„Ich bin eine angeheiratete Puffbohne“

Ostermontag, 8.30 Uhr im Frühstücksraum eines Erfurter Hotels. TOP ist verabredet mit einem der bekanntesten und vielseitigsten Medien-Stars Deutschlands. Wigald Boning. Der zweifache Familienvater ist mit einer Erfurterin verheiratet und hat als Komiker, Musiker und Moderator so ziemlich alle wichtigen Preise gewonnen, Millionen Platten verkauft und ein erfolgreiches Buch über seine „Sucht“ Extremsport geschrieben.

Bei Kaffee und Müsli spricht der 42-Jährige über Fernsehsendungsniederlagen, Goldmedaillen, Helge Schneider und eine Politikerkarriere.

Herr Boning, waren Sie heute schon sportlich unterwegs?

(Lacht) Nein, noch nicht. Ich war zwar gegen sechs kurz wach und habe tatsächlich überlegt, aber dann doch weitergeschlafen. In Erfurt habe ich ja meine Standard-Laufstrecke – vom Hotel zum Waldcasino, dort noch eine Runde auf dem Blindenpfad und wieder zurück. Das ist genau eine Stunde.

 

Wie oft sind Sie in Thüringen?

So zwei, drei Mal im Jahr. Früher war das häufiger, als meine Schwiegermutter noch hier wohnte und die Kinder kleiner waren. Ich fühle mich Erfurt sehr verbunden, bin ja auch eine angeheiratete Puffbohne. Ich finde die Stadt total angenehm und könnte mir sogar vorstellen, hier zu wohnen.

 

Haben Sie eigentlich Ihre Niederlage bei „Schlag den Star“ schon verkraftet?

Natürlich. Das war ja eine Fernsehsendungsniederlage. Und die unterscheidet sich von den Niederlagen im wirklichen Leben stark.

 

Etwas zerknirscht sahen Sie aber schon aus …

Ach, Das ging schon völlig in Ordnung. Ich hatte einen ebenso starken wie netten Konkurrenten, und als der mir vor dem abschließenden Elfmeterschießen sagte, dass er seit 25 Jahren Fußball spielt, ist mein Kampfgeist abrupt implodiert. Fußball hat mich von allen Sportarten auch noch nie richtig interessiert.

 

Dafür haben Sie sich aber in Ihrer Jugend im Diskuswerfen einiges ausgerechnet. Warum hat das nicht geklappt?

Das war die Sportart, in der ich geglaubt habe, bis in die Weltspitze vordringen zu könnten. Das war so bis ich 15 war und 1982 bei den Niedersächsischen Landesmeisterschaften Letzter wurde. Das hat mich dann kuriert. Seitdem habe ich Wettkampfsport ignoriert.

 

Bis Heike Drechsler 2000 in Sydney die Goldmedaille im Weitspringen gewann?

Als ich damals vor dem Fernseher saß, dachte ich, hm – die ist jetzt annähernd so alt wie du und es reicht immer noch für eine Goldmedaille. Vielleicht solltest du es auch nochmal probieren.

 

Zur Goldmedaille hat es nicht gereicht, aber für einige formidable Auftritte wie Ultramarathon, 24-Stunden-Mountainbiking, 600 Kilometer in einem Tag mit dem Rad von Füssen nach Venedig …

Tatsächlich treibe ich seitdem regelmäßig Sport und konnte auch schon einige interessante Abenteuer hinter mich bringen.

 

Es ist ja nicht so, dass Sie sonst nichts zu tun hätten. Sie sind erfolgreich als Komiker, Komponist, Musiker, Moderator und Autor. Woher kommt also Ihre nicht enden wollende Energie?

Ich habe niedrigen Blutdruck, da ist es schon mal grundsätzlich gut frühmorgens Sport zu treiben. Weil sich die Lebensqualität dadurch hebt, das hat nicht so viel mit Energie zu tun. Ich glaube aber, dass ich einen Großteil dieser fantastischen Vorhaben, die ich so hatte, jetzt abgearbeitet habe. In den nächsten Jahren wird sich das in Richtung Tourismus verschieben. Es macht mir mehr und mehr Spaß, mit dem Fahrrad in Städte zu fahren. Das Tempo spielt dabei eine immer weniger entscheidende Rolle. Ich könnte mir also vorstellen, dass ich auch mit 60 noch mit dem Rad nach Venedig fahre, aber dann in zwei Tagen und nicht mehr in einem.

 

In Ihrem Buch „Bekenntnisse eines Nachtsportlers“ bezeichnen Sie Ihren Bewegungsdrang als Sucht.

Ich bin ja kein Neurologe, aber ich glaube, dass es so eine Art Suchtgen gibt. Bei mir ist das sehr ausgeprägt. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass ich morgens um fünf irgendwelche Chemikalien einwerfe. Ich kann mein Suchtgen ganz gut einsetzen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Man muss einfach nur lernen, sich in die richtige Richtung zu manipulieren.

 

Sie manipulieren also Ihren Tagesablauf, um Beruf, Familie und Sport unter einen Hut zu bringen?

Ich versuche vieles miteinander zu verbinden. Wenn ich zum Beispiel zum Flughafen muss, überlege ich, ob ich die Strecken nicht mit dem Fahrrad oder laufend hinkriege. Wie schwer ist der Rucksack, den ich für die darauffolgende Reise tragen müsste? Macht das Laufen dann Sinn? Habe ich am Flughafen noch Zeit zum Duschen und Umziehen? Allein das Nachdenken darüber macht mir schon immer Spaß.

Welche war denn Ihre bislang verrückteste sportliche Aktivität?

Tretbootfahren immer im Kreis – das war schon außerordentlich absurd. Auf einem kleinen See wollte ich das 24 Stunden machen, habe aber dann irgendwann abgebrochen. Mit dem Rad nach Paris, zum Teil auf Schnellstraßen, würde ich so auch nicht nochmal machen.

 

Sie laufen auch stundenlang mit Skiern Berge hinauf. Denken Sie dabei auch manchmal, was mache ich hier eigentlich?

Eher selten. Ich kann mich ganz gut überlisten, in dem ich das Ganze in Zeiten einteile und nicht über die Strecke nachdenke. Zwei Stunden – dann Pause – dann weiter. An dieses Zweistundenmaß bin ich gewöhnt, so lange kann ich mein Gehirn ausschalten. Andere Leute häkeln zwei Stunden, da denkt ja auch keiner, Mensch, sind die blöd.

 

Sind Sie durch den Extrem-Sport ein anderer Mensch geworden?

Extrem ist ja immer relativ. Der Sport hat meine Lebensqualität bereichert, und das schon extrem. Also in dem Sinne ist es Extremsport.

Ich verbinde mit dem Sport ganz starke und einzigartige Erlebnisse. Man entdeckt ja Städte ganz anders, viel intensiver, wenn man sie mit dem Rad erkundet. Und natürlich macht es mich auch Stolz, wenn ich es geschafft habe.

 

Leidet Ihre Familie unter Ihren Hobbys?

Ich versuche meine sportlichen Aktivitäten so zu legen, dass ich mehr Zeit für meine Familie habe. Deswegen auch der Nachtsport. Ursprünglich wollte ich bei dem schönen Wetter mit dem Rad von Füssen nach Erfurt fahren. Ich bin dann aber doch mit der Familie im Auto mitgefahren und habe die meiste Zeit geschlafen. Da war mein Beitrag zum erfüllten Familienleben auch eher begrenzt.

 

Ihre Frau hat Sie anfangs Ihrer Hobbys wegen belächelt. Hat sich das mittlerweile geändert?

Da hat sich nichts geändert. Sie lächelt immer noch. Mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt.

 

Aber zum Mitmachen konnten Sie Ihre Familie bislang nicht animieren?

Ich unternehme einmal im Jahr so einen ganz zarten Versuch. Dann frage ich, ob wir nicht mal so was als Familie veranstalten könnten. Aber für meine Kinder ist das wohl langweilig, längere Zeit auf dem Fahrrad zu sitzen. Die spielen lieber Fußball.

 

Kommen Ihnen während des Sports Ideen für den Job?

Nein, leider nicht. Ich höre immer nur, dass viele Leute beim Joggen die tollsten Ideen haben. Das ist mir noch nicht passiert. Auch Endorphine, die dann zum Runners high führen, sind mir bisher noch nicht begegnet.

 

Woher kommen dann Ihre Geistesblitze?

Das ist schwer zu sagen. Vieles entwickelt sich so wie ein einziger langer Strom. Im Moment zum Beispiel schreibe ich an einem Buch, in dem es grundsätzlich um Reisen geht. Da habe ich ja die letzten Jahre einiges erlebt. Dann spricht man mit einem Verlag … und so weiter. So ist das mit vielen Dingen.

 

Als Musiker haben Sie 1983 in einer Punkband Premiere gefeiert, später kamen „Die Doofen“ und jetzt haben Sie im letzten Dezember das hoch gelobte Jazz-Album „Jet Set Jazz“ herausgebracht. Sind Sie reifer geworden?

Zum Thema „Die Doofen“ würden Olli Dittrich und mir nichts mehr einfallen. Das ist durch. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht weiterentwickeln. Olli hat seine eigene überzeugende Soloplatte gemacht. Meine Platte ist ganz anders. Ich habe in meiner Jugend schon in Bands gespielt, die Punk mit Jazz verknüpft haben. Von daher kannte ich mich schon ein wenig aus.

Ist dann vielleicht „RTL-Samstag-Nacht“ als einstiger Quotenhit reproduzierbar?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Fernsehlandschaft hat sich zu sehr verändert. Außerdem stehen alle von damals im Berufsleben und haben eigene Shows.

 

Sind Comedy-Shows derzeit im Fernsehen inflationär?

Eine Weile kam mir das so vor, aber das ist schon ein paar Jahre her. Im Moment wird ja eher gar nicht produziert, sondern vorwiegend wiederholt. Aber der gemeine Zuschauer kriegt das nicht so mit.

 

Worüber lacht Wigald Boning?

Mein größter Held der deutschen Comedy ist und bleibt Helge Schneider. Egal was der sich ausdenkt, das gefällt mir immer alles. Er ist auch extrem unterbewertet. Ich glaube, dass er zusammen mit Gerhard Richter der wichtigste deutsche Künstler nach dem Krieg ist. Er wird auch immer so hingestellt, als hätte er sie nicht mehr alle. Dabei ist er ein begnadeter Musiker. Es gibt keinen, der es geschafft hat, in so vielen unterschiedlichen Bereichen seine Handschrift durchzusetzen. Ansonsten habe ich noch mehr so persönliche Heroen, wie Jaques Tati. Den kann ich mir immer ansehen. Ich kann über alles Mögliche lachen, gern auch über unfreiwillige Witze. Davon gibt es ja viele im Fernsehen.

 

Für ein Fernseh-Interview mit Jürgen Drews haben Sie den Grimme-Preis bekommen. Das müssen Sie uns erklären.

Ja, und der wurde dann leider gar nicht zur Preisverleihung eingeladen. Da hat tatsächlich niemand dran gedacht. Jürgen Drews ist über 60 und meiner Meinung nach unbestritten der sexieste Mann in dieser Alterklasse in Deutschland. Ich kann aber selbst nicht beurteilen, was an dieser WIB-Schaukel-Folge Grimme-Preis-würdig war. Aber es war ein denkwürdiger Tag. Wir haben in der Villa eines Multimillionärs auf Mallorca gedreht. Ein Interview mit dem wäre auch schon preiswürdig gewesen. Dann war ich auch kurz mit Jürgen Drews im Gefängnis, weil wir ohne Drehgenehmigung an der Promenade gedreht hatten. Wir kamen dann erstmal in eine Zelle in einer kleinen Polizeistation. Als ich mir dort einen Kaffee holen wollte, habe ich die Hälfte daneben gekleckert. Da war der Polizeikommissar extrem sauer. Aber Jürgen Drews hatte die Telefonnummer eines guten RTL-Anwalts. Der hat das dann für uns geregelt.

 

An dem Thema Bekleidung kommen wir bei Ihnen nicht vorbei. Wie ist Ihr extravaganter Stil entstanden?

Das waren die 80er-Jahre. Man denke an das Taschengeldbudget und H&M machte gerade auf. Dort habe ich mir einen Fischgräten-Anzug gekauft und am Wochenende danach mit dem neuen Anzug einen Parkettboden mit der Flex bearbeitet. Der Anzug war dann natürlich kaputt. Damit ich ihn nicht wegwerfen musste, habe ich genau das zu meinem Stilideal erklärt.

 

Mit Protest gegen die Gesellschaft hatte das nichts zu tun?

Nein. Gar nicht. Nicht bewusst. Es war einfach klar, dass mir dieser Stil besonders gut gefällt. Aber vielleicht unterbewusst, das kann sein.

 

Wer designt Ihre Anzüge heute?

Niemand. Ab und zu kaufe ich mal was ein. Ich denke da nicht so drüber nach. Zu Samstag-Nacht-Zeiten wurde da sehr viel Energie darauf verwendet. Dass ich mit einer Kostümbildnerin liiert war, führte dazu, dass es ständig Anproben gab. Das ging mir ziemlich auf den Senkel.

 

Aber Ihre Outfits sind zu Ihrem Markenzeichen geworden.

Lustig ist, wie lange sich dieses Markenzeichen hält. Seit vielen Jahren schon sitze ich nur im Polohemd rum.

 

Was wollten Sie eigentlich als Kind mal werden?

Also Lehrer wäre ganz gut gewesen, für Musik oder Kunst vielleicht.

 

Wer hat Sie dann inspiriert, Ihren jetzigen Weg einzuschlagen?

Charly Parker. Als ich den das erste Mal hörte, dachte ich so nach drei Sekunden: „Das klingt ja verrückt.“ Und nach zehn Sekunden: „Das will ich auch können.“ Das hat bis 1989 gedauert. Da musste ich mir ein zweites Standbein überlegen, weil ich nur von Musik nicht leben konnte. Und das war dann eben Fernsehen.

 

Derzeit sehen wir Sie bei „Clever“ und „Genial daneben“. Gibt es neue Pläne oder Projekte?

Eine Menge, aber nichts, was jetzt schon spruchreif ist.

 

Machen Sie sich Sorgen um Ihre TV-Karriere?

Nein, irgendwas ist ja immer offen. Aber dieses Jahr bin ich noch mit dem Schreiben des Buches beschäftigt, das im nächsten Frühjahr herauskommt. Dazu gibt es demnächst eine Fotoausstellung in Düsseldorf von mir. Die beschäftigt sich mit kleinen Häusern, die ich während meiner Reisen fotografiert habe.

 

Sie engagieren sich auch in der FDP. Ist Wigald Boning ein politischer Mensch?

Ja, das bin ich schon und schon immer gewesen. Ich war sogar bei den „Jungdemokraten“, das war der Vorläufer der Jungen Liberalen. Ich fühle mich dem Gedanken des Liberalismus tatsächlich verbunden.

 

Also wird die FDP uns aus der Wirtschaftskrise führen?

Wenn ich das mal ganz überzeugt mit ja beantworten könnte. Das weiß ich jetzt auch nicht so richtig. … Ich versuche immer meine politische Überzeugung von meiner Arbeit zu trennen. Weil sich das überhaupt nicht miteinander verbinden lässt. Wenn ich mal FDP-Politiker werde wollte, müsste ich vorher meine Fernsehkarriere komplett abgeschlossen haben. Mich würde ja sonst keiner ernst nehmen. Wenn, dann erst in 40 oder 50 Jahren. Dann bin ich aber für Politik schon zu alt.

 

Dann doch lieber mit dem Rad um die Erde fahren?

Dieses Jahr? Sehr gerne, ich glaube ich hab Ende Oktober noch ein freies Wochenende …

 

Herr Boning, vielen Dank für das Gespräch.

 

Fotos: pikarts