über Thüringen hinaus bekannte Panorama-Museum in Bad Frankenhausen, das sogenannte „Elefantenklo“. Das wollten einige sprengen, weil es die Kommunisten gebaut hatten. Die Menschen dachten wieder thüringisch, ganz besonders auch im Eichsfeld.

 

Obwohl es dort Bestrebungen gab, sich Niedersachsen anzuschließen.

Das stimmt. Als da aber Mitte 1990 Gerhard Schröder zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, wollten sie das nicht mehr (lacht). Die Südthüringer hätten auch nach Bayern gehen können. Ich konnte sie umstimmen, weil sie immer Arme unter Reichen geblieben wären. Es gab ein tiefes Heimat-Bewusstsein und den großen Wunsch, Thüringen wieder entstehen zu lassen.

 

Haben Sie auch deshalb auf die schnelle Neugründung Thüringens am 3. Oktober 1990 gedrängt, um einen geplanten Anschluss an Hessen zu verhindern? In Publikationen soll bereits der Name „Hessingen“ aufgetaucht sein.

Genau deshalb habe ich mich so stark für die Neu-Konstituierung Thüringens engagiert. Es gab einige Politiker und Journalisten in Thüringen und in Hessen, die sich für „Hessingen“ einsetzten. Jemand hatte damals sogar schon ein gemeinsames Logo entworfen, einen aufrecht stehenden roten Löwen auf einem grünen Untergrund. Der damalige CDU-Landesvorsitzende Uwe Ehrich war auch ein „Hessingen“-Befürworter. Ich habe ihm gesagt: „Wenn du das machst, spalte ich die CDU.“ Das hat ihn so erschreckt, dass er mich am selben Tag als Regierungsbevollmächtigten vorgeschlagen hat. Das war seine Rache (lacht). Ein Zusammengehen eines westdeutschen Bundeslandes mit einem ostdeutschen Territorium wäre damals ideologisch nicht gegangen. Deswegen war ich ein konsequenter Gegner von „Hessingen“.

 

Vom Thüringer CDU-Nominierungsparteitag reisten Sie vorzeitig ab, weil Sie nicht zum Landesvorsitzenden gewählt wurden. Stimmt es, dass Sie erst einen Tag später erfuhren, dass man Sie stattdessen zum Spitzenkandidat für die Landtagswahl auserkoren hat?

Das ist mir gleich zwei Mal passiert in meiner politischen Karriere. Auf dem CDU-Parteitag im Dezember 1989 in Berlin haben mich meine Erfurter Kollegen zur Kandidatur für den Parteivorstand überredet. Ich dachte, mich kennt keiner, ich werde sowieso nicht gewählt. Dann schreibt mich eben auf die Liste. Da ich mit dem Trabant in Berlin war und für den Abend Glatteis angesagt wurde, bin ich bereits am Nachmittag nach Hause gefahren. Um am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen, dass ich in den Vorstand gewählt wurde.

 

Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 14. Oktober 1990 wollten Sie aber schon werden?

Ja. Und Landesvorsitzender auch. Das waren zwei unterschiedliche Wahlgänge. In meiner Überheblichkeit war ich mir sicher, ich gewinne beide. Als Parteichef wurde aber Willibald Böck gewählt. Ich war überzeugt, dass ich nun auch kein Spitzenkandidat werde und bin abgereist – ohne mich von der Kandidatenliste streichen zu lassen. Am nächsten Tag war ich dienstlich in Wiesbaden und bekam einen Anruf, ich solle sofort nach Erfurt kommen, weil ich Spitzenkandidat sei. Noch am Abend habe ich mich in Erfurt mit Willi Böck, der ja auch Spitzenkandidat werden wollte, unter vier Augen ausgesprochen. Wir sind übereingekommen, dass es im Falle eines Wahlsieges aufgrund der Fülle an Aufgaben gut sein wird, zwei Führungsleute zu haben. Ich hatte es einfach versäumt, mich von der Liste streichen zu lassen.

 

Dann wären Sie aber auch kein Ministerpräsident geworden.

Ich hatte ja eigentlich mein großes Traumziel schon vorher in den Gummiwerken erreicht. Dort wurde ich am 1. Januar 1990 Betriebsleiter. Und dorthin wäre ich bei einer Wahlniederlage mit wehenden Fahnen zurückgegangen. Das heißt aber nicht, dass ich die Arbeit als Ministerpräsident mit weniger Herzblut gemacht habe.

Die Demoskopen prognostizierten eine Niederlage der CDU. Wie überrascht waren Sie, als der Balken dann bei 45 Prozent stehenblieb?

Ich war am Wahlabend nur vorsichtig optimistisch, weil die Demoskopen bei der letzten Volkskammerwahl auch danebenlagen. Am 18. März 1990 saß ich abends im Gothaer Parteibüro und hatte mir sechs, sieben schwarz-rot-goldene Anstecknadeln vor die Kreiskarte gelegt. Damals gehörten 60 Dörfer zu Gotha. In jedes, in dem wir die Mehrheit bekamen, steckte ich eine Nadel. Nach ein paar Minuten waren sie alle und wir mussten Nachschub besorgen. Das war ungewöhnlich, weil Gotha immer SPD-Land war und die Umfragen uns eine Niederlage vorausgesagt hatten. Deswegen war ich vor der Landtagswahl wieder nicht sonderlich euphorisch und konnte es dann kaum glauben, dass wir die stärkste Fraktion wurden.

 

Was waren die größten Herausforderungen in den ersten Tagen als Ministerpräsident?

Ich kann das nicht mehr genau sagen. Es stand so viel auf der Agenda. Ich hatte ja schon vorher mit dem potenziellen Koalitionspartner FDP die möglichen Minister benannt. In der ersten Kabinettssitzung haben wir dann die ersten wichtigen Aufgaben festgelegt. Als Regierungschef habe ich den Bürgern klarmachen wollen, dass es eine Identitätswirkung geben muss. Die Menschen müssen sich sicherfühlen. Und sie müssen in der Lage sein, von ihrer Arbeit leben zu können. Das wollte ich zuerst umsetzen, denn es kamen ja auch viele Kriminelle aus dem Westen. Wir waren es zum Beispiel nicht gewöhnt, die Kirchen am Abend abzuschließen. Plötzlich hatten wir ständig Einbrüche und unsere Polizisten haben in ihren Wartburgs die BMWs & Co. gerade noch gesehen, folgen konnten sie ihnen natürlich nicht. Deshalb bekamen wir aus Hessen 50 Opel Vectra für die Polizei geschenkt.

 

In Ihr Kabinett beriefen Sie hauptsächlich Seiteneinsteiger aus Thüringen. War das Strategie oder Naivität?

Ich habe im Wahlkampf gesagt, dass ich ein schmales Kabinett aus Thüringern möchte. Ich traute mir allerdings nicht zu, einen Justizminister zu finden, der in dieser neuen Situation diese Aufgabe übernehmen kann. Deshalb wurde der erfahrene hessische Anwalt und Notar Hans-Joachim Jentsch Justizminister.

 

Wie geordnet oder auch chaotisch begann Ende 1990 der neue Politik-Betrieb?

Es gab das Ländereinführungsgesetz, darin wurden die Strukturen festgelegt. Dafür hatten wir Berater aus dem Westen, das waren gute Leute. Wir hatten ja noch keine Verfassung, lediglich ein Landesstatut, damit die politische Arbeit gemacht werden konnte. Aber vieles war zunächst improvisiert: Vor Weihnachten kamen einige Minister zu mir und forderten mich auf, endlich zu klären, was sie eigentlich verdienen würden. Daran hatten wir gar nicht gedacht, dass die Minister auch Geld für ihre Arbeit bekommen. Dafür hatten wir weder Gesetz noch Satzung. Dann wurde aber in der Staatskanzlei rotiert, um sich die entsprechenden Gesetzesvorlagen aus den alten Bundesländern zu besorgen. Wir haben unseren Ministern derweil einen Vorschuss gezahlt.

 

Der Ministerpräsident vertritt sein Land im Bundesrat. Gab es einen Ministerpräsidenten-Kollegen, der Sie besonders unterstützt hat?

Walter Wallmann aus Hessen und Max Streibl sowie Edmund Stoiber aus Bayern haben uns sehr stark unterstützt. Der Streibl hat mich auch zu wichtigen Anlässen in seinem Hubschrauber mitgenommen. Unserer aus sowjetischer Produktion war so alt, dass ich lieber bei ihm mitgeflogen bin.

 

Haben Sie als Quereinsteiger den Job des Ministerpräsidenten unterschätzt, gerade auch im Hinblick auf die fehlende Erfahrung in einem demokratischen System und in der Zusammenarbeit mit der freien Presse?

Nachträglich würde ich sagen: ja. Damals nicht. Ich war ehrgeizig genug, um zu glauben, dass ich das kann. Und in aller Überheblichkeit: Ich hätte es auch länger gekonnt, wenn mich meine Partei gelassen hätte. Das Land war gut vorbereitet, als Bernhard Vogel am 5. Februar 1992 die Geschäfte übernahm. Wir haben Opel in Eisenach angesiedelt, ich war persönlich zu Verhandlungen bei General Motors in den USA. Für Zeiss in Jena konnte ich Lothar Späth gewinnen. Und mit Hilfe von Treuhandchef Detlef Rohwedder konnten wir viele andere Unternehmen in Thüringen ansiedeln oder privatisieren.

 

Warum sind Sie nach nur 15 Monaten Amtszeit am 23. Januar 1992 aufgrund von Stasi-Gerüchten, die niemals belegt wurden, zurückgetreten?

Das Misstrauen mir gegenüber war immer da. Ich war ein alter CDU-Mann aus der DDR, das war schon ein Stigma in der neuen Zeit. Dann war ich beim Rat des Kreises in Gotha. Da werden einige gedacht haben, vielleicht hat er ja doch für die Stasi gearbeitet. Das hat mir gegenüber aber niemand laut ausgesprochen.

 

Ein Magazin schrieb, dass Sie als Clown Ferdinand in einem Stasi-Heim im Thüringer Wald aufgetreten sind.

Aber auch in dem Artikel steht an keiner Stelle, dass ich ein Stasi-Mitarbeiter war. Ich bin Anfang der 1980er Jahre in dem Ferienheim aufgetreten, ohne zu wissen, dass die Gäste Stasi-Leute waren. Aufgrund meines kritischen Programms habe ich danach sogar Hausverbot bekommen. Aber das Misstrauen war trotzdem da, das war nicht wegzudiskutieren. Die Stimmung nach der Wende war aufgeheizt. Ich sollte zum Beispiel als Ministerpräsident den Chef der Staatskanzlei entlassen, weil er in der Personalakte eines Fahrers übersehen hatte, dass dieser bei der Stasi war.

 

Die damaligen Heckenschützen kamen aus Ihrer CDU. Eine Ministerin und zwei Minister entzogen Ihnen das Vertrauen.

Ich hätte nicht zurücktreten müssen. Ich habe das freiwillig getan, weil ich eben nicht mehr das hundertprozentige Vertrauen gespürt habe. Das war mir aber immer wichtig – in den Gummiwerken und in der Politik.

 

Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Ihnen den Rücktritt telefonisch verboten. Warum haben Sie nicht auf ihn gehört?

Das muss ich korrigieren. Ich bin erst zurückgetreten und habe ihn danach angerufen. Er war ungehalten und sagte laut: „Das macht man nicht, es gibt keinen Grund aufzuhören. Sie hätten miteinander reden müssen. Die Partei ist dazu da, Regierungsarbeit zu leisten.“ Wir hatten wirklich ein besonderes Verhältnis zueinander. Es gibt ja auch dieses Wahlplakat mit uns beiden mit dem Slogan „Aus Liebe zu Thüringen“. Nach einem Wahlkampfauftritt sind wir zusammen mit dem Hubschrauber zurückgeflogen. Und als wir über Gotha waren, sagte er: „Hier wohnen Sie doch, hier gehen wir jetzt mal runter.“ Wir sind dann auf dem Schlosshof gelandet und durch die Stadt spaziert. Ohne Personenschützer, wie ganz normale Menschen. In einem Café haben wir Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Am nächsten Tag stand das trotzdem in allen Zeitungen, dadurch bin ich bekannter geworden. Wer kannte mich denn in Thüringen?

 

Wären Sie auch zurückgetreten, wenn er Sie vorher angerufen hätte?

Ich glaube nicht. Dann hätte ich es so gemacht, wie er mir das vorgeschlagen hat. Mit den drei Ministern, die zurückgetreten sind, weil sie mir nicht mehr vertrauten, hätte man das klären können.

 

Haben Sie das denn im Nachhinein klären können?

Mein damaliger Finanzminister Klaus Zeh hat mit mir gesprochen, mir sogar einen Brief geschrieben.

 

Welche Ihrer als Ministerpräsident gefällten Entscheidungen würden Sie heute anders treffen?

Ich würde nicht zurücktreten!

 

Sie waren dann bis zum Renteneintritt Leiter der Auslandsvertretungen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lissabon, St. Petersburg und Budapest. Haben Sie in dieser Zeit eine andere Sichtweise auf Deutschland gewonnen?

Ich glaube schon. Mit Abstand sieht man viele Dinge anders. Aber ich bin immer stolz auf Thüringen gewesen. Ich habe häufig Thüringer Gesprächspartner zu politischen Veranstaltungen ins Ausland eingeladen. Und bin mit ausländischen Politikern, zum Beispiel mit dem Bürgermeister von St. Petersburg Anatoli Sobtschak und seinem damaligen Stellvertreter Wladimir Putin durch Deutschland gereist. Ich habe immer versucht, meine Thüringer Heimat ins richtige Licht zu setzen. In Portugal erzählte ich oft die Geschichte vom Schloss Palácio Nacional da Pena in Sintra unweit von Lissabon. Ein König ließ es erbauen, der zuvor ein Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha war: Ferdinand II. von Portugal. Ich sagte dann immer: Ihr habt euch aus Thüringen einen König geholt, und jetzt habt ihr mich (lacht).

 

Sie kamen 1946 als Achtjähriger mit Ihrer Familie als Vertriebene aus der Tschechoslowakei nach Gotha. Fühlen Sie sich als Thüringer?

Unbedingt. Ich weiß nicht, wie oft ich mit dem Rucksack über den Rennsteig gewandert bin. Als nach der Wende die Leute im Westen erfuhren, dass ich aus den Sudeten bin, haben sie versucht, mich zu den Jahrestagungen der Heimatvertriebenen-Verbände einzuladen. Ich war nicht einmal dort und habe immer einen Vertreter geschickt. Weil ich zeigen wollte: Ich bin kein Heimatvertriebener, ich bin ein Thüringer. Auch heute noch. Ich wohne zwar in Brandenburg, aber die Verbindung nach Thüringen ist immer da. Gerade vor unserem Gespräch habe ich mit Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch telefoniert. Mein früherer Regierungssprecher Michael Meinung wohnt in Erfurt, er besucht mich in der nächsten Woche. Wir haben auch noch viele Verwandte und Freunde in Thüringen.

 

Hätten Sie sich jemals gedacht, dass im Jahr 2020 in Thüringen ein Linker Ministerpräsident ist und ein Faschist der Oppositionsführer?

Nein. Das mit der AfD ist ganz schlimm. Ich hoffe, dass es die CDU auf Bundes und auf Landesebene schafft, deren Wähler zurückzuholen.

 

Und was halten Sie von Ihrem aktuellen Nachfolger Bodo Ramelow?

Bodo Ramelow ist für mich kein typischer Linker. Er könnte auch in der SPD sein. Angeblich habe ich damals, als er noch Gewerkschafter war, sein Büro vermessen lassen, weil wir für die Regierungsmitarbeiter neue Räume brauchten. Davon hat er mir kürzlich bei einem Treffen in Berlin erzählt und ich habe scherzhaft zu ihm gesagt: „Damals habe ich Ihr Büro vermessen lassen, jetzt sitzen Sie in meinem.“

 

Was wünschen Sie sich persönlich?

Das wird nicht erfüllbar sein. Ein Medizin-Professor hat bei mir am Sehnerv eine Elektrostimulation durchgeführt. Bei vielen hat das schon geholfen, bei mir leider nicht. Er denkt, dass es vielleicht in zehn Jahren eine Möglichkeit gibt, den Sehnerv mit Stammzellen wieder zu aktivieren. Ich werde es also wahrscheinlich nicht mehr erleben. Aber natürlich wünsche ich mir, dass ich wieder etwas sehen kann. Ich hoffe auf die Medizin, vielleicht geht die Entwicklung ja auch schneller.

 

Herr Duchač, vielen Dank für das Gespräch.

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus