„Nur wenn alle eine solche Aufgabe auch als ihre betrachten, schaffen wir das.“

Um auf dem Höhepunkt der Corona-Krise den kleinen und mittleren Unternehmen und vielen Selbstständigen im Freistaat schnell Hoffnung geben zu können, haben die 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Thüringer Aufbaubank (TAB) innerhalb von nur zehn Wochen über 70.000 Anträge der Corona-Soforthilfe bearbeitet und über 300 Millionen Euro ausgezahlt. Ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Matthias Wierlacher über einen schwarzen Schwan, Verantwortungsgefühl und die richtige Geldanlage.

Sehr geehrter Herr Wierlacher, Sie sind seit Anfang der 1990er-Jahre in Führungspositionen tätig, seit 2002 als Vorstandsvorsitzender der TAB. Haben Sie sich jemals vorstellen können, dass die deutsche Wirtschaft in einen Lockdown gezwungen wird?

Wir sitzen regelmäßig in der Bank zusammen, um darüber nachzudenken, was an den Kapitalmärkten passieren könnte. Also auch über Dinge, die wir erst einmal so nicht sehen und die man für unwahrscheinlich hält – wenn sie aber eintreten, trotzdem große Auswirkungen haben. Im Kapitalmarkt-Deutsch redet man von sogenannten schwarzen Schwänen. Wir haben alle möglichen Szenarien durchdiskutiert, dass der Ölpreis ins Bodenlose fällt oder ganz stark steigt, dass die Schwellenländer in eine schwierige wirtschaftliche Situation kommen könnten. Auf eine Pandemie mit solch einer allumfassenden Wirtschaftsbedrohung sind wir nicht gekommen. Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen, das konnte glaube ich keiner.    

 

Wann haben Sie gespürt, dass die Corona-Krise der deutschen und somit auch der Thüringer Wirtschaft extrem Schaden wird?

Das war Mitte März, als mich Bekannte und mehrere Unternehmer angesprochen und mir ihre Sorgen mitgeteilt haben. Das ist dann nochmal eine andere Dimension, als wenn wir in der Bank etwas am Ende doch sehr Abstraktes auf dem Tisch haben, das nie diese Breitenwirkung hat.

 

Wie haben Sie darauf in der Bank reagiert?

Wir haben am 13. März im obersten Führungskreis die Krisen-Situation eingeschätzt. Ein Mitarbeiter wies darauf hin, dass uns unser Hilfs-Programm von der   Hochwasserkatastrophe 2013 helfen könnte. Drei Tage später bat uns Wirtschaftsminister Tiefensee, ein entsprechendes Corona-Hilfsprogramm zu entwickeln. Aufgrund des Hochwasserprogramms, das wir als Grundlage nehmen konnten, sind wir sehr schnell in die Corona-Hilfe-Umsetzung gekommen, um den Menschen helfen zu können. Thüringen war dadurch bundesweit sehr früh dran mit den Auszahlungen.      

 

50.000 Telefonate über die Hotline, 70.000 Anträge in zehn Wochen bearbeitet und über 300 Millionen Euro Soforthilfe ausgezahlt. Sie sprachen von einer Herkulesaufgabe für die TAB. Was war die größte Herausforderung für das Haus und vor allem für die Mitarbeiter?

Es gab und gibt immer noch regelmäßige Abstimmungsrunden mit den Ministern, den Geschäftsführern der Handwerkskammern, der IHKen, den Gewerkschaften, dem Verband der Wirtschaft – allen, die dazu gehören. Alle haben sich eingebracht. Das war ein Teil des Erfolgs. Unsere erste Einschätzung ging von 20.000 Anträgen aus, was 500 bis 800 Bearbeitungen pro Tag bedeutet hätte. Und das war schon eine Dimension. Schließlich waren es über 70.000 Anträge und wir haben stabil über 2.000 Anträge pro Tag hinbekommen.

Wir mussten über die Bereichs- und Abteilungsgrenzen hinweg die Einheiten ganz anders zusammensetzen. Dafür haben wir die gesamte Bank auf die Abwicklung dieses Projektes ausgerichtet. Alle 440 Mitarbeiter, inklusive Vorstand. Aus Zeitgründen haben wir mit einer papiergebundenen Antragsform angefangen, die Web-Variante war nach einer Woche fertig. Bis dahin mussten alle Daten von tausenden Papieranträgen schnell in das IT-System übertragen werden, damit die Anträge bearbeitet werden konnten. Bis heute begeistert mich, mit welchem Verantwortungsgefühl unsere Mitarbeiter mitgezogen haben. Wir haben bis Ende Mai auch an den Wochenenden gearbeitet, auf freiwilliger Basis. Am Samstag vor Ostern war ich mit 120 Mitarbeitern im Büro, als mir eine Mitarbeiterin sagte: `Herr Wierlacher, wir sehen doch alle die Stapel auf den Tischen und die Menschen draußen warten doch auf ihr Geld.` Da war ich echt berührt.

Auch der komplette Vorstandsstab hat an der Hotline Fragen beantwortet, selbst an Wochenenden. Das war ein wichtiges Signal für die Mitarbeiter: Nur wenn alle eine solche Aufgabe als ihre betrachten, schafft man das.

 

Die Krise ist noch nicht vorbei. Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal einen historischen Einbruch erlitten. Das Bruttoinlandsprodukt – kurz: BIP – schrumpfte in den Monaten April bis Juni gegenüber dem Vorquartal um 10,1 Prozent. Das war der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen im Jahr 1970. Wie geht es der Thüringer Wirtschaft?

Es gibt natürlich Branchen, die durch Corona extrem stark beeinträchtigt sind, Stichwort Veranstaltungen, Theater, Kultur im Allgemeinen. Viele Unternehmer haben mir während des Lockdowns gesagt, das Schlimmste sei, dass die Politik nicht sagen könne, wann es wieder losgeht. Aber auch die Politiker sind ja keine Hellseher. Aber ich verstehe den Unternehmer natürlich, der will planen. Andererseits muss man auch fairerweise sagen, dass in manchen Branchen Corona die bereits vorhandenen Probleme nur noch verstärkt hat.

Sie sprechen die Automobilbranche an?

Ja. Thüringen hat sich in den letzten zehn, zwölf Jahren sehr gut entwickelt. Wir sind ganz stark in Automotiv, Maschinenbau, Metallverarbeitung, Optoelektronik, Medizintechnik, Gummi, Kunststoff – wobei viele dieser Dinge am Ende dann doch wieder im Auto landen. Wir haben in diesen Bereichen viele Unternehmen, die sich extrem gut entwickelten. Die auch Eigenkapital geschaffen haben. Aber wir erleben seit mindestens anderthalb Jahren, dass der Automobilbereich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Probleme hat. Die Verkaufszahlen gehen seit 2018 zurück, und jetzt kommt noch Corona dazu. Und wenn zum Beispiel Volkswagen die Bänder anhält, dann machen unsere Zulieferbetriebe gar nichts mehr. Das tut uns weh und wir wissen auch nicht, wie sich das kurz- und langfristig entwickeln wird. Die industrielle Basis steht bei uns vor einem enormen Anpassungszwang und den werden manche nicht schaffen. Mal ganz davon abgesehen, dass viele Unternehmer nach wie vor Probleme haben, einen Nachfolger zu finden.      

     

Mitte Juli verabschiedete die Thüringer Landesregierung ein Investitions- und Modernisierungspaket im Umfang von rund 800 Millionen Euro, mit dem die wirtschaftliche Erholung verstärkt und das Land am Ende gestärkt aus der Krise herauskommen soll. Wie wird dieses Paket umgesetzt?

Dieses Paket verteilt sich auf ganz viele unterschiedliche Positionen und es sind auch einige Institutionen an der Umsetzung beteiligt. Wo es um Wirtschaftsakteure geht, im gewerblichen und gemeinnützigen Bereich, da sind wir mit einbezogen. Aktuell arbeiten wir mit den entsprechenden Ministerien zusammen an der Umsetzung eines Fahrplans, wie die Unterstützung erfolgen soll.

 

Seit Anfang Juli arbeitet die TAB das Konjunkturpaket des Bundes mit fast 60 Maßnahmen ab. Eine davon ist die Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, Selbstständige sowie gemeinnützige Organisationen. Warum darf der Antrag nur von einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer eingereicht werden?

Das ist eine gute Frage. Man möchte seitens des Bundes natürlich Betrugsfälle von vornherein auf ein Minimum beschränken. Deswegen können die Anträge nur noch über einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer eingereicht werden. Dafür gibt es eine einheitliche IT-Plattform für alle Bundesländer. Ich will nicht verhehlen, dass ich davon nicht wirklich überzeugt bin. Die Antragszahlen auf Überbrückungshilfe sind aktuell auch viel geringer, als wir gedacht haben. Das liegt auch daran, weil das Antragsformular unendlich komplizierter ist als bei der Sofort-Hilfe. Und viele Kleinunternehmer und Soloselbstständige haben gar keinen Steuerberater, von einem Wirtschaftsprüfer ganz zu schweigen.

Dabei gibt es für uns überhaupt keinen Zweifel, dass die Überbrückungshilfe notwendig ist.

 

…weil bis Ende September die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist?

Genau. Dies soll vielleicht bis Ende Dezember ausgedehnt werden. Die Gefahr, dass dann innerhalb kürzester Zeit eine Häufung an Insolvenzanträgen kommt, wird aber immer größer. Es sei denn, es gelingt, sich Zeit zu erkaufen bis wir vom Grundsatz her gesamtwirtschaftlich wieder ein freundlicheres Umfeld haben. Das ist mir aber gegenwärtig zu optimistisch gedacht. Ich bin da kritischer; auch, wenn ich mir die Situation der Weltwirtschaft ansehe. Stichwort Handelskonflikt zwischen den USA und China. Wir werden eine Erholung haben, ja. Aber ob wir uns längerfristig auf einem hohen wirtschaftlichen Niveau weiterentwickeln, weiß heute keiner. Ich bin skeptisch, das sage ich ganz ehrlich. Und da kommt Corona noch dazu.

 

Jetzt müssen Sie aber als erfahrener Banker den verunsicherten Menschen noch etwas Hoffnung geben. Welche Anlagestrategie würden Sie denn aktuell empfehlen?

Lieber gar keine (lacht).

 

Also doch das Kopfkissen?

Nein, ich möchte lieber keinen Rat geben. Das kann nur daneben gehen. Mein Vater rief mich vor einem Vierteljahr auch an. Ich sagte ihm, dass er das mal lieber selbst machen soll. Weil ganz egal was ich sage, hinterher wäre es immer falsch. Das ist aktuell nicht einfach. Diese Diskussion führt man ja auch im Bekanntenkreis: ,Du bist doch bei der Bank, sag mal was…‘

 

Der Goldpreis steigt gerade wieder….

Ich war noch nie ein Freund des Investments in Gold. Die, die Gold kaufen, tun es meistens nicht aus Gründen der Rendite, sondern weil sie Währungsunsicherheiten befürchten.

 

Die Immobilienpreise steigen trotz Corona weiter.

Das ist ein Phänomen. Wenn das Bestreben der Menschen, gern in ihren eigenen vier Wänden leben zu wollen, so bleibt – und das glaube ich – und wenn wir weiterhin ein so niedriges Zinsniveau haben, wovon ich auch ausgehe, dann ist ein Immobilieninvestment unter der Prämisse, dass ich mich nicht zu völlig überteuerten Verkaufspreisen hinreißen lasse, nicht falsch. Denn Geldanlagen wie Sparbuch und festverzinsliche Papiere sind aufgrund der niedrigen Zinsen höchst uninteressant. Am Ende würde ich sagen, ist ein langfristig angelegtes und breit gestreutes Aktiendepot in Fondsstrukturen immer noch das Richtige. Da hat man eine gute Mischung aus Rendite und Risiko. Ich hatte auch Wirecard-Aktien, hinterher sagte mir meine Frau: ,Es stand doch schon vor Monaten in allen Zeitungen, dass da etwas nicht stimmt. Hast du wieder unser Geld vergeigt?‘ Ich habe aber auch noch ein paar andere Aktien, die sich gut entwickelt haben. Man muss einfach streuen. Aber eine eigene Wohnung, ein eigenes Häuschen ist natürlich auch etwas sehr Gutes.

    

Herr Wierlacher, vielen Dank für das Gespräch.

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus