Ein Gedicht über die Liebe
Vom 10. bis 20. Februar fanden in Berlin die 72. Internationalen Filmfestspiele statt – die Berlinale. Seine Premiere auf dem roten Teppich und der Festivalleinwand feierte der Eisenacher Schauspieler Paul Boche. Zusammen mit der Jenaerin Luise Wolfram spielt er die Hauptrolle in dem Film „Rondo“, der in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ lief. Ein Gespräch mit Paul Boche über aufregende Tage, ein göttliches Gewitter und heimatliche Nähe.
Hallo Herr Boche, wie war Ihre erste Berlinale?
Toll. Ich war auf der Eröffnungsgala am Potsdamer Platz und habe mir anschließend einige Filme angeschaut. Trotz der Hygienevorschriften, jeder zweite Platz blieb leer, spürte man, dass die Leute hungrig sind auf diese kulturellen Begegnungen. Durch die Distanz zum Sitznachbar erlebt man zwar die Filme mehr für sich alleine, aber es war so wichtig, den Ort Kino wieder zu beleben.
Sie waren aber nicht nur als Kino-Fan vor Ort. Wie haben Sie die Premiere ihres Films „Rondo“ erlebt?
Am Tag der Premiere stieg die Aufregung minütlich, ich hatte mir extra einen Zeitplan gemacht, was ich wann machen wollte: Klamotten abholen, schnell nach Hause, umziehen… Eine Stunde vor Filmbeginn begann der Photocall auf dem roten Teppich vor dem Kino International. Das ist so ein tolles, klassisches Kino mit einem Foyer, Samtvorhängen und einem großen Saal. Wir haben vor der Fotowand Interviews und Autogramme gegeben. Dann kam das Publikum und es ging los.
Hatten Sie den Film vorher schon in der Endfassung gesehen?
Ja – und das war auch gut so. Wenn ich Theater spiele, bekomme ich während der Arbeit sofort ein Feedback vom Publikum. Der Film ist aber schon fertig, und man kann nichts mehr machen. Man hat keinen Einfluss mehr und weiß nicht, wie das Publikum reagiert. Natürlich ist die Einladung zur Berlinale schon so etwas wie ein Beifall, aber ich zweifele immer, ob mein Spiel verstanden wird und berührt. Dieses Mal konnte ich den Moment voll genießen, weil wir den Film vorher im Team-Preview gesehen haben. Ansonsten wäre ich während der gesamten Vorstellung im Panikmodus gewesen.
Der Regen an der Fensterscheibe des alten Bauwagens, innige Küsse am Strand, der Traum von Paris und das Klicken beim Auslösen der Polaroidkamera. Es sind Bruchstücke von Erinnerungen, die Zoé (Luise Wolfram) schmerzhaft zu vergessen suchte. Doch jetzt, wo sie mit ihrem neuen Freund Lars (Lucas Englander) wieder an jenem Ort an der Ostsee ist, folgt sie heimlich den Spuren einer verflossenen Liebe (Robert, gespielt von Paul Boche) und fühlt sich dabei wie eine Verräterin.
Rondo ist ein kinematografisches Gedicht, das die Frage aufwirft, ob aus dem emotionalen Trümmerhaufen, den das Ende einer großen Liebe hinterlässt, eine neue Liebe entstehen kann. Oder ist diese neue Liebe dazu verdammt, Replikat zu sein und an das zu erinnern, was einmal war und was hätte sein können? Durch die assoziative Montage der poetischen Bilder wird die titelgebende musikalische Form filmisch adaptiert. Die vergangene und die gegenwärtige Zeitebene laufen aufeinander zu, bis sie sich in der Mitte berühren. Es endet, wo es begann.
Wie hat das Publikum den Film aufgenommen?
Es lag die ganze Zeit eine knisternde Stimmung in der Luft, die Leute waren ruhig und konzentriert. Kein Popcorn-Geraschel. Freunden und Familie hat der Film sehr gut gefallen. Mit der Crew haben wir danach noch im kleinen Kreis angestoßen. Eine große Party gab es aufgrund der Hygienevorschriften nicht.
Haben Sie beim Anschauen des Films etwas Neues entdeckt, in Ihrer Figur, in der Geschichte…?
Mit etwas Abstand zu den Dreharbeiten sehe ich meine Figur tatsächlich mehr als Figur und nicht mehr so sehr als ich. Beim Anschauen im Kino ist mir die Sensibilität von uns dreien so richtig bewusst geworden. Und das Sensorische der verschiedenen Ebenen. Und die Traurigkeit. Es ist ein Film über die Liebe, dazu gehört ein bisschen Romantik und Kitsch wie in „Nothing Hill“, aber eben vor allem auch Verzweiflung, Traurigkeit, Melancholie, Erinnerung und sogar Hass.
Der knapp 30-minütige Film wird durch seine Bilder, den Sound, die die Musik und das intime Spiel der drei Protagonisten zu einem melancholischen Kammerspiel. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Die Regisseurin Katharina Rivilis hat Luise Wolfram und mir ihre Idee für einen Film vorgestellt, ohne zu viel zu verraten. Wir haben in Berlin in verschiedenen Gesprächen die Charaktere und die Beziehung der Filmfiguren Zoé und Robert herausgearbeitet, ohne Szenen aus dem Film zu spielen. Dafür haben wir uns sehr viel Zeit genommen. Katharina wollte uns nicht in alle Ebenen der Geschichte einweihen. Wir müssen als Schauspieler nicht alles wissen. Das verändert nur das Spielen.
„Rondo“, ein Film von Katharina Rivilis, produziert von der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), Vertrieb: Wim Wenders’ Road Movies
Gedreht wurde der Film auf der Ostseeinsel Usedom. Emotionale, intime Szenen spielen während eines Sommergewitters mit Donner. Solch ein Naturschauspiel kann man doch nicht planen?
Wir waren zweieinhalb Tage auf der Insel, vier Leute hinter der Kamera, drei Schauspieler. Durch die Art und Weise des Drehs wurde eine ganz besondere Intimität erzeugt. Wir hatten auch kein künstliches Licht dabei. Plötzlich zog es sich zu und es wurde dunkel. Die erste Reaktion war, Mist, was machen wir jetzt. Gleichzeitig haben wir gespürt, dass wir das nutzen müssen und haben im Regen improvisiert. Katharina Rivilis beschrieb es auf der Berlinale „wie etwas Göttliches von der Natur in den Film reinkommt.“ Das kann man nicht künstlich erzeugen. Der Regen, der Donner, alles ist echt. Katharina hat uns mit ihrer Regie ein Gefühl von Sicherheit gegeben, damit wir uns ausdrücken können.
Haben Sie diese Sicherheit auch gespürt, weil Luise Wolfram wie Sie aus Thüringen stammt, oder interpretiert man da zu viel Heimatpathos rein?
Alleine schon durch den Dialekt habe ich sofort eine heimatliche Nähe zu Luise gespürt. Da war sofort eine Vertrautheit da. Durch unsere Herkunft wissen wir die gleichen Dinge über unsere Herkunft. Dieses Grundvertrauen ist Goldwert für so einen Film, das kann man nicht erzwingen.
Sie stehen im Sommer in Ihrer Heimatstadt Eisenach auf der Theaterbühne. Können Sie uns etwas darüber verraten?
Gerne. Anlässlich des 500. Jubiläums der Bibelübersetzung spiele ich im Juni an drei Tagen zusammen mit Jürgen Hartmann auf der Bühne des Landestheaters in dem Stück „Übersitzung“. Es geht um ein imaginäres Treffen der Genies Martin Luther (1483–1546) und dem britischen Maler Lucian Freud (1922–2011). „Übersitzung“ ist selbst eine Übersetzung zwischen Schauspiel und Tanz, Sprache und Bewegung, Geschichte und Gegenwart. Ich freue mich total, in meiner Heimatstadt auf der Bühne stehen zu dürfen. Im Fernsehen bin ich Ende des Jahres in der BBC-Serie SAS: Rogue Heroes neben Jack O’Connell und Connor Swindell zu sehen. Aktuell arbeite ich an einem deutsch-südkoreanischen Film-Projekt.
Herr Boche, vielen Dank für das Gespräch.
Text: Jens Hirsch
Fotos: Filmszenen + Polaroids: Giulia Schelhas / DFFB
Red Carpet/Premiere: Daniel Seiffert