Gemeinsam für eine attraktive Region
„Diesen Weg auf den Höh’n bin ich oft gegangen, Vöglein sangen Lieder. Bin ich weit in der Welt, habe ich Verlangen, Thüringer Wald, nur nach dir.“ Um dieses im Rennsteiglied besungene Verlangen immer wieder neu zu entfachen, hat der Regionalverbund Thüringer Wald mit seinen Partnern die Tourismuskonzeption Thüringer Wald 2025 verabschiedet.
Für die weitere positive wirtschaftliche Entwicklung im Thüringer Wald ist es gleichzeitig wichtig, den Menschen und Heimkehrern eine berufliche Perspektive sowie eine hohe Lebensqualität anzubieten.
Über das Zusammenspiel von Tourismus und Wirtschaft sprach TOP THÜRINGEN in Suhl mit Dr. Peter Traut, Präsident der IHK Südthüringen und Vorsitzender vom forum Thüringer Wald e.V., sowie mit Cornelia Grimm, Regionalmanagerin vom forum Thüringer Wald e.V., und Melanie Kardinar, Produktmanagerin Kulturregion vom Regionalverbund Thüringer Wald e.V.
Sehr geehrte Damen und Herren, Konzepte für den Thüringer Wald gab es schon viele, was ist an dem Tourismuskonzept 2025 neu?
Dr. Peter Traut: Der Tourismus ist ein Wirtschaftszweig, der zu 70 Prozent vom Standort abhängt. Das heißt, es bedarf der nötigen Infrastruktur wie Radwege, Wanderwege, Natur, Kultur und Events, damit der Tourist überhaupt hierherkommt. Natur haben wir im Thüringer Wald reichlich, das ist klar, das haben andere aber auch. Jetzt gilt es für uns, das Besondere herauszustellen. Wir haben im forum Thüringer Wald e.V. und im Regionalverbund Thüringer Wald in den vergangenen zehn Jahren viel gelernt. Jetzt wollen wir mit neuen qualifizierten Strategien von der Rampe abheben und durchstarten.
Melanie Kardinar: Die neue Tourismuskonzeption Thüringer Wald 2025 wurde zwar vom Regionalverbund Thüringer Wald e.V. auf den Weg gebracht, aber letzten Endes ist es ein schöner usgangspunkt, dass man alles zusammen denkt und nicht isoliert betrachtet. Denn das soll auch unser Credo sein, dass alles Hand in Hand geht, Tourismus und Wirtschaft. Das eine kann ohne das andere nicht funktionieren. Und wir reden hier nicht nur von Übernachtungszahlen, sondern von einer Wertschöpfungskette, die nur im Gesamtkontext betrachtet werden kann. Nur dann kann sich der Thüringer Wald weiterentwickeln.
Was konkret hat sich geändert zu bisherigen Vermarktungsstrategien im Tourismus?
Melanie Kardinar: Neu ist, dass wir jetzt vier Produktmarken herausgestellt haben: die Kulturregion Wartburg, die Aktivregion Rennsteig, die Naturregion Biosphäre und die Eventregion Oberhof. Das heißt, der Thüringer Wald bietet Reiseanlässe und vermarktet sich nicht mehr als Region. Wir gehen weg von der geografischen Verortung hin zu Reisethemen.
Zunächst haben wir analysiert, was sind die Stärken der Region, was könnte den Gast daran interessieren? Daraus haben wir dann diese vier Motive kanalisiert. Die Wartburg ist dabei Namensträger der Produktmarke Kulturregion und Aushängeschild. Wenn ich jemanden am anderen Ende der Welt etwas von der Wartburg erzähle, kann er das in seiner Bedeutung sofort zuordnen. Kultur im Thüringer Wald dagegen, dazu hat man keine Vorstellung. Diese Strahlkraft der Wartburg wollen wir nutzen, um die vielfältigen und hochkarätigen Kulturangebote im Thüringer Wald zu vermitteln.
Dr. Peter Traut: Unser Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen, Dr. Ralf Pieterwas, ist auch Vizepräsident des Regionalverbundes. Wir beschäftigen uns seit 2003 mit dem Regionalmarketing und haben gelernt, wie Tourismus funktioniert. Als Mittelgebirge kann man nicht mit der Destination werben. Es sagt kaum einer, ich möchte nach Deutschland in den Thüringer Wald. Die Motivation ist viel fraktionierter. Wir haben Schlösser, Burgen, Natur und bekannte Sportstätten als Hardware. Also haben wir zu jedem Thema ein Highlight herausgesucht. So ist die Konzeption entstanden, vier Jahre haben wir dafür mit externen Agenturen und dem Freistaat Thüringen zusammengearbeitet.
Wirtschaftsstaatssekretärin Valentina Kerst setzt sich für eine gemeinsame Datenbank der Tourismuszentren ein. Wurde dieser Gedanke auch im Konzept berücksichtigt?
Melanie Kardinar: Natürlich, dazu gibt es auch eine Kooperationsvereinbarung mit der Thüringer Tourismus GmbH. Das ist ein großes, komplexes und vor allem sehr wichtiges Thema. Wir brauchen eine zentrale Datenbank, aus der sich alle Tourismus-Akteure aus Thüringen bedienen können, um Texte, Bilder und Daten für Veranstaltungskalender zu nutzen. Es geht darum, alle digitalen Angebote zu bündeln und sie zentral zu pflegen, damit sie immer auf dem aktuellsten Stand sind.
Wie soll die angesprochene Wertschöpfungskette zwischen Tourismus und Wirtschaft in der Praxis funktionieren?
Dr. Peter Traut: Wir reden vom Tourismus im Thüringer Wald und dem Wirtschaftsstandort Südthüringen. Wirtschaft, Tourismus und Standortentwicklung sind miteinander verwoben. Im Gastgewerbe sind in Thüringen rund 23.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tätig, in Südthüringen sind es rund 4.000. Im Tourismus werden in Deutschland im Durchschnitt zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, in Thüringen liegen wir bei drei bis vier Prozent. Für Thüringen ist der Thüringer Wald, trotz Erfurt, Weimar und Eisenach, mit 4,1 Millionen Besuchern pro Jahr der Tourismus-Magnet. Zudem haben wir eine top entwickelte Wirtschaftsregion, wir sind die Nummer eins in Thüringen, wir haben fast Vollbeschäftigung und über 100 Industriearbeitsplätze pro 1000 Einwohner – in Gesamtthüringen sind es durchschnittlich 60, in Gesamtdeutschland liegen wir auch über dem Durchschnitt.
Cornelia Grimm: Für den Thüringer Wald als attraktiven Wirtschaftsstandort für Unternehmen und Menschen, die hier arbeiten und leben wollen, gibt es ähnliche Standortfaktoren und Alleinstellungsmerkmale wie im Tourismus, die wir jetzt noch stärker herausstellen wollen.
Was sind denn die Alleinstellungsmerkmale, um junge Leute nach der Schule hierzuhalten und Weggezogene von einer Rückkehr zu überzeugen?
Cornelia Grimm: Als wir 2009 das „forum Thüringer Wald e.V.“ gegründet haben, stand die Bindung an die Region im Mittelpunkt. Wir haben steuerbare Umsätze in der Industrie und industrienahen Dienstleistungen von über 60 Prozent. Keiner wusste das. Wir sind eine starke wirtschaftliche Region, aber ohne Zuwanderung können wir diese Entwicklung nicht aufrechterhalten.
Und da kommt auch der Tourismus mit seinen weichen Standortfaktoren wieder ins Spiel. Wir haben keinen Smog, kurze und staufreie Wege und natürlich eine wunderschöne Umgebung. Wir sind eine Region für Macher, hier kann man sich etwas aufbauen, Wohnraum und Grund- stücke sind noch bezahlbar und es gibt gute Karrieremöglichkeiten. Wenn man das alles in die Waagschale wirft, relativiert sich das höhere Gehalt in Bayern oder Baden-Württemberg wieder. Zumal bei uns die Löhne auch deutlich steigen, alleine von 2012 bis 2017 durchschnittlich um 16 Prozent, im Gastgewerbe um 26 Prozent, in der Industrie um 19 Prozent.
Dr. Peter Traut: Der simple Vergleich der Einkommen hinkt, natürlich verdient der Thüringer durchschnittlich 800 Euro weniger als die Menschen in den alten Bundesländern, aber viel entscheidender ist doch die Kaufkraft. Was bekomme ich für mein Geld? Die Quadratmeterpreise für ein freistehendes Einfamilienhaus mit einem Grundstück um die 800 Quadratmeter liegen in Erfurt bei 500 Euro, in Jena sind es 600 Euro, in Weimar 350 Euro, in Suhl und Zella-Mehlis 80 Euro, in den südthüringischen Kreisstädten sind es 60 Euro. Für das Geld bekommt man in Stuttgart nicht einmal eine 70 Quadratmeter große Eigentumswohnung.
Dennoch suchen die meisten Betriebe, sowohl in der Industrie als auch im Hotel- und Gaststättengewerbe, händeringend qualifizierte Mitarbeiter.
Dr. Peter Traut: Das stimmt, unsere Unternehmer geben seit zwei Jahren den Fachkräfteengpass als ihr größtes Problem an. In der Industrie dauert die durchschnittliche Besetzung einer freien Stelle aktuell durchschnittlich sechs bis acht Monate. Noch extremer ist es im Hotel- und Gaststättengewerbe. Es gibt zwar ein Überangebot an Ausbildungsplätzen, aber die Betriebe bekommen immer weniger geeignete Bewerbungen, zudem beginnen mehr als 50 Prozent der Schüler nach dem Abitur ein Studium. Vor zehn Jahren hatten wir im Kammerbezirk 2.000 Lehrverhältnisse in allen Bereichen, jetzt sind es nicht mal mehr 1.000. Deshalb haben wir vor drei Jahren ein Qualitätssiegel initiiert, mit dem wir Betriebe motivieren wollen, selbst auszubilden. Zusätzlich haben wir zahlreiche andere Projekte.
Cornelia Grimm: Zum Beispiel wollen wir mit unserer Jugendkampagne t-wood.de den jungen Leuten berufliche Chancen, insbesondere mit einer dualen Berufsausbildung, vor ihrer Haustür aufzeigen. In einem mittelständischen Unternehmen hier im Thüringer Wald sind die Aufstiegsmöglichkeiten außerdem viel größer als in großen Konzernen. In das Zentrum der Vermarktung stellen wir dabei immer mehr den Lebensmittelpunkt an sich, für junge Leute gehören eben zum Beispiel auch Events und Freizeitangebote dazu, um sich in ihrer Heimat wohlzufühlen.
Das kulturelle Angebot aber auch …
Melanie Kardinar: Als touristische Institution wollen wir deshalb die Kräfte bündeln, um unsere kulturelle Vielfalt erst einmal aufs Tablett zu heben und aktiv zu bewerben. Die Themen zu vernetzen und verschiedene Angebote genauer an die Zielgruppe heranzubringen, das muss das Ziel sein. Wenn wir mit allen Partnern zusammenarbeiten, ist die Chance auf Erfolg viel höher, als wenn jedes Angebot das nur für sich macht. Wir müssen unsere Perlen, die großen wie die kleinen, besser vermarkten. Das ist doch unser Alleinstellungsmerkmal im Thüringer Wald im Vergleich zu anderen Mittelgebirgen: diese kulturelle Vielfalt. Bestehend aus historischen Schlössern und Burgen und dem Theater in Meiningen, der Handwerkskunst der Glasbläserei, dazu kommen heutige Veranstaltungen wie der Provinzschrei in Suhl, das Rudolstadt- Festival, das Grasgrün-Festival, die Literaturtage auf der Burg Ranis, bis hin zu studentischen Kultur-Projekten in Ilmenau.
Diese kulturellen Angebote, eingebettet in eine wunderschöne Landschaft, sind es doch, die erheblich zur Lebensqualität beitragen. Für den Touristen wie für die Menschen vor Ort.
Vielen Dank für das Gespräch.
TOP Service:
Text: Jens Hirsch
Fotos: Mario Hochhaus, Dominik Ketz