Der Waldversöhner
Der Thüringer Wald ist das größte Reisegebiet des Freistaates und verzeichnet fast die Hälfte aller Übernachtungen. Fakt ist aber auch, dass die touristische Entwicklung in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Regionen eher unterdurchschnittlich verlaufen ist. Auch deshalb wurde im Februar im Wirtschaftsministerium die ressortübergreifende Projektgruppe „Zukunft Thüringer Wald“ eingerichtet. Sie soll einen ganzheitlichen Ansatz zur Weiterentwicklung der Wirtschaftsregion Thüringer Wald verfolgen. Das Projekt wird vom Wirtschaftsstaatssekretär Georg Maier geleitet, der 20 Jahre als Banker und Wirtschaftsförderer gearbeitet hat. Top sprach mit dem 49-jährigen Südbadener über Alleinstellungsmerkmale, FDGB-Denke und Sehnsuchtsorte.
Herr Maier, jetzt sagen Sie uns Einheimischen und vor allem den Touristen doch bitte zunächst einmal aus Sicht eines Wirtschaftsprofis, was ist denn das Alleinstellungsmerkmal unseres Thüringer Waldes?
Genau darum geht es, wenn man ein Produkt verkaufen will. Mach dich besonders. Mittelgebirge gibt es einige in Deutschland und einige heißen leider auch Wald, der Bayrische Wald, der Schwarzwald, der Thüringer Wald, das allein ist also kein Alleinstellungsmerkmal. Ich bin am Bodensee unweit des Schwarzwaldes aufgewachsen, insofern habe ich eine gewisse Affinität zu dem Thema. Wir haben eine große Konkurrenz, und ich stelle fest, dass die anderen nicht stillstehen. Deswegen versuchen wir mit dem Projekt „Zukunft Thüringer Wald“ zunächst die Aufmerksamkeit wieder auf die Region als Ganzes zu lenken. Und da ist es auch wichtig, bevor man über konkrete Maßnahmen spricht, den Thüringern in Erinnerung zu rufen, was wir für ein Asset, also Vermögen, für ein Aktiva, haben: Der Rennsteig ist der längste Höhenwanderweg Deutschlands. Das ist einmalig. Zusammen mit der Kultur in der Region ist das unser größtes Alleinstellungsmerkmal.
Hat sich denn der Südbadener das Vermögen des Thüringer Waldes schon aus der Nähe angesehen?
Ich fahre tatsächlich seit letztem Sommer, als der Projektansatz verfasst wurde, häufig mit meiner Familie in den Thüringer Wald. Ich gebe mich dabei nicht zu erkennen, wenn ich in die Hotels, Restaurants etc. gehe. Wir haben viel Positives und leider auch Negatives, zum Beispiel beim Thema Qualität und Service, erlebt.
Diese Erfahrungen eröffnen mir viele Handlungsmöglichkeiten, ich versuche herauszufinden, wo Potenzial liegt, etwas weiterzuentwickeln. Wo ist etwas da, was die Einheimischen gar nicht als etwas besonderes wahrnehmen, weil es schon immer da war, aber für Touristen ist es ein Alleinstellungsmerkmal. Wie z.B. die Naturbühnen im südlichen Thüringer Wald. Das gibt es so woanders nicht.
Dennoch ist die Stimmung auch aufgrund stagnierender Tourismuszahlen – milde formuliert – gedämpft.
Ende Juni werde ich in einer Woche den kompletten Rennsteig durchwandern. Entscheidungsträger aus der Region lade ich dazu ein, mich etappenweise zu begleiten. Mit dieser Tour versuche ich auch das Land wieder ein bisschen zu versöhnen mit der Region Thüringer Wald. In der Presse steht oftmals nur das Negative, wie der fehlende Schnee. Alle sind frustriert, es wird nie wieder schneien, kein Euro wird mehr in die Wintersportinfrastruktur gesteckt usw. Auf dem Feldberg im Schwarzwald war an Weihnachten aber auch alles grün.
Also ist der Winter auch kein Alleinstellungsmerkmal mehr?
Der Winter ist nicht abgeschafft und er wird laut Experten auch nicht immer ausfallen. Es sollte nur so sein, dass man mit Investitionen auch etwas im Sommer anfangen kann. Zum Beispiel beim Fallbachlift in Oberhof, der ist uralt und alle bangen jedes Jahr, ob er den TÜV bekommt. Bei einer Investition sollte man dann eben auch im Sommer Mountainbikes dranhängen können. Ähnliches gilt für die Skiarena Silbersattel. Langfristig müssen wir ein wenig umsteuern.
Apropos umsteuern, es gab schon viele Konzepte für den Thüringer Wald. Was ist jetzt besser?
Das, was in der Vergangenheit gemacht wurde, war durchaus erfolgreich. Die Konzepte haben einiges erreicht, das betone ich auch immer bei meinen Reisen vor Ort. Aber natürlich ist es noch nicht über all so, wie man es sich vorstellen würde. An dem jetzigen Konzept ist vor allem der ganzheitliche Ansatz neu. Wir betrachten den ganzen Thüringer Wald mit all seinen Facetten. Früher war alles auf Oberhof fokussiert, mein Vorgänger war der Oberhofbeauftragte. Das fanden natürlich alle anderen nicht so gut. Selbstverständlich bleibt Oberhof die Lokomotive, aber wir schauen eben auch darüber hinaus. Alleine dadurch habe ich bei allen Beteiligten bisher schon viel Sympathie geerntet. Ich komme nicht aus der Verwaltung, sondern aus der Wirtschaft, deswegen auch der ressortübergreifende Ansatz.
Rita Worm vom Hotel Schieferhof aus Neuhaus am Rennweg beklagt, dass die Wirtschaft bei bisherigen Konzepten immer außen vor geblieben ist.
Die Wirtschaft mit einzubeziehen ist ein ganz wichtiger Punkt. Leider erfährt Unternehmertum bei den Menschen in Thüringen keine allzu große Anerkennung. Dabei schafft es Arbeitsplätze und entwickelt Strukturen. Ich werbe daher um ein besseres Unternehmerbild, wir als Staat können nicht alles regeln, dann geht es schief.
Bei Frau Worm war ich auch schon im Hotel. Als Erstes ist mir positiv aufgefallen, dass auf dem Parkplatz viele Autos mit überregionalen Kennzeichen standen. Sie muss also einiges richtig machen. Wir fuhren dann zufällig zusammen mit dem Aufzug. Ich wusste, wer sie ist, sie aber nicht, wer ich bin. Sie war sehr freundlich und hat sofort ein Gespräch angefangen. Der Service im Haus war das ganze Wochenende hervorragend. Das, was in vielen anderen Hotels fehlt, ist im Schieferhof vorhanden. Das kostet aber eigentlich nichts, das ist nur eine Einstellungssache.
Wie wollen Sie Einstellungen verändern?
Wir machen demnächst einen Kaminabend mit den Hoteliers, die das genauso leben, um ihnen unsere Wertschätzung zu zeigen und ihnen zu sagen, dass sie Vorbilder sind. Es geht nicht immer nur um Fördergelder, zusammen können wir die Einstellung verändern. Ein Hotelier hat mir zum Beispiel gesagt, es sei schon noch teilweise die alte FDGB-Denke da, ich biete eine Hotelleistung an und die Touristinformation liefert mir die Gäste. So ist es mal gewesen, aber so funktioniert es heute nicht mehr. Ich als Hotelier muss dafür Sorge tragen, dass die Gäste zu mir kommen und dass sie wiederkommen. Diese Denke hat sich auch 26 Jahre nach der Wende noch nicht so richtig durchgesetzt. Wenn uns das gelingt, dann bekommen wir auch die zahlungskräftigere Klientel, die Übernachten, Essen gehen, Einkaufen, touristische Einrichtungen nutzen etc. Das ist aber ein langer Prozess, auch wenn viele vielleicht hoffen, mit dem neuen Projekt am Ende des Jahres Vollzug melden zu können, weil eine neue Landesregierung, ein neuer Staatssekretär da ist. Nein, das ist eine Graswurzelarbeit.
Bei der Sie alle wichtigen Entscheidungsträger mit ins Boot nehmen: Landkreise, Bürgermeister, Verbände … Aber verderben nicht zu viele Köche den Brei?
Ja, das macht es nicht einfacher. Ich habe bereits alle betroffenen Chefs der acht Landkreise und zwei kreisfreien Städte besucht und schon gemerkt, dass die Chemie unter den Protagonisten gut, manchmal aber auch weniger gut ist. Und dass deshalb einige Dinge einfach nicht weitergekommen sind.
Stichwort Kirchturmdenken?
Genau. Diese Mentalität ist teilweise noch aufgrund der Historie vorhanden. Der Thüringer Wald ist keine einheitliche Region, er war eine Grenze, das merkt man schon an der Sprache. Mir wird das nicht gelingen, diese Grenze aufzulösen. Der südliche Thüringer Wald sieht nun mal anders aus als der nördliche, und das soll auch so bleiben. Aber wenn die beiden Hälften besser miteinander verbunden sind, und schon sind wir beim Thema Infrastruktur, dann wird auch mehr passieren.
Welche infrastrukturellen Maßnahmen sollen für mehr Miteinander sorgen?
Der Klassiker ist das Rennsteigticket, da ist man aber woanders weiter. Am Ende muss der Tourist mit dem Ticket in der ganzen Region mit dem Zug fahren können, vergünstigte Museumstickets bekommen etc. Das ist die Basis.
Am Wochenende gibt es das Rennsteigshuttle von Erfurt zum Rennsteig, der Zug fährt die letzten Stationen aber im Schneckentempo, da können sie nebenher joggen. Das hat bahnbetriebliche Gründe, die Strecke müsste ertüchtigt werden. Diese Strecke ist aber eigentlich auch ein Alleinstellungsmerkmal, sie ist die steilste Bahn Deutschlands und es gibt Überlegungen, die Strecke in Richtung Süden zu verlängern. Am Ende muss es sich aber rechnen. Es nützt nichts, Projekte zu fördern, die am Ende Verlustbringer sind.
Was für Schwerpunkte sollen denn bearbeitet, bzw. gefördert werden?
Verkehr ist der eine Schwerpunkt. Dazu noch ein Beispiel. Das Thüringer Meer, ich halte diesen Begriff übrigens für nicht optimal, denn das `Meer` erweckt Erwartungen, die natürlich nicht erfüllt werden können. Dabei ist es wunderschön, aber eben mehr wie ein Fjord. Es gibt dort einen Bootsverkehr aber keinen Linienverkehr, weil es nicht als öffentlicher Personalverkehr gilt und somit nicht förderungsfähig ist. Die Bootsbetreiber bieten deshalb nur Kaffeefahrten an. Aber ich weiß, da ich vom Bodensee komme, der Linienverkehr ist das A und O. Die Leute wollen nach einer Wanderung um 17 Uhr mit dem Boot wieder nach Ziegenrück zurückfahren. Das gibt es aber nicht, sie müssen den Bus nehmen. Vielleicht kann man diese Förderrichtlinie zum öffentlichen Nahverkehr aufbrechen.
Oft scheitert gut Gemeintes an Richtlinien und Verordnungen.
Damit sind wir bei den Schwerpunktthemen Wirtschaft, Tourismus und Naturschutz. „Nein, das geht nicht“ ist der Satz, den ich am meisten bei uns höre. Es sollen Investitionen angestoßen werden, aber es muss nicht immer staatliches Geld sein. Es gibt auch private Investoren, einige stehen Gewehr bei Fuß. Zum Beispiel beim alten Golfplatz in Oberhof, der 1908 als einer der ersten Golfplätze in Deutschland gegründet wurde. Der wird mir zwar schon wieder zu hochstilisiert, aber er wäre vielleicht ein Menetekel für eine Aufbruchstimmung. Für das traditionelle Hickory-Golf, was dort zu Kaisers Zeiten gespielt wurde, interessieren sich heute noch viele Golfer, vor allem die Engländer, deren königliche Familie auch noch in der Region verwandtschaftlich verwurzelt ist. Das alte Golfhotel aus Kaisers Zeiten steht auch noch an der Golfwiese, es gehört dem Land und ist ziemlich heruntergekommen. Alle bisherigen Versuche, den Golfplatz wieder zu reaktivieren, scheiterten an der Wasserschutzzone, die aber lediglich 20 Prozent des Golfplatzes einnimmt. Das Wasser wird aber gar nicht mehr benötigt, weil wir zu viel Wasser in Thüringen haben. Aber es gibt eben diese Verordnung.
Und da gibt es keine Ausnahme von der Regel?
Doch. Man muss nur etwas machen. Ich bin im engen Kontakt mit meinem Kollegen im Umweltministerium. Das ist der erste Prüfstein für das Projekt. Ankündigen ist das eine, ich muss am Ende liefern. Auf Arbeitsebene ist bereits ein guter Teamgeist entstanden, die Kollegen aus den anderen Ressorts kommen regelmäßig zu uns ins Haus. Am Ende müssen aber politische Entscheidungen getroffen und Wasserschutzzonen aufgehoben werden. Die Fernwasserversorgung, die das machen müsste, hat auch die Talsperren unter ihrer Obhut, die man touristisch auch mehr nutzen könnte. In Tambach-Dietharz zum Beispiel sind wir mit Investoren im Gespräch, um dort qualitativ hochwertige Ferienhäuser zu errichten. In dem Bereich haben wir auch noch Nachholbedarf.
Wir sehen, Nachholbedarf gibt es genug. Wir wird das Mammut-Projekt konzeptionell bearbeitet?
Wir sammeln jetzt alles ein, dann muss es strukturiert und gewichtet werden, um daraus Projektbündel zu machen. Es ist ein Kraftakt, der belastet auch meine Leute im Ministerium, die ja auch noch ihre normale Arbeit machen müssen. Und jetzt kommt der Staatssekretär, fährt durch die Gegend und dann müssen sie daraus etwas machen. Natürlich möchte ich zeitnah das eine oder andere Pilotprojekt an den Start bringen, um nach außen zu zeigen, Leute, es passiert was. Wenn ich in die Geschichte eingehe als derjenige, der den größten Wirbel verursacht, aber am wenigsten erreicht hat, dann würde ich meine Aufgabe als nicht erfüllt betrachten. Wirbel kann aber erst mal nicht schaden, ich möchte den Leuten sagen, ihr habt einen Schatz, macht etwas draus.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Schätze?
Das ist wie bereits gesagt der Rennsteig mit der kulturellen Vielfalt drum herum. Wir müssen Natur und Kultur zusammenbringen. In Thüringen erreicht man fünf hervorragende Theater innerhalb einer Stunde, der Schwarzwald hat kein einziges. Dazu haben wir das reiche jüdische Erbe, wir haben das Bachfestival, 2017 das Lutherjahr, Weimar … Wir müssen Besuchergruppen finden, denen wir etwas Besonderes bieten können. Nehmen Sie Eisenach, die haben Bach, Luther, die Heilige Elisabeth, die Wartburg … Wir haben quasi ein Luxusproblem. Was stellen wir aus diesem Schatz ins kulturelle Schaufenster, um die Stadt bestmöglich zu vermarkten? Wenn wir das nur außerhalb von Thüringen ordentlich hinbekommen würden, das würde schon mal reichen. Viele aus dem Rhein-Main-Gebiet fahren zum Beispiel Richtung Süden, wenn man denen aber klar macht, in 1,5 bis 2,5 Stunden seid ihr in Meiningen, Eisenach, Erfurt, Weimar … Dann gehen die hier ins Theater, ins Restaurant und ins Hotel. Die Leute, die zum ersten Mal hier waren, sind alle fasziniert und kommen gerne wieder. Wir müssen sie nur erst einmal herbekommen.
Wir haben Sie ja auch herbekommen! Gibt es denn bereits einen Ort, den Sie auf Ihrer bisherigen Thüringer-Wald-Tour als Lieblingsort auserkoren haben?
Es gibt mehrere Lieblings- oder Sehnsuchtsorte. Die Veste Heldburg gehört dazu, sie ist wie ein Dornröschenschloss. Und die Landschaft drum herum mit ihren Hügeln, die Ortschaften wie Ummerstadt, das ist für mich das Tessin Thüringens. Dann mag ich den Kickelhahn mit der ganzen Goethe-Geschichte, das Naturtheater Steinbach und natürlich den Blick vom Schneekopf auf das Meer von Wald.
Abschließende Frage: Wer wird Fußball-Europameister?
Natürlich bin ich Anhänger der deutschen Nationalmannschaft und gehe fest davon aus, dass sie es machen. Die sind ja seit der WM nicht schlechter geworden. Ich sehe auch keine andere Mannschaft, obwohl Frankreich zu Hause immer zu beachten ist.
Herr Maier, vielen Dank für das Gespräch.
Fotos: Mario Hochhaus