„Wir wollen die Braut zum Altar führen.“

Handball ist seine Berufung, 24 Stunden am Tag. Und wenn es sein muss, auch darüber hinaus. Ein positiv Verrückter, einer der niemals aufgibt. Ein Meistermacher.

Das wissen sie seit 2010 auch in Bad Langensalza beim THC. Denn das gallische Handballdorf führte Herbert Müller seitdem zu sieben Meistertiteln, zwei Pokal- und zwei Supercupsiegen und unter die besten zehn Frauen-Mannschaften Europas.

TOP sprach mit dem 56-Jährigen vor seiner neunten THC-Saison über deutsche Tugenden, die rote Wand und ein offenes Geheimnis.   

Herr Müller, das früheste Ausscheiden einer deutschen Fußballnationalmannschaft bei einer WM ist immer noch in aller Munde. Haben Sie eine Ferndiagnose für das emotionslose, leidenschaftslose Auftreten von „Die Mannschaft“?

Ich glaube, dass sich die Spieler falsch eingeschätzt haben, die Vorbereitungsspiele wurden unterschätzt, die dachten, mit dem Start der WM läuft das dann schon wieder. Sie haben dann aber vollkommen emotionslos und ohne Herz gespielt. Die Franzosen sind doch mit unseren Tugenden wie Lauf- und Kampfbereitschaft Weltmeister geworden. Wir haben gedacht, wir können brasilianisch spielen, das ist uns gewaltig auf die Füße gefallen.

 

Was hätten Sie Ihrem Trainerkollegen Löw geraten?

Natürlich habe ich einige Entscheidungen von Joachim Löw nicht verstanden, aber einem so erfahrenen und erfolgreichen Bundestrainer per Ferndiagnose Ratschläge zu geben, wäre völlig falsch. Das haben ja schon die 70 Millionen Fernseh-Bundestrainer getan.

 

Wie reagieren Sie, wenn Sie spüren, dass bei Ihren Handball-Damen nicht genug Druck auf dem Kessel ist?

Bevor bei uns die Vorbereitung beginnt, halte ich immer eine längere Ansprache, um allen zu erklären, wie das beim THC abläuft. An erster Stelle steht bei uns der bedingungslose Kampf, Laufen bis zum geht nicht mehr. Wir sind das den besten Zuschauern der Liga in der Salza-Halle einfach schuldig. Das ist die Grundvoraussetzung für jede Spielerin, die bei uns anfängt. Sie muss dieses kämpferische Element, dieses THC-Gewinner-Gen, sofort verinnerlichen. 

Ich komme sehr viel über die Sprache, über Emotionen, ich lebe diesen Kampfgeist vor. Wir trainieren das auch jeden Tag. Und auch wenn wir eine familiäre Atmosphäre im Club haben, diese Gesetze müssen eingehalten werden. Wenn man immer 100 Prozent gibt, kann man nach einer Niederlage auch mit erhobenen Haupt in den Spiegel schauen.

 

Apropos familiär, Joachim Löw setzt auf eine flache Hierarchie…

Ich verfolge dagegen ein Pyramidenmodel, alle Spielerinnen sind eben nicht gleich, das ist Humbug. Es gibt Rollen, die verteilt werden, teilweise von mir und teilweise von den Spielerinnen, die sie sich im Training erarbeiten. Diese Rollen sind anzunehmen und auszufüllen.

 

Vor dieser Saison mussten Sie gleich sieben neue Rollen verteilen beziehungsweise Spielerinnen integrieren. Ist das der größte Umbruch seit Sie beim THC sind?

Das ist wirklich ein richtiger Umbruch, sieben neue Spielerinnen entsprechen einer kompletten Mannschaft. Was mich aber besonders macht, wir haben auch sehr talentierte deutsche Nachwuchsspielerinnen nach Bad Langensalza holen konnten. Die wollen sich bei uns weiterentwickeln.

 

Man spürt bei Ihnen die Faszination für den Handballsport quasi mit jedem Wort. Woher kommt das?

Das ist eine sehr schöne Frage. Ich bin in Rumänien in einem serbisch-deutschen Dorf geboren. Links der Hauptstraße, der einzigen asphaltierten Straße im Ort, lebten die Deutschen, rechts die Serben. Alle Serben haben Fußball und alle Deutschen haben Handball gespielt. Und mein Papa hat Feldhandball in der ersten Liga gespielt. Von daher wurde mir der Handballsport in die Wiege gelegt. Meine Vorbilder waren Erhard Wunderlich, Joachim Deckarm, aber auch ein Frank Wahl. Zu denen habe ich als junger Spieler aufgeschaut. Ich war von der ersten Sekunde an fasziniert von diesem Sport und wollte das selber spielen. Dass ich dann Trainer im Damenbereich wurde, ist eher einem Zufall geschuldet.

 

Das müssen Sie uns erklären.

Ich habe selber noch bis 35 beim FC Augsburg gespielt. Als ich 26 war, haben mich einige Spielerinnen aus Nürnberg angesprochen, ob ich sie nicht trainieren möchte. Ich sagte ihnen, dass mich Damenhandball nicht interessiert. Die haben aber nicht locker gelassen und sagten zu mir: Pass auf, du machst ein Training und wenn es dir nicht gefällt, lassen wir dich in Ruhe. Sollte es dir aber gefallen, trainierst du uns.

 

Es hat Ihnen scheinbar sehr gut gefallen?

Ja, aber eigentlich bin ich nur hingegangen, damit ich danach meine Ruhe habe. Ich sehe mich heute noch nach dem Training in der Kabine sitzen, ich dachte, Mensch, haben die gut trainiert. Ich mache das. Ab diesem Moment war ich infiziert vom Trainerberuf und habe gemerkt, dass Handball mein Leben, meine Berufung ist. Davon komme ich auch nicht mehr los. Im normalen Leben hatte ich Wirtschaftsmathematik studiert und arbeitete in Nürnberg als Dozent. Ich habe dann dort die Frauenmannschaft in der fünften Liga übernommen…wir haben vier Jahre kein Spiel verloren, sind in die erste Liga aufgestiegen, Deutscher Meister geworden.

Es hält sich das Gerücht, es sei schwieriger, Frauen zu trainieren als Männer. Würden Sie dem widersprechen?

Nein, Ich stimme dem zu 100 Prozent zu. Als Aktiver war ich auch mal für ein halbes Jahr Spielertrainer. Männer sind einfacher strukturiert, die hauen sich Training mal auf den Kopf und gehen danach ein Bier trinken, alles ist dann wieder gut. Frauen merken sich solche Vorfälle zehn Jahre lang. Sie sind vielschichtiger, man muss mehr individuell mit ihnen arbeiten und sie gleich behandeln. Auf der anderen Seite sind Frauen, wenn du als Trainer die angesprochenen Werte vorlebst, viel belastbarer, können viel mehr über ihre Grenzen gehen. Sie gehen den Weg zu 100 Prozent mit. Da habe ich schnell festgestellt, dass das mein Weg ist.

 

Dieser Weg führte Sie 2010 zum Thüringer Handballclub nach Bad Langensalza. Sie gewannen seit dem sieben Meisterschaften, jeweils zwei Mal Pokal und Supercup und führten den THC unter die Top-Ten in Europa. Wie haben Sie dem Verein das Siegergen eingepflanzt?

Das ist mir sehr leicht gefallen, weil ich in der Stadt mit dem Bürgermeister Bernhard Schönau, Klaus Kliem, Karsten Döring und Alfred Heyl einen Vorstand vorfand, der unglaublich motiviert war und etwas beweisen wollte. Die haben mir von Anfang an vertraut und mir die alleinige sportliche Verantwortung gegeben. Ich habe dann schnell gemerkt, dass die Mannschaft nicht gut zusammengestellt war, aber dass im Verein ein riesiges Potenzial schlummerte. Die Stadt ist Handballverrückt, die berühmte rote Wand kannte ich schon als Trainer von Nürnberg. Alle Zuschauer stehen wie eine eins hinter ihrer Mannschaft. Ich hatte dann das Glück, dass viele meiner Spielerinnen, die meine Philosophie aus Nürnberg kannten und die im Ausland und der ganzen Bundesliga verstreut waren, meinem Ruf sofort folgten. Dass daraus so eine Erfolgsgeschichte werden würde, das kann man ja nicht einmal planen. Das ist für dieses kleine Gallier-Dorf eine wahre Sensation. Keiner kannte 2010 in Europa den THC, inzwischen kennt man uns ganz gut und schaut mit großem Respekt auf uns. Weil man weiß, das wir im Vergleich zu anderen internationalen Top-Mannschaften nur über ein Zehntel deren Etats verfügen.

 

Ihre Mannschaft war auch im vergangenen Jahr in der Bundesliga nicht der Top-Favorit. Sie sind trotzdem souverän Meister geworden. Sie sprachen sogar von einem irrealen Jahr. Aber irgendwann muss die Siegesserie doch mal reißen?

Die letzten beiden Meisterschaften in den letzten drei Jahren waren eine Sensation, weil Bietigheim sicherlich den dreifachen Etat zur Verfügung hat. Das ist wie der FC Bayern München, die lassen keinen anderen mehr Meister werden. Und wenn die, wie jetzt geschehen, unsere Torhüterin haben wollen, dann bekommen sie die auch. Auf der anderen Seite haben wir es trotzdem geschafft, und im vergangenen Jahr dank einer frappierenden Geschlossenheit und Dominanz sogar mit zehn Punkten Vorsprung. Das war vielleicht der bisher wertvollste Titel. Wir haben eben etwas ganz Besonders hier und glauben immer daran, dass wir es schaffen können.

 

Dann können Sie ja für die anstehende Saison nicht sagen, wir wollen Dritter werden?

Nein, das können wir nicht. Aber wir haben auch keine Titelpflicht, das möchte ich auch klarstellen. Aber wir geben auch nichts freiwillig her. Wir haben einen großen Umbruch in der Mannschaft, deshalb ist mein erstes Ziel, dieses Team weiterzuentwickeln, die jungen deutschen Spielerinnen an ein Champions-League-Niveau heranzuführen. Wir wollen die Braut auf allen drei Hochzeiten recht nah an den Altar führen, dabei unseren Meistertitel verteidigen und wieder in die Champions-League Hauptrunde kommen. Der nächste Schritt wäre dann das Viertelfinale der besten acht Mannschaften Europas. 

 

Apropos Altar, die Salza-Halle wird bis 2020 zu einem richtigen Handball-Tempel für 1700 Zuschauer umgebaut. Ihr Vertrag endet im gleichen Jahr, aber Sie wollen doch bestimmt noch Champions-League in der neuen Halle spielen?

Nordhausen, wo wir aktuell unsere Champions-League-Heimspiele austragen, ist für uns dank

Helmut Peter zu einer zweiten Heimat geworden. Ein großes Dankeschön an ihn, er marschiert schon seit einigen Jahren hier vorneweg. Das ist sensationell, was er geschafft hat. Wir hatten in diesem Sommer noch nie eine so frühe Etat-Sicherheit. Die Person Helmut Peter war für mich auch ausschlaggebend hier noch einmal für zwei Jahre zu verlängern. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass ich gern einmal die Champions-League gewinnen möchte. Ich hatte entsprechende Angebote von Teams, die das schaffen können. Aber der Reiz, mit diesen jungen deutschen Spielerinnen zu arbeiten, diese Verantwortung, sie zu formen. Diese Herausforderung ist so groß, dass für mich noch kein Ende abzusehen ist.

 

Was muss passieren, damit der THC die Champions-League gewinnt?

Es ist sehr gut, dass wir viele kleine Sponsoren in Bad Langensalza haben, die uns schon lange die Treue halten. Für den nächsten Schritt bräuchten wir aber auch einen Großen dazu, um die Top-Spielerinnen hier zu halten und ihnen aufzuzeigen, dass wir auch international mehr erreichen können.

Wir sind ein Top-Aushängeschild für Thüringen. Das wollen wir dauerhaft etablieren. Unser Produkt steht für harte Arbeit, Erfolg und Attraktivität. Wo sieht man noch in sechzig Minuten an die sechzig Tore, 200 Zweikämpfen, Dynamik und Tempo.

 

Können Sie überhaupt einmal abschalten, entspannen vom Handball?

Das ist ganz, ganz schwierig. Ich beschäftige mich wirklich teilwiese 24 Stunden mit Handball und mit den Mädels, denen ich so viel zu verdanken habe. Da muss meine Lebenspartnerin mir schon öfters mal sagen, hallo, ich bin auch noch da. Meine beiden kleinen Jungs, die zwei und vier sind, nehmen sich auch ihr Recht. Das ist gut und schön so.

Ansonsten mag ich Filme und Musik, ich war auch wieder bei den Domstufen-Festspielen. Und natürlich mag ich jede Ballsportart. Ich spiele gerne Fußball, Tennis, Badminton. Da können Sie mich zu jeder Nachtzeit wecken, da bin ich dabei. Leider ist die Mathematik in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen. 

 

Ansonsten könnten Sie ja eine Formel für den immer währenden Erfolg aufstellen.

Das wäre schön, aber Gott sei Dank spielen da noch immer so viele andere Aspekte eine viel wichtigere Rolle. Der Mensch ist wichtiger als irgendeine Formel. Es passieren im Sport immer wieder überraschende Dinge. Aber das ist es ja auch, was Sport ausmacht.

 

Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

TOP Service:

www.thueringer-hc.de

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus