„Das war etwas Erhebendes.“
Seit 1898, also seit über 120 Jahren, werden am Fuße der Wartburg in Eisenach Automobile gebaut. Wartburg-Motorwagen, DIXI, BMW, EMW, IFA, Wartburg und OPEL standen und stehen für die Eisenacher Ingenieurskunst. Von Anfang an hautnah dabei war die Familie von Reinhard Schäfer, dem heutigen Betriebsrat des Opel Werks. Ein Besuch im Automobilmuseum am historischen Standort.
„Einer der Männer ist mein Urgroßvater“, sagt Reinhard Schäfer und zeigt auf das große Bild im Eingangsbereich im „automobile welt museum“ in Eisenach. Nur welcher, das weiß er nicht. Bekannt ist, dass Paul Schäfer aus Ohrdruf 1896 dem Ruf des Herrn Heinrich Ehrhardt folgte. Der Geheime Baurat aus Zella brauchte für seine gerade in Eisenach gegründete Fahrzeugfabrik Arbeitskräfte. Paul Schäfer fängt als Eisendreher an.
„Und seit dem, also so lange es diesen Automobilstandort gibt, haben Vorfahren von mir hier gearbeitet“, erzählt Reinhard Schäfer. Nach dem Urgroßvater der Großvater Karl Schäfer als Motorenschlosser und Kalkulator, Vater Paul Schäfer war Finanzökonom. „Und jetzt bin ich hier“, sagt Reinhard Schäfer lächelnd. Für ihn war schon in jungen Jahren sonnenklar: „Das mache ich auch!“ Spätestens als der Großvater, der bis 1965 im Werk arbeitete, und ein Kollege den kleinen Reinhard in einem nagelneuen Wartburg auf eine Spritztour mitnahmen, war es um ihn geschehen. „Der Geruch, die Plastikschonbezüge auf den Sitzen. Das war etwas Erhebendes. Das prägt!“, erinnert er sich. Nachdem die Schwester im Werk eine Lehre zum Zerspanungsfacharbeiter und der Bruder zum Karosseriebauer absolvierte, war Reinhard Schäfer 1979 dran. Als er zum Bewerbungsgespräch für eine Lehre zum Fahrzeugschlosser erschien, schaute der Ausbilder auf seine Unterlagen und sagte nur: „Du bist doch der vom Schäfer, alles klar. Du fängst bei uns an.“ Reinhard Schäfer ist erleichtert, eine Alternative gab es aber auch nicht. Dennoch verlässt er als Facharbeiter für ein paar Jahre das Wartburgwerk. 1992 kehrt er zurück, in das jetzige Opel-Werk. Zunächst als Teamsprecher in der Fertigung – früher nannte man das Brigadier.
Seit 2002 ist Reinhard Schäfer Betriebsrat.
Und er ist seit mehreren Jahren ehrenamtlicher Geschäftsführer des Automobilbau Museum Eisenach e.V. In dieser Funktion führt er regelmäßig Besucher durch das Automobil-Museum, das im einstigen Verwaltungsgebäude der Fahrzeugfabrik seine Heimat gefunden hat, und erklärt die historischen Zeugnisse aus 120 Jahren Automobilbau. Dort steht auch ein Wartburg-Motorwagen „Modell1“ aus dem Jahr 1899. Das 3-PS-Auto mit einer Spitzengeschwindigkeit von 40 km/h war das erste Automobil, das in Eisenach gebaut wurde. Zuvor wurden zwei Jahre lang zunächst Wagen zum Munitionstransport sowie Fahrräder produziert. Eisenach war nach Mannheim (Benz, 1883) und Cannstadt bei Stuttgart (Daimler, 1890) der dritte Standort industrieller Fahrzeugherstellung. Der Wartburg-Motorwagen wurde auf Basis einer französischen Lizenz gebaut, welche somit die Grundlage für den Eisenacher Automobilbau bildete. Damit schließt sich für Reinhard Schäfer ein Kreis. Denn 2017 übernahm die französische PSA Gruppe den Hersteller Opel. Derzeit wird in Eisenach der Opel Grandland X gebaut, ein Zwillingsbruder des Peugeot 3008. In der Bedeutung der deutschen Automobilstandorte kommt Eisenach für Reinhard Schäfer „deutlich zu kurz“. Dabei wurden in den Werk bisher sieben Marken gefertigt: Wartburgmotorwagen,
Dixi, BMW, EMW, IFA, Wartburg und seit 1990 Opel. Am 5. Oktober 1990, zwei Tage nach der Wiedervereinigung, rollte vor den Augen von Bundeskanzler Helmut Kohl der erste Opel Vectra vom Band. Ein halbes Jahr lang wurden sogar Opel und Wartburg parallel produziert. Bis am 10. April 1991, der letzte von insgesamt 1,6 Millionen Wartburg 35 Jahre nach Produktionsbeginn das Werk verließ.
„Bis Mitte der 1960er Jahre konnte der Wartburg auf dem Weltmarkt mithalten“, erklärt Reinhard Schäfer vor einem schicken roten 311 Coupe. Die Einführung des Wartburg 353 1966 sei top gewesen und war international anerkannt. Schon damals wurde die Innenfarbe abgestimmt auf den Außenlack, ebenso standen die Teile zur richtigen Zeit an der Fertigungslinie bereit. „Das gab es alles schon, hatte nur noch nicht so schicke Namen wie heute: Just-in-time oder Just-in-sequence“, so Schäfer. Neue internationale Umweltrichtlinien zum Abgas erschwerten allerdings fortan den Devisen bringenden Verkauf ins Ausland. „Es folgten 20 Jahre Stagnation im Werk, das hat unsere Leute tief frustriert.“ Eine Szene wird Reinhard Schäfer nie vergessen: Als er 14 war, machte seine Klasse einen Arbeitseinsatz im Automobilwerk. Beim Besuch des Vaters in dessen Büro sah er einen modernen Rechner mit 17 Stellen. Der Stuhl, auf dem der Vater saß, trug allerdings die Inventarnummer vom BMW-Werk aus den 1930iger Jahren, auch das Telefon war noch aus Vorkriegstagen. „Spätestens bei der Premiere des Wartburg 1.3 1988 war jedem klar, dass wir verloren haben. Die Fahrgastzelle war identisch mit jener von 1966. Wenn man sich reingesetzt hat, schepperte es genauso wie 20 Jahre zuvor.“ Die Mechaniker, Konstrukteure und Ingenieure konnten nichts dafür, denn sie haben das gemacht, was unter den Gegebenheiten möglich war. Es war schlicht kein Geld für neue Werkzeuge da, das vorhandene war zum Teil 30 Jahre alt. Die DDR-Führung verkaufte lieber die modernen Pressen von Umformtechnik aus Erfurt für Devisen in den Westen, anstelle diese in die heimische Produktion zu geben.
Heute werden Wartburg-Modelle aus den 1950er und 1960er Jahren wie das 311 Coupé zu Liebhaberpreisen von bis zu 70.000 Euro gehandelt. Für die Coupés, Cabriolets und Kombi- bzw. Touristmodelle trugen die Eisenacher aber leider nur die Fahrgestelle bei, die Karossen wurden in Halle und Dresden gefertigt. Die Kapazitäten für diese Sonderanfertigungen waren in Eisenach nicht vorhanden. Es gab vielfach Ansätze, ein neues Werk zu bauen. Das scheiterte aber an den Finanzen. Die Vorarbeiten mit Wasseranschluss, Elektrizität und einem neuen Fertigungsgebäude in Eisenach-West gab es schon in den Achzigern, wurden letztlich aber erst nach der Wende von Opel vollständig umgesetzt. Die Halle, in der heute der Grandland gefertigt und vorher über drei Millionen andere Opel-Modelle produziert wurden, war ursprünglich als Karosseriebau-Halle für den Wartburg gebaut worden. „Es hat also etwas überlebt“, schmunzelt Reinhard Schäfer. Ein Familienmitglied, das die Schäfer-Linie im Eisenacher Automobilbau fortsetzt, ist allerdings noch nicht in Sicht.
Text: Jens Hirsch
Fotos: Mario Hochhaus, Automobilbau Museum Eisenach e.V.