Die Sixtina des Nordens oder:

„Bloß nicht mit einem Bildungsbedürfnis hier reinkommen.“

Am 16. Oktober 1987, also vor ziemlich genau 30 Jahren, signierte Werner Tübke vor laufender Kamera sein epochales Monumentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ im extra dafür errichteten Panorama Museum von Bad Frankenhausen. 3000 überlebensgroße Figuren zeigen den Umbruch vom späten Mittelalter in die frühere Neuzeit. Die Entstehungsgeschichte eines Jahrhundertkunstwerkes.

 

„Elf Jahre Elend“ antwortete Werner Tübke emotionslos, als er nach dem letzten Pinselstrich am 11. September 1987 von einem DEFA-Mitarbeiter vor laufender Kamera gefragt wurde, was er denn jetzt fühle. Zur inszenierten offiziellen Signierung am 16. Oktober 1987 klang das auch nicht viel euphorischer. „Ich habe keine Gefühle mehr, es hat sich ausgefühlt.“

Für den Auftrag seines Lebens schonte sich der Altmeister der Leipziger Schule nicht. „Schulterprobleme, ein bisschen durchgestandene Füße und eine abgerissene Sehne am rechten Daumen“ zeugten davon. Für seine dritte Ehefrau Brigitte Tübke-Schellenberg hatte das monumentale Kunstwerk „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ – besser bekannt als Panoramagemälde – „seine Gesundheit ruiniert“. Siebzehn Jahre nach der Fertigstellung starb Werner Tübke 2004 im Alter von 75 Jahren in Leipzig.

Begonnen hat das „Elend“ bereits Anfang der 1970er Jahre. Denn da beschließt die Staatsführung der DDR, so erzählt es Museums-Direktor Gerd Lindner (seit 1991 im Amt) im Jahr 1999, „auf historischem Boden oberhalb von Bad Frankenhausen eine Gedenkstätte zu errichten, die dem Thüringer Aufstand als dem Höhepunkt des Deutschen Bauernkrieges und Thomas Müntzer als dessen zentraler Gestalt gewidmet sein sollte. Ein erbepolitisches Revolutionspanorama sollte es sein, geeignet zu Bewusstseinsbildung und patriotischer Erziehung, vorgeführt als realistische Historienmalerei im Sinne der Tradition“.

 

Davon wollte Werner Tübke, Akademieprofessor und damals Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sowie einer der Hauptmeister der „Leipziger Schule“ und zugleich ein international bekannter und erfolgreicher Maler, allerdings nichts wissen: „Mir ist meine Arbeit oder die bildende Kunst zu schade zur Gehirnwäsche. Ich will niemanden belehren oder erziehen. Meine Kunst ist keine Waffe. Die einzige vernünftige Position, die ich einnehmen kann, ist l`art pour l`art.“ Also Kunst um der Kunst willen. Ein die Bauern heroisierendes Schlachtenpanorama nach sowjetischem Vorbild und die Verklärung der frühbürgerlichen Revolution als Vorläufer des Sozialismus lehnte er ab. Er wollte vielmehr den Umbruch vom späten Mittelalter in die frühere Neuzeit, mit Bezügen zur Gegenwart darstellen. „Tübke wollte nichts weniger als mit einem Höchstmaß an Eigenverantwortung die metaphorische Interpretation einer ganzen Epoche zeigen“, erklärte Gerd Lindner.

 

Dreizehn Bedingungen stellte Tübke den DDR-Oberen, bevor er schließlich 1976 mit den Vorbereitungen beginnt. Die vorgegebenen Maße des Bildes sind beeindruckend: 123 Meter im Umfang, 14 Meter hoch – eine Fläche von 1722 Quadratmetern. Tübke fertigt zunächst 143 Zeichnungen im Stil des 16. Jahrhunderts. Von 1979 bis 1981 erschafft er im Maßstab 1:10 die Vorfassung auf fünf Tafeln – die er später für zwei Millionen DDR-Mark an die Nationalgalerie in Ost-Berlin verkaufte, ausgemacht waren 500.000 DDR-Mark, doch Tübke drohte mit dem Verkauf in die BRD.

Die 1:10-Fassung war für ihn „ein Tagebuch“, in das er Menschen, die ihm nahe stehen, aufnahm. Wie zum Beispiel seine Frau Brigitte Tübke-Schellenberg. Sein eigenes Konterfei gab er selbstbewusst dem Bauernführer Thomas Müntzer, von dem es keine zeitgenössische Darstellung gab.

Von Februar bis Mai 1983 wurde die 1:10-Fassung mittels Projektoren vergrößert auf die Leinwand projiziert und die Konturen „sklavisch“ genau von 15 Malern, die zuvor Tübkes Stil trainierten, nachgemalt.

Der Meister selbst setzte im August 1983 den ersten Pinselstrich an der Sequenz „Der auf dem Regenbogen liegende Mann“. Ein halbes Jahr lang bemalte er alleine 150 Quadratmeter (am Ende waren es etwa 800 Quadratmeter, als quasi die Hälfte des gesamten Bildes). Fortan unterstützten ihn fünf Assistenten. Die „Altgesellen“ arbeiteten zum größten Teil im oberen, Tübke im unteren Bereich.

Im Januar 1985 war das Gemälde zur Hälfte fertig, vier der fünf Assistenten mussten gehen oder gingen von sich aus. Nur Eberhard Lenk blieb bis zum Schluss. Am 11. September 1987 füllte Werner Tübke den letzten weißen Fleck, den „Schuh des Schmeichlers“, am 16. Oktober signierte er sein Lebenswerk. Die

Eröffnung des Panorama Museums erfolgte aber aufgrund von Baumängeln erst zwei Jahre später am 14. September 1989. Mit Kosten von 96 Millionen DDR-Mark gehörte das Museum mit einem der größten und figurenreichsten Gemälde der neueren Kunstgeschichte zu den teuersten Kunstprojekten der DDR.

 

„Das gesamte Gemälde wiegt drei Tonnen“, erklärt Silke Krage, Leiterin Museumswissenschaft / Fachwissenschaft, die im März 1989 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Museum anfing. Alleine 1,5 Tonnen Ölfarbe wurden vermalt. Der Trocknungsprozess dauert bis zu 60 Jahre. „In dem Falle heißt trocknen, dass sich die Farben mit dem Untergrund verbinden“, so Silke Krage.

Für ein solch freihängendes Gemälde in einem Raum gibt es noch keine Erfahrungswerte, auch was die Konservierung angeht. Jedes Jahr begutachten Restauratoren den Zustand des Bildes, zirka alle fünf Jahre wird es komplett gereinigt. Denn es gibt keine Schutzschicht auf dem Bild, nur die Ölfarbe. Dank einer sagenumwobenen Ikonengrundierung, die fünf sowjetischen Damen im November und Dezember 1982 fünf Mal aufgetragen haben – keiner kennt die Zusammensetzung, auch Tübke kannte sie nicht – soll das Bild 300 Jahre halten. Bei konstant 22 Grad Celsius und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit.

 

Die Zukunft des Museums und somit des Gemäldes war aber schon ein paar Wochen nach der Eröffnung ungewiss. Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 stand das Panorama kurz vor der Schließung. „Es war der letzte DDR-Staatsauftrag, das Prestigeobjekt schlechthin der Honecker-Ära. Eröffnet am 14. September 1989, neun Wochen vor dem Fall der Mauer, mit einem großen Staatsakt mit Margot Honecker und geladenen Parteimitgliedern“, erklärt Silke Krage das damalige Dilemma. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter um Silke Krage und dem späteren Direktor Gerd Lindner nahmen damals schließlich all ihren Mut zusammen und lenkten in einer halbstündigen Sendung der ZDF-Reihe „Aspekte“ das Hauptaugenmerk auf das Kunstwerk – dieser erhabenen Sinfonie aus brillanten Farben und altmeisterlicher Virtuosität. Mit Erfolg: 1996 wird das Museum in das Blaubuch des Bundes als ein „Kultureller Gedächtnisort“ mit besonderer nationaler Bedeutung aufgenommen, 2011 erhält es das „Europäische Kulturerbe-Siegel“.

„Aufgrund des Bildes aber auch vor allem aufgrund der wissenschaftlichen Arbeit, die wir seit vielen Jahren leisten, haben wir uns einen gewissen Status erarbeitet“, sagt Silke Krage heute stolz. Längst gilt Tübkes Zauberberg der Geschichte als „die Sixtina des Nordens.“ Als ein Museum der bildenden Künste präsentiert das Panorama seit vielen Jahren aber auch wechselnde Ausstellungen, die neben kunsthistorischen Themen vor allem der zeitgenössischen figurativen Kunst von internationalem Rang gewidmet sind.

 

75.000 bis 80.000 Besucher kommen jedes Jahr auf den Schlachtberg zu Bad Frankenhausen. Werner Tübke hasste es übrigens, sein Bild zu erklären oder es verklären zu lassen. Er wünschte sich viel mehr ein Publikum, „was einigermaßen fähig ist, wirklich zu sehen, und nicht ständig dabei zu reflektieren“. Der Meister mahnte sogar: „Bloß nicht mit einem Bildungsbedürfnis hier reinkommen. Das wäre scheußlich“.

 

www.panorama-museum.de

 

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus, Panorama Museum, VG Bildkunst Bonn