Im Kampf für die Schönheit

Am 6. Mai 2017 wurden in Apolda zum 9. Mal im Rahmen einer glanzvollen Gala die begehrten Preise des APOLDA EUROPEAN DESIGN AWARD vergeben. 16 renommierte europäische Hochschulen und Universitäten schickten ihre besten zwei Nachwuchsdesigner dafür nach Apolda. Nach einer spektakulären Modenschau, in der alle 32 eingereichten Wettbewerbs-Kollektionen gezeigt worden, kürte eine hochkarätig besetzte Jury die Preisträger.

TOP MAGAZIN war für Sie dabei. Es geht schließlich um die Zukunft der Mode.

Die Region Apolda – Jahrhunderte lang das traditionelle und anerkannte Zentrum der deutschen Strickwaren-Industrie – kann stolz darauf sein, dass der 1993 begründete APOLDA EURPEAN DESIGN AWARD heute zu den meist geschätzten europäischen Wettbewerben zum Thema Modedesign zählt. Der kleinen Stadt im Weimarer Land ist es durch dieses einzigartige Projekt gelungen, die internationale Mode-Industrie auf den talentierten Nachwuchs aufmerksam zu machen und ihm ein Sprungbrett in die berufliche Zukunft zu bieten. So steht es im Programmheft geschrieben.

 

Aber was ist eigentlich die Zukunft der Mode und wie sehen heute die Aufgaben eines Designers aus? Peter Paul Polte, langjähriger Herausgeber der Fachzeitung TextilWirtschaft und Ehrenmitglied der Apoldaer Award-Jury, erklärte es in seinem flammenden Appell am Ende der einstündigen Modenschau, bevor die Sieger gekürt wurden. Der Frankfurter Modeexperte zitierte zum Beispiel aus einem Aufsatz zur Rolle der Mode in unserer Zeit. Dieser Aufsatz stammt von Ingeborg Harms, Professorin für Designtheorie an der Universität der Künste in Berlin. Da ist die Rede davon, dass wir „nur noch selten auf der Straße Menschen begegnen, die sich eigens zum Ausgehen angezogen haben. Der Blick der anderen spielt nur noch insofern eine Rolle, als man von ihm nicht tangiert werden will.“ Das war aber einmal anders. Wenn man sich Bilder aus der Vergangenheit ansieht, in alten Familienalben stöbert oder ältere Filme anschaut, findet man meistens Menschen, die schön oder korrekt angezogen sind. Die Väter gingen beispielsweise sonntags nur mit Anzug, Krawatte und Hut zum Fußballplatz. Laut Polte ist die Welt heute dagegen „unelegant geworden“. Die Outfits „zweckmäßig, nachlässig und oft hässlich“. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Seitdem die deutschen Fußgängerzonen mit Aldi-, Kik- und Lidl-Jeans gepflastert sind, die an schlaffen Ärschen von alten ungepflegten Männern hängen, ist die Botschaft des Begehrens verpufft.“ Deutschland sei hässlich geworden oder betreibt eine lieblose Uniformität. Diese Gleichgültigkeit hängt freilich auch mit Angst zusammen. In einer Welt von Gewalt und alltäglicher Bedrohung flüchtet der Mensch eben in den Prozess der Mimikry (Anm. d. Red.: Als Mimikry bezeichnet man in der Psychologie das Phänomen, dass Menschen andere Menschen unbewusst und automatisch nachahmen). Er will in der Masse der Unsichtbaren untertauchen. Denn auffallen ist gefährlich. Obszöne Blicke sind lebensgefährlich, wenn man an die falschen Leute gerät. Wer sich schmückt, lebt gefährlich. Die Schönheit sei im Moment nicht gesellschaftsfähig. Eleganz provoziert Aggression.

 

Wenn aber die Schönheit nicht gesellschaftsfähig ist, was ist dann die Rolle der Designer? Sie haben laut Polte gleich mehrere Möglichkeiten. Sie werden einmal zum Inszenator von Traumwelten: Die Laufstegschauen sind dabei die Opern im Dienste der Marketingleute. Der spektakuläre Karl Lagerfeld, der einst selbst Apolda mit seiner Anwesenheit beglückte, muss als Zirkusdirektor dafür sorgen, dass „Chanel Nr.5“ der meistverkaufte Duft auf der Welt bleibt. Michael Kors turnt in der Zirkuskuppel für seine Handtaschenläden.

Oder der Designer wird eben ein Meister der Kleider des Understatements: fein, teuer, unauffällig. Das machen die Gurus des italienischen Luxus: Kiton, Brioni, Herno, Hermès. Der diskrete Charme der Bourgeoisie bleibt immer unter sich.

Oder er folgt dem Weltuntergangs-Chic der Japaner. Nach Hiroshima war in Japan mental alles zerstört und verschlissen. Die Japaner in Paris, die vor 30 Jahren kamen, sind verantwortlich für den Vintage-Look. Die zerstörten Stoffe, die malträtierten Jeans, die zerschlissenen Kanten. Vintage hat die Umsätze der Modebranche lange gerettet. Mit kunstvoll zerstörten Jeans macht die Modebranche bis heute gigantische Umsätze.

Dagegen sind die Umsätze der Couture-Schauen eine Lachnummer. Ingeborg Harms findet zu Recht, dass alles, was seit Jahren auf den Laufstegen erscheint, an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Das ist Operette. Und Operette hat mit der Realität der Menschen nichts zu tun.

 

Wo liegen also nun die Aufgaben der jungen Designer? Sie könnten laut Polte „eine Mode erfinden, die mit Respekt zu tun hat. Respekt vor dem Material, vor der Umwelt und vor dem Anderen“. Gleichgültigkeit im Erscheinungsbild ist ein Ausdruck von Respektlosigkeit. Es gibt in jeder Gesellschaft uralte Höflichkeitsrituale.

Angenehmes Äußeres ist ein Zeichen von Höflichkeit. Der Designer soll auch Mode machen, die dem Bedürfnis nach Sicherheit entspricht. „Und bei allem, was er tut, muss er wie ein Seismograph die unsichtbaren Schwingungen der Gesellschaft rechtzeitig spüren.“ Für Peter Paul Polte kämpfen die jungen Designer von heute um nichts Geringeres als die „Zukunft der Mode“. Sie sind Kämpfer für die Schönheit!

 

Und da kommt der APOLDA EUROPEAN DESIGN AWARD ins Spiel, den Peter Paul Polte vor fast 25 Jahren, nach erfolgreicher Überzeugungsarbeit des Gründervaters Hans Jürgen Giese, mit ins Leben rief und seitdem begleitet und berät. Der Award hat sich nämlich auf die Fahne geschrieben, „die zukunftsorientierte Förderung des europäischen Mode-Nachwuchses zu verfolgen“. Im Jahr 1993 begründet, zählt der mit 30.000 Euro dotierte Award heute europaweit zu einem der renommiertesten Wettbewerbe für Modedesign. Für Polte hat Apolda damit etwas „Großes aufgebaut“. Die Beteiligung so namhafter Designschulen aus ganz Europa und die enge Verbindung mit der Praxis in Apolda seien „einzigartig.“

 

Das bewies einmal mehr die diesjährige 9. Auflage. 16 europäische Schulen, Hochschulen und Universitäten aus Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Polen, Spanien, Tschechien und Ungarn schickten ihre zwei besten Absolventen, die auf dem Laufsteg in der Apoldaer Stadthalle ihre 32 Wettbewerbsarbeiten in einer perfekt inszenierten Show präsentierten. Die Kollektionen der Jung-Designer wollte sich neben den 300 geladenen Gästen auch der Schirmherr der Veranstaltung nicht entgehen lassen. Denn Wolfgang Tiefensee, Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, war gekommen, um sich „inspirieren zu lassen“. Von Kreativität, die nicht dem Mainstream folgt, sondern den Blickwinkel ändert und einen umdenken lässt. Apolda ist für den Minister dafür ein gutes Beispiel, „ein ungeschliffener Diamant, dessen Kreativität weit über die Landesgrenzen hinaus ausstrahlt“.

 

Besonders gestrahlt haben am Ende der einstündigen Modenschau die vier Preisträger (siehe Seite xx), die von einer hochkarätigen 20-köpfigen Jury gewählt wurden. Die Sieger haben gezeigt, wie alle anderen Teilnehmer auch, dass sie den Kampf für die Schönheit längst aufgenommen haben.

TOP Service:

www.apolda-design-award.de

Der im Drei-Jahres-Rhythmus stattfindende APOLDA EUROPEAN DESIGN AWARD wurde seit seiner Premiere 1993 ständig weiterentwickelt und durch neue innovative Projekte bereichert. Dazu gehören u. a. solche wichtigen Alleinstellungsmerkmale wie die Ausrichtung auf die besten Absolventen europäischer Modehochschulen, die Strick- und Textilworkshops in Apolda, die Fashion Clips sowie die Anstellung einer Designerin in Residence. Die im Rahmen des „APOLDA DESIGNER NETWORK“ von Studenten der Bauhaus-Universität Weimar produzierten „Fashion Clips“ der Wettbewerbsarbeiten sind online abrufbar.

 

Veranstalter:

Kreis Weimarer Land, die Kreisstadt Apolda und die Wirtschaftsförder-Vereinigung Apolda-Weimarer Land e. V.

 

Zitate:

KARIN VEIT, Creative Director, Mitglied der Geschäftsleitung Marc Cain GmbH, Bodelshausen

„Die Designer bei Marc Cain müssen eine konsequente Haltung zeigen und fähig sein, eine durchgängige Linie weiterentwickeln zu können. Technik spielt bei uns eine große Rolle. Deshalb ist es ganz wichtig, dass die jungen Leute Interesse und Lust an der technischen Seite der Produktentwicklung zeigen und auch darüber zu neuen Ideen kommen. Und ganz wichtig: Ich muss eine gewisse Leidenschaft spüren, sonst funktioniert das nicht.“

 

ALEXANDER ENTOV, Geschäftsführer Breuninger GmbH & Co., Erfurt

„Es gibt leider noch wenige Modedesigner, die die Arbeit im Handel als kreatives Feld begreifen und in Handelshäusern Karriere machen wollen. Das liegt wohl auch an der Ausbildung. Dabei wird Modekompetenz auf der Verkaufsfläche immer wichtiger. Man muss allerdings Spaß am Verkaufen mitbringen.“

 

MATTHIAS JOBST, Global Product Director s.Oliver Bernd Freier GmbH & Co. KG, Rottendorf

„Die Aufgaben der Designer werden sich sehr stark verändern. Bei s.Oliver beginnen wir jetzt mit der digitalen Produktentwicklung. Das bedeutet, dass wir die Teams demnächst ganz anders zusammenstellen müssen. Schnitt, IT, Technik und Design vermischen sich. Leider ist das in den Schulen noch nicht so angekommen, die Studierenden werden zu wenig auf die Zukunft vorbereitet. Im Team sind mir unterschiedliche Charaktere wichtig. Ich suche zuerst nach einem Charakter, der eine Lücke auffüllen soll. Das kann bedeuten, dass ich eine „laute“ junge Person brauche, kann aber auch bedeuten, dass ich Erfahrung benötige, weil der Rest des Teams zu wenig davon hat.“

 

TANJA HELLMUTH, Chief Creative Officer Hess Natur-Textilien GmbH, Butzbach

„Man muss bei uns kein Vegetarier sein, aber man muss im Sinne „moderner Nachhaltigkeit“ denken können. Das bedeutet gewisse Einschränkungen zu respektieren – wir nennen es „Leitplanken“. Genauso wichtig wie Kreativität sind Neugier, Lernbereitschaft und Offenheit. Bei uns muss ein Designer alle Bereiche der Umsetzung verantworten. Er muss also interdisziplinär arbeiten können und dabei innovativ sein.“

 

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Thomas Müller