Die Mutter der Maus

Am 7. März 1971 trat „die Maus“ zum ersten Mal in der Sendung „Lach- und Sachgeschichten“ auf. Schon ein Jahr später wurde diese auf Grund des großen Erfolgs in „Die Sendung mit der Maus“ umbenannt. Die orangefarbene Maus mit den Klimper-Kulleraugen ist bis heute ein Star. Und das hat sie vor allem ihrer Schöpferin zu verdanken, die sowohl ihr Aussehen als auch ihren Charakter geprägt hat: Isolde Schmitt-Menzel. Die gebürtige Eisenacherin feierte am 11. April 2021 in ihrer Wahlheimat Texas ihren 91. Geburtstag.

11. April 1930 erblickt Isolde Schmitt-Menzel in Eisenach das Licht der Welt. Als Kind verbringt sie viel Zeit in der Natur. Sie beobachtet, malt und zeichnet bereits mit vier Jahren Tiere, Pflanzen und fantasievolle Geschöpfe. Und Porträts von Schwester und Bruder. Natürlich reitet sie auch mit dem Esel auf die Wartburg, läuft auf dem zugefrorenen Prinzenteich Schlittschuh, schwimmt im Sommer im Alexanderbad und wandert durch die Drachenschlucht. Als sie neun ist, beginnt der Zweite Weltkrieg. Damit die Familie kein Hunger leiden muss, geht sie mit der Mutter auf die Felder stoppeln. Sie sammeln Weizenähren und Kartoffeln, im Wald Pilze und Beeren.

 

Mit 15 erhält sie Zeichenunterricht, mit 18 geht sie nach Halle an der Saale und studiert an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Buch- und Schriftgrafik sowie Freie Keramik. Nach dem Ende des Studiums flieht sie 1950 bei Herleshausen aus der DDR in die BRD. Anschließend gelangt sie nach einer Hospitanz in der Keramik-Werkstatt in Dießen an die Werkkunstschule in Offenbach. Es folgen Jahre intensiver künstlerischer Arbeit, in denen sich Isolde Schmitt-Menzel verschiedenen Künsten widmet – unter anderem entstehen große Wandbilder, Teppichentwürfe und Holzschnitte. Die dreifache Mutter lebt in Köln und Frankfurt, bis sie 1971 nach Bad Homburg zieht. Hier richtet sie sich ihre eigene Keramik-Werkstatt ein und gestaltet Gefäße, Reliefs und Skulpturen, die sie später in Bronze gießen lässt. Außerdem entwirft sie auch „Kunst am Bau“, schafft Werke für die Kirche Sankt Klara in Wiesbaden oder fertigt ein Kreuzweg-Relief für Sankt Sebastian in Oberursel-Stierstadt.

 

Außer figürlichen und abstrakten Ölbildern, Aquarellen, Zeichnungen, Grafiken und Keramiken oder Batiken widmet sich die Künstlerin immer wieder auch der Buchkunst. Sie illustriert unter anderem Texte von Marie Luise Kaschnitz oder Friedrich Hölderlin, gestaltet Bücher und malt Bildergeschichten. Ihre ersten Aufträge für das Fernsehen erhält sie 1968 vom Hessischen Rundfunk: „Wibbelsterzchen“ oder „Affengeschichten“ heißen ihre ersten Geschichten, die dann mit der Kamera abgefilmt wurden. Und auch Kurzgeschichten für das Sandmännchen sind in dieser Zeit entstanden, wie die „Maus Kathrein“ und „Der dicke Mann“.

 

Im Jahre 1969 bekommt sie schließlich vom WDR den Auftrag, eine Bildergeschichte mit dem Titel „Maus im Laden“ zu illustrieren. Damit beginnt die Geschichte oder vielmehr die Vorgeschichte der Maus. Wie sich die Künstlerin erinnert, war diese Bildergeschichte langweilig: „Da waren nur diese Zuckerdinger und Mehltüten zu malen … und die Mäuse auch noch grau. Ich entschied mich, sie alle verschiedenfarbig zu machen. Eine war orange mit braunen Ohren, das war der Held. Die hat dem WDR gefallen“. Daraufhin wird sie vom Sender beauftragt, sich Bildergeschichten mit dieser Maus auszudenken – als Zwischenspots für die geplante Sendung „Lach- und Sachgeschichten“, wie ihre Biografin Nicole Schmitt-Ludwig schreibt. Für die neue Sendung gestaltet die Künstlerin die orangefarbene Maus „aus dem Laden“ erst einmal um. Sie verändert die Figur, gibt ihr alle Möglichkeiten des Ausdrucks und stellt sie von vier auf zwei Beine – und fertig war „die Maus“ – genau so, wie wir sie auch heute noch kennen. „Stellen sie sich den Charlie Chaplin vor“, beschrieb sie damals dem Trickfilmzeichner die Maus, „wie der gelaufen ist mit diesem klick, klick.  Die Maus ist neugierig und abenteuerlich. Ihr Charakter ist originell und ideenreich!“

Am 7. März 1971 läuft die erste Sendung und darin auch der erste Maus-Spot. Die Maus war auf Anhieb so erfolgreich, dass 1972 die ganze Sendung nach ihr benannt wurde: Aus den Lach- und Sachgeschichten wurde „Die Sendung mit der Maus“. Insgesamt 130 Storyboards hat sie geschaffen, in denen die Maus verschiedene Lach- und Sachgeschichten erzählt. In einer der ersten Szenen nimmt sie beispielsweise den Schwanz ab und springt mit ihm Seil. In einer anderen bläst sie einen Luftballon auf, dessen Luft wieder zurück in ihren Körper geht …
Dreieinhalb Jahre lang entwickelt Schmitt-Menzel Geschichten für die Sendung mit der Maus. Das Erfolgsrezept ist seitdem unverändert. Kompliziertes wird einfach erklärt, für jede Altersgruppe ist etwas dabei: kurze und lange Zeichentrickfilme, die kleinen Maus-Spots, Musik und verblüffende Sachgeschichten. Klimper, Klimper!

 

Der heimliche Star bleibt aber die Maus, die nur ein paar Geräusche erzeugen kann und mit einem Wimpernschlag trotzdem mehr sagt als mit tausend Worten. Die Maus erhielt Isolde Schmitt-Menzels Prägung – nicht nur im Film, in der Sendung mit der Maus, sondern auch in eigenen Büchern, Hörspielen oder Spielen. Das Tier war, wie sie selbst betont, zu ihrem vierten Kind geworden. Mit anderen Worten: Sie war und ist „die Mutter der Maus“ ebenso wie vieler anderer Tierfiguren (darunter der kleine Bär oder die Ratte Ida), die sich nach und nach hinzugesellten. „Mein Wesen, meinen Charakter habe ich der Maus gegeben. Ich bin die Maus.“ Besonders wichtig sei ihr dabei gewesen, verrückte und unkonventionelle Ideen umzusetzen, denn „ich habe ein sehr intensives Kind in mir leben“, sagte sie dem Hessischen Rundfunk vor einigen Jahren.

 

Seit vielen Jahren lebt und arbeitet Isolde Schmitt-Menzel als freischaffende Künstlerin in Texas und Südfrankreich. Aus der Öffentlichkeit hat sich die 91-Jährige zurückgezogen. Ein Interview kann sie heute nicht mehr geben. Der „Thüringer Allgemeinen“ sagte sie zu ihrem 80. Geburtstag, dass sie oft an die unbeschwerte Zeit ihrer Kindheit und Jugend zurückdenke: „Auch wenn ich viel gereist bin, mein Herz ist sehr eng mit Eisenach verbunden.“

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: WDR