„Das Beste, was uns passieren konnte.“

Er machte Karriere in zwei deutschen Staaten mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen. Der Ingenieurökonom Dr. Klaus Butt aus der Nähe von Eisenhüttenstadt war als jüngster Abteilungsleiter in der Staatsbank mitverantwortlich für die Finanzierung der DDR-Wirtschaft. Nach der Währungsunion am 1. Juli 1990 war er der jüngste Niederlassungsleiter einer westdeutschen Bank in den Neuen Bundesländern und war mitverantwortlich dafür, dass unter anderen in Thüringen die Unternehmen nach der Währungsumstellung sofort über liquide DM-Mittel verfügten. Ein Besuch in Leipzig, wo der 72-Jährige eine Unternehmensberatung leitet.

Wann kommt endlich der erlösende Anruf? Den ganzen Tag lässt Klaus Butt in seinem Berliner Garten sitzend sein zwei Kilogramm schweres C-Netz-Telefon in Koffergröße nicht aus den Augen. Immer wieder schaut er auf das Display. Gegen 22 Uhr ist es soweit: „Du kannst Entwarnung geben, die Mittel sind genehmigt“, sagt der Anrufer. Klaus Butt atmet erleichtert auf. Ereignet hat sich dieses Telefonat am 1. Juli 1990. Während am Tag des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in der DDR Millionen Bürger vor den Banken stehen, um sich ihr erstes Westgeld abzuholen, hat der diplomierte Ingenieurökonom ganz andere Probleme. Denn er ist bei dem gerade erst gegründeten Joint Venture der Dresdner Bank mit der Deutschen Kreditbank (der ersten Privatbank der DDR) mitverantwortlich dafür, dass am nächsten Tag, am Montag, dem 2. Juli, ab 6 Uhr die Kombinate und Betriebe in der DDR über liquide Mittel, also DM, verfügen. Denn sie ist das neue Zahlungsmittel …

Vierzehn Jahre zuvor promoviert der Ingenieurökonom Klaus Butt mit dem Thema: „Absatzvorbereitungen von Kombinaten der chemischen Industrie“. Anschließend sucht der 28-Jährige in Leipzig eine Anstellung, weil seine Frau bereits in der Messestadt lebt und arbeitet. Mehr oder wenig durch Zufall landet er bei der Staatsbank der Deutschen Demokratischen Republik. Die hat nämlich gerade verstärkt damit begonnen, ihren Geschäftsbankenbereich aufzubauen und mit Ökonomen zu besetzen. „Ich habe einfach Glück gehabt, und die Kreisfiliale war keine 100 Meter von meiner Wohnung in Wurzen entfernt.“ Schnell steigt er zum Abteilungsleiter für die Kombinatsfinanzierung auf. Und 1979 zum jüngsten Abteilungsleiter der Internationalen Investitionsbank der DDR in Moskau (Gemeinschaftsbank der RGW-Länder). Die Familie kommt mit. Klaus Butt soll mit seinen Kollegen günstiges Geld beschaffen für die Außen- und Handelsbank. Die Rahmenbedingungen für die DDR-Wirtschaft verschlechtern sich aber zusehends und somit auch die Zinsraten auf den internationalen Märkten. „Mein polnischer Kollege sagte 1981 zu mir: Jetzt seid ihr mit uns zusammen im Keller“, erinnert er sich. Im Sommer 1983 droht gar die Zahlungsunfähigkeit. Hilfe kommt ausgerechnet vom Klassenfeind aus der BRD: CSU-Chef Franz Josef Strauß, auch als „Kommunistenfresser“ bekannt, fädelt nämlich gegen alle Widerstände einen Kredit über eine Milliarde DM der Bundesrepublik an die DDR ein. Damit war der Kollaps aber nur aufgeschoben, wie wir heute alle wissen.

Im Januar 1984 wird Klaus Butt zurück nach Ost-Berlin beordert. Der Präsident der Staatsbank macht ihn zum Abteilungsleiter für die Finanzierung der metallverarbeitenden Industrie. Die Kreditvergaben an 41 Kombinate aus der Mikroelektronik, dem Fahrzeug-, Fahrzeuganlagen-, Schwermaschinen- und Landwirtschaftsmaschinenbau mit einem Kreditvolumen von 61 Milliarden Ostmark laufen fortan über seinen Tisch. Inklusive der prestigeträchtigen Umstellung von Wartburg und Trabant auf VW-Motoren. Die Planwirtschaft rechnet sich aber nicht mehr: Volkswirtschaftlich notwendige Bestände werden mit nur 1,8 Prozent finanziert, es gibt 12 Milliarden Überplanbestände, also Ladenhüter. Gleichzeitig gibt es aber auch in gleicher Höhe Minderplanbestände an Konsumgütern. Die Rückumstellung von Erdöl und Gas auf Kohle kostete über 250 Milliarden Ostmark. Dazu die Subventionen im Wohnungssektor und im Gesundheitswesen. „Die Staatsbank hat versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Währungsgefüge einigermaßen beieinander zu halten. Unsere Möglichkeiten waren aber stark begrenzt. Letztlich hat die Partei entschieden und die Dinge vorgegeben. Es gab viele Vorschläge, zum Beispiel die Subventionen im Wohnungsbau zu ändern, die Mieten anzupassen“, erzählt Klaus Butt. Alles wurde aus politischen Gründen abgelehnt. „An einem Septemberabend ’89 bin ich nach dem Studium der letzten Bilanzanalyse der Staatsbank nach Hause gekommen und habe zu meiner Frau gesagt: Wir können zuschließen. Die DDR ist definitiv pleite.“

Doch Rettung naht. Knapp zwei Monate später, am 9. November fällt die Mauer. Klaus Butt verschläft das historische Ereignis. Erst am Morgen danach sieht er auf dem Weg zur Arbeit quietschvergnügte Leute mit der Bildzeitung in der Hand. Unter der neuen Regierung Modrow ist die Staatsbank nur noch der Volkskammer gegenüber rechenschaftspflichtig und nicht mehr Partei und Regierung. Bereits im Dezember hat Klaus Butt seinen ersten Termin bei Ernst-Moritz Lipp, dem Chefvolkswirt der Dresdner Bank in Frankfurt am Main. Es geht um die Übernahme der Filialen der Staatsbank. Wie ein Bittsteller hat er sich nicht gefühlt, „aber man ist schon wie ein Exot behandelt worden. Wir haben uns aber nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Ich war ja schon im internationalen Geschäft tätig, hatte auch in Moskau mit Leuten von der Dresdner Bank zu tun. Die kannten mich also. Es fehlte natürlich an der einen oder anderen Flanke noch ein bisschen an Wissen. Ich wusste aber genau, was ich wollte.“

Bereits Anfang Januar folgen die ersten Gespräche zwischen hochrangingen Vertretern der DDR und der BRD über eine Währungsunion noch im Jahr 1990. Im April wird die Deutsche Kreditbank gegründet, Klaus Butt wird ihr Generalbevollmächtigter. Für die Dresdner Bank bereitet er von Dresden aus die Übernahme von 72 Filialen und 3.400 Mitarbeitern, davon ungefähr 800 in Thüringen, der Staatsbank vor. Am 27. Juni wird die Dresdner Bank Kreditbank AG gegründet. „Damit war eine Grundlage geschaffen worden, um die Währungsunion organisatorisch durchzuführen“, erläutert Klaus Butt. „Die Währungsunion betraf aber nicht nur die Privatleute, die am 1. Juli ihr Geld gewechselt haben. Mein Schwerpunkt war, dass die Kombinate am Montag danach über D-Mark verfügen. Ich musste absichern, dass die Unternehmen am 2. Juli Liquidität hatten. Dafür mussten wir das alte mit dem neuen Kreditsystem vernetzen.“ Insgesamt hat die Dresdner Bank Liquiditätskredite in Höhe von 27 Milliarden DM ausgereicht. Am Montagnachmittag kam der Bankvorstand in Dresden zusammen. „Uns wurde schnell bewusst, dass die Kombinate ohne Limit finanziert sind. Sie könnten also in die Kreditkasse reingreifen, wie sie wollen. Es gab aber kaum exzessive Zugriffe. Wenn, dann war es ein Joint Venture mit Hauptsitz in der BRD.“

Zur schnellen Währungsunion und der drei Monate darauf folgenden Deutschen Einheit gab es für den Banker „keine Alternative. Das Volk der DDR wollte die D-Mark und die Wirtschaft war am Ende. Sie sah von außen besser aus, als sie es tatsächlich war. Volumenmäßig gehörte der Arbeiter- und Bauernstaat zwar immer zu den stärksten Industrienationen, vieles war dadurch verklärt. Aber seit die Russen die Erdöllieferungen gekürzt hatten, sind wir nicht mehr mit dem Hintern hochgekommen. Die ganze Subventionspolitik war zudem für die Katz.“ Nach der Währungsunion beschäftigt sich Klaus Butt bei der Dresdner Bank mit Reprivatisierungen und Finanzierungen. „Manch’ Privatisierer hat mir leidgetan, weil er viel zu viel bezahlt hat. Stattdessen haben große westdeutsche Unternehmen DDR-Kombinate für einen Apfel und ein Ei bekommen, die Schulden mussten sie auch nicht übernehmen. Viele Reprivatisierer haben es leider nicht geschafft.“

In Thüringen betreute Klaus Butt unter anderen das Ruhlaer Uhrenwerk und das Stahlwerk Thüringen in Unterwellenborn. Er saß viele Jahre im Aufsichtsrat beim Funkwerk Kölleda, bei einer Jenoptik-Tochter, beim Stahlwerk Thürigen sowie der Bürgschaftsbank Thüringen und im Beirat der Landesentwicklungsgesellschaft. Mit Finanzminister Andreas Trautvetter legte er die erste Landesanleihe des Freistaates auf. Anfang 2000 schied Klaus Butt bei der Dresdner Bank aus und gründete in Leipzig seine eigene Beratungsgesellschaft mit Schwerpunkt Unternehmensfinanzierung.

Ans Aufhören denkt der 72-Jährige aber noch nicht. „Ich mache gerne noch weiter, aber nur noch moderat.“ Bei der Verabschiedung sagt er noch, als wolle sich das ehemalige SED-Mitglied mit leerer Stasi-Akte entschuldigen: „Unter heutigen Aspekten war es das Beste, was uns damals passieren konnte. Wenn es natürlich auch viele traurige Einzelschicksale gegeben hat. Die Währungsunion in dieser Konstellation war unumgänglich. Vielen Dank für Ihren Besuch. Es war schön, mal wieder über diese aufregenden Zeiten gesprochen zu haben.“

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus