„Thüringen ist guter Geschmack“

 

Mit einem Umsatz von 3,7 Milliarden Euro zählte die Ernährungsbranche im Jahr 2014 erneut zu den drei stärksten Wirtschaftszweigen in Thüringen. Davon etwa 1 Milliarde Euro erwirtschafteten die produzierenden Unternehmen des Thüringer Ernährungsnetzwerkes TH-ERN e. V. Der Verbund wurde 2011 als Interessenvertretung der Ernährungswirtschaft auf Initiative der Wirtschaft gegründet.

TOP THÜRINGEN sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden Matthias Gaida (Die Thüringer Fleisch- und Wurstspezialitäten Rainer Wagner GmbH) und dem Vorstandsmitglied Joachim Schweizer (Schweizer Sauerkonserven GmbH) über Genuss, Regionalität und Netzwerkarbeit.

Was ist eigentlich für Sie kulinarischer Genuss?

Matthias Gaida: Wenn es schmeckt und gut aussieht – ganz einfach!

Joachim Schweizer: Genuss fängt für mich an, wenn ich am Abend mit Freunden zusammensitze, ein gutes Bier in der Hand habe und eine leckere Bratwurst auf dem Grill liegt. Dazu eine herzhafte Gurke. Gekrönt wird das Ganze durch nette Gesellschaft.

 

Apropos nette Gesellschaft – die perfekte Überleitung zum TH-ERN. Warum wurde das Thüringer Ernährungsnetzwerk gegründet?

Matthias Gaida: Wir haben einfach gemerkt, dass wir für die Thüringer Ernährungswirtschaft eine starke Interessensgemeinschaft brauchen. Nach der Automobilindustrie sind wir die zweitstärkste Branche im Land, bestehend aus zumeist kleineren und mittleren Unternehmen, die es schwer hatten, ihre Interessen in den oberen Reihen der Politik zu platzieren. Es wurden mehrere vorbereitende Gespräche zur Gründung eines Netzwerkes geführt, bis wir dann schließlich am 7. November 2011 gemeinsam mit 16 Gründungsmitgliedern den Grundstein unseres Vereins gelegt haben. Bereits in den Anfängen wurden wir kräftig sowohl vom Wirtschafts- als auch vom Landwirtschaftsministerium unterstützt. Seitdem sind wir ganz erfolgreich unterwegs.

 

Sie untertreiben ein wenig?

Matthias Gaida: Aktuell sind wir 36 Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit 3.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 1 Milliarde Euro im Jahr. Das ist ein Viertel des Branchen-Umsatzes in Thüringen. Für uns ist das Ansporn, genauso weiterzumachen. Wir wollen wachsen und spätestens Ende 2017 eine Größe von 50 Mitgliedern erreicht haben.

Joachim Schweizer: Die Ernährungsbranche ist ein starker und verlässlicher Partner. Wir haben uns seit der Wende, trotz aller Schwierigkeiten, gut entwickelt. Die Politik schätzt uns mittlerweile als Gesprächs­partner, das war leider nicht immer der Fall. Aber seit der TH-ERN-Gründung sind wir auf einem richtig guten Weg. Wir sind eine tragende Säule, unsere Stimme wird gehört. Und wir entlassen auch in Krisenzeiten keine Mitarbeiter. Wir sind eben ein Fels in der Brandung!

 

Trotzdem hat man den Eindruck, dass Kulinarik in der Außendarstellung in anderen Bundesländern eine größere Rolle spielt als in Thüringen.

Joachim Schweizer: Dafür gab es in den letzten Jahren politische Gründe. Das Thema Ernährung hat es praktisch nicht mehr gegeben. Lange wurden nur Automobilindustrie und Fotovoltaik als Thüringer Schwerpunkte kommuniziert und gefördert. Natürlich ist das wichtig, aber es ist eben nur ein Teil von Thüringen. Thüringen ist eben auch Bratwurst und Kloß. Thüringen ist guter Geschmack. Das wurde zu wenig vermittelt. Inzwischen hat sich das aber geändert. Jetzt stehen Ernährung und Landwirtschaft wieder höher im Kurs, das freut uns.

Gaida: Besser spät als nie. Der Tourismus ist eine wichtige Säule für Thüringen. Und wenn Tourismus mit Kulinarik wie im Themenjahr 2018 verbunden wird, ist das eine gute Idee. Die muss man aufgreifen und daraus für alle Seiten das Beste machen.

 

Wünschen Sie sich denn eine größere Unterstützung seitens der Politik?

Matthias Gaida: Wir sind dankbar für die Unterstützung des Landes, die wir heute schon bekommen. Wir versuchen das Bindeglied zwischen Theorie und Praxis zu sein und freuen uns, wenn wir von der Politik in anstehende Entscheidungen mit eingebunden werden, um für die Branche und den Freistaat das Bestmöglichste zu erreichen. Das funktioniert, wenn man offen miteinander umgeht. Das bieten wir an. Die Politik wird aber letztlich für den unternehmerischen Erfolg einzelner Unternehmen wenig tun können. Aber sie kann Rahmenbedingungen schaffen, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu verbessern. Ich meine, wir sind hier auf dem richtigen Weg.

 

Was habe ich denn konkret davon, Mitglied bei Ihnen zu werden?

Matthias Gaida: Wir leisten politische Lobbyarbeit, werben für das Netzwerk und kümmern uns um Förderungen. Weitere wichtige Bereiche sind aber auch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Imagebildung und Markenkommunikation sowie natürlich Personalrekrutierung und Fortbildung. Wir orientieren uns am Bedarf der Unternehmen und organisieren dementsprechend Seminare und Vorträge, die wir unseren Mitgliedsunternehmen aufgrund unserer Förderfähigkeit zu günstigeren Konditionen anbieten können. Mit dem 1. Mitteldeutschen Ernährungsgipfel im letzten Jahr haben wir eine beispiellose Plattform für Wirtschaft, Handel und Wissenschaft in Mitteldeutschland geschaffen, die Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Partnern enorm befördert. Unter dem Strich verfolgen wir mit allen unseren Aktivitäten das hehre Ziel, den Mitgliedern ideell aber auch materiell messbare Vorteile über den Netzwerkverbund zu verschaffen.

 

Aber sind die Mitglieder letztlich nicht auch Konkurrenten?

Matthias Gaida: Nein, auch wenn wir im Netzwerk zum Beispiel mehrere Wursthersteller haben, gibt es natürlich spezifische Themen, über die wir uns austauschen. Es ist doch auch sehr spannend für die Mitglieder, einmal zu erleben, wie die einzelnen Mitgliedsbetriebe arbeiten. Einige Unternehmen kooperieren auch innerhalb des Netzwerkes. Zum Beispiel empfehlen wir, als einer der größten Thüringer Wursthersteller, BORN Senf. Wir haben auch zusammen mit einem Thüringer Käsehersteller, der HERZGUT Landmolkerei eG, sehr erfolgreich einen gemeinsamen Artikel auf den Markt gebracht. In dieser Richtung gibt es viele erfolgreiche Beispiele. Das zu sehen, macht Spaß.

Joachim Schweizer: Wir haben eine Kooperation mit Heichelheimer Kartoffeln von ABLIG und Greußener Salami. Damit können wir beim Handel punkten, denn der erwartet von uns kreative Lösungen. Das verstehen wir auch unter Netzwerk, dass man sich gegenseitig hilft. Wir sind nicht Unilever und Nestlé, gerade deswegen müssen wir andere Lösungen finden. Was ist also wichtiger, als gerade jetzt zusammenzuarbeiten, wo Regionalität immer mehr an Bedeutung gewinnt?

 

Wie sieht die Unterstützung der Mitglieder ganz konkret aus?

Joachim Schweizer: Wir versuchen durch Know-how-Transfer und eine gute Kommunikation Mehrwerte zu schaffen, die Unternehmen wettbewerbsfähiger machen. Dadurch, dass wir ein interdisziplinäres Netzwerk sind, ist das eine ergänzende Zusammenarbeit. Herr Gaida füllt zum Beispiel in seiner Firma auch Gläser ab und hat damit die gleichen Probleme wie wir. Die Möglichkeit, seine Produktion besichtigen zu dürfen, hat uns sehr bei unserer eigenen Problemlösung geholfen. Deswegen finde ich das Netzwerk so bereichernd, allein schon auf der informellen Ebene.

 

Der Deutsche investiert nur zwölf Prozent seines Einkommens für Lebensmittel. Spanier, Franzosen und Italiener geben deutlich mehr aus. Woran liegt das?

Matthias Gaida: Ein Grund ist sicherlich, dass Deutschland das Discountsystem erfunden hat. Und obwohl noch nie so viele Kochbücher verkauft und Kochsendungen im Fernsehen angeschaut werden – der Deutsche kocht deshalb nicht häufiger. Wir brauchen wieder eine richtige Esskultur. Laden Sie Freunde ein, kaufen Sie gute regionale Produkte und kochen Sie zusammen! Die Franzosen zum Beispiel sind beim Kauf von Lebensmitteln viel patriotischer als wir, da müssen wir auch wieder hinkommen.

 

Woran erkenne ich gute regionale Qualität? Gibt es die nur beim Fleischer oder Obst- bzw. Gemüsehändler um die Ecke?

Matthias Gaida: Das ist ganz schwer zu sagen. Qualität ist eine subjektive Betrachtungsweise. Natürlich ist Qualität messbar, aber für jeden bedeutet sie etwas anderes. Es gibt die Qualität der Zutaten, die man sehen, riechen und schmecken kann. Ob das Endprodukt aber auch schmeckt, entscheidet der Verbraucher für sich selbst. Für uns Hersteller liegt die Kunst darin, einen Geschmack zu kreieren, den möglichst viele Verbraucher gern genießen und nachfragen.

Joachim Schweizer: Aber alle werden wir nie glücklich machen. Der eine liebt es scharf, der nächste mag mehr Knoblauch. Für uns ist es schwierig, den goldenen Mittelweg zu finden.

 

Ist der goldene Mittelweg das Discounter-Hähnchen für 1,99 Euro?

Matthias Gaida: Wir dürfen die Wertigkeit von Lebensmitteln nicht aus dem Fokus verlieren. Das ist nicht immer nur eine Preisfrage, sondern auch eine moralische. Ist es in Ordnung, wenn ein Hähnchen 1,99 Euro kostet? Geht das überhaupt, ein qualitativ hochwertiges Produkt zu so einem Preis anzubieten? Nein. Grundlegend geht es sicher darum, die Bevölkerung zu ernähren. Und nicht jeder kann sich preisintensivere regionale Lebensmittel oder Bioprodukte leisten. Jedoch sollten wir unsere Lebensmittel nicht unter Wert verkaufen.

 

Ist der Thüringer 26 Jahre nach der Wende bereit, für regionale Produkte mehr Geld auszugeben?

Joachim Schweizer: Ja, er ist es. Es gibt dazu auch Studien, die das belegen. Regionalität ist für viele dabei sogar noch wichtiger als Bio.

Matthias Gaida: Lebensmittelkauf ist eine große Vertrauenssache. Ich will wissen, was ich esse, wo es herkommt, wie es hergestellt wird. Dann habe ich ein gutes Gefühl. Der Trend zu regionalen Produkten ist stark und nachhaltig. Das sieht man vor allem auch daran, dass sich der Handel und der Discount intensiv mit dem Thema beschäftigen. Erst in den letzten Tagen haben wir darüber gesprochen, wie man eine Initiative schaffen kann, mit der noch mehr Thüringer Ernährungsbetriebe noch mehr Basisrohstoffe aus Thüringen beziehen und verarbeiten können. Das reicht bis zur Primärproduktion, was die Landwirtschaft stärken würde. Wir versuchen die gesamte Wertschöpfungskette mit einzubeziehen, also auch die Landwirte. Dann bekommen die Lebensmittel eine größere Wertigkeit, die Konsumenten werden darauf aufmerksam und geben für diese Transparenz auch mehr Geld aus. Es wird weniger und dafür hochwertiger gekauft. Das ist ein Trend, den wir erkannt haben. Die Produkte unserer Mitglieder haben eine sehr gute Reputation. Darauf können wir sehr gut aufbauen.

 

Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Zertifizierungen und Qualitätssiegel wie „Geprüfte Qualität aus Thüringen“?

Matthias Gaida: Es ist natürlich ein Vorteil, wenn man einen „g.g.A-Artikel“, also ein Produkt mit einer geografisch geschützten Angabe, herstellt. Bestes Beispiel ist die Original Thüringer Rostbratwurst, die kein dritter Hersteller außerhalb von Thüringen produzieren darf. Das hat natürlich einen ganz erheblichen Wert. Ich halte „Geprüfte Qualität aus Thüringen“ für ein geeignetes Instrument, das signalisiert: in Thüringen mit Thüringer Rohstoffen hergestellt. Ich sehe auch bei Bio ein interessantes Differenzierungspotenzial. Allerdings gibt es mittlerweile auch einen Siegel- und Label-Dschungel, den kein Verbraucher mehr versteht.

Joachim Schweizer: Um großflächig in den Handel zu gelangen, braucht man aber auch eine Zertifizierung, die sehr aufwendig ist und viel Geld kostet. Wir im Netzwerk informieren darüber ausgiebig. Eine Prüfung in unseren Unternehmen kann jederzeit unangekündigt erfolgen. Bei entsprechenden Mängeln wird die Zertifizierung aberkannt. Im Umkehrschluss bedeutet das, die Handelspartner von heute auf morgen nicht mehr beliefern zu dürfen. Deshalb müssen wir jeden Tag perfekt arbeiten.

 

Wie kann das Netzwerk die Mitglieder diesbezüglich unterstützen?

Matthias Gaida: Während unserer Netzwerkstammtische zum Beispiel setzen und vermitteln wir immer wieder neue Themen, aus denen unsere Mitglieder Mehrwerte generieren können. Am 1. September läuft unser Stammtisch zum ersten Mal unter dem Motto „Dialogfenster Handel“ mit dem Handelspartner Kaufland. Es ist wichtig, dass unsere Mitglieder ihre Berührungsängste vor dem Handel verlieren, deshalb bringen wir sie zusammen. So bekommen vielleicht auch kleinere Betriebe die Möglichkeit, einen Platz im Regal von EDEKA, REWE & Co. zumindest in ihrem regionalen Umfeld zu erhalten.

 

Was sind die Themenschwerpunkte der Netzwerkarbeit in den nächsten Monaten?

Matthias Gaida: Wir begleiten gerade die Vorbereitungen für den 2. Mitteldeutschen Ernährungsgipfel am 25. Oktober in Freyburg. Die Organisation liegt dieses Jahr in den Händen von Sachsen-Anhalt. Das soll ein jährlicher Höhepunkt werden. Außerdem stehen verschiedene Stammtische und Seminare an, sowie der jährliche Branchentalk im November mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Wir bereiten einen gemeinsamen Netzwerkauftritt zu den Grünen Tage Thüringen 2016 sowie für die Thüringen-Ausstellung 2017 vor. Zudem wollen wir zusammen mit dem Agrarmarketing des Landwirtschaftsministeriums das Thema Export verstärkt angehen. Wir sind mit eingebunden in die Vorbereitungen des Themenjahres Kulinarik 2018 der Thüringer Tourismus GmbH und entwickeln gemeinschaftliche Ideen für die Projekte „Thüringer Tischkultur“. Unter dem Slogan „Probier ein Stück Heimat“ hoffen wir, gemeinsam mit dem Thüringer Agrarmarketing Verbundverkostungen organisieren zu können, die dem Verbraucher die Thüringer Regionalspezialitäten näher bringen sollen.

Joachim Schweizer: Wir haben uns vorgenommen, unsere Strategie so anzupassen, dass wir uns als TH-ERN in zwei Jahren wirtschaftlich selbstständig tragen. Je mehr Mitglieder wir sind, desto mehr Input bekommen wir, desto lauter wird unsere Stimme, desto leistungsfähiger und stärker werden wir.

 

Herr Gaida, Herr Schweizer, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

TOP Service:

Thüringer Ernährungsnetzwerk e.V.
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Foto: Mario Hochhaus