„Wir haben uns nie verloren.“

Sie sind Deutschlands berühmtestes Schwesternpaar und seit Jahrzehnten als Schauspielerinnen erfolgreich: Gerit Kling und ihre fünf Jahre jüngere Schwester Anja Kling. Sie sind beste Freundinnen und wohnten sogar 18 Jahre mit ihren Familien im selben Haus in Potsdam. Und dennoch könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Da verwundert es auch nicht, dass ihre gerade erschienene Biografie folgendermaßen heißt: „Dann eben ohne Titel… Wir konnten uns mal wieder nicht einigen. Zwei Schwestern, eine Geschichte“.

Diese Geschichte, die unter anderem von fünf dramatischen Tagen im Wende-Herbst 1989 erzählt, gaben Anja & Gerit Kling im Gothaer Lindenhof bei „Ein Abend mit…“ preis. Ob sie sich einig waren?

Nicht immer. Das erfährt das Publikum im Cranach-Saal des Hotels „Der Lindenhof“ an diesem kurzweiligen Sommerabend zwischen pochiertem Lachsfilet, geschmorter Rinderschaufel mit mariniertem Mangold und Mango-Mascarponetörtchen.

Im Duett lasen die im weißen Partnerlook erschienenen Schauspielerinnen Gerit und Anja Kling heitere und weniger heitere Geschichten aus ihrem Buch „Dann eben ohne Titel… Wir konnten uns mal wieder nicht einigen. Zwei Schwestern, eine Geschichte“.

 

Kindheit

Als Kinder sehen sich Gerit & Anja überhaupt nicht ähnlich. Erst mit den Jahren wurden sie sich optisch ähnlicher, vor allem im Habitus und der Tonlage. Ab und zu werden sie sogar in der Öffentlichkeit verwechselt.

Gerit führt als Kind gern alle an der Nase herum und erfindet Geschichten. Zum Beispiel erzählt sie mit 13 Jahren in der Schule, dass sie eine Rolle in der amerikanischen TV-Serie Starsky & Hutsch bekommen hat und bald in die USA zum Drehen fliegen wird. Das sei alles mit der DDR-Regierung abgesprochen, versichert sie den verdutzten Schülern und Lehrern. Sie steigert sich da so rein, dass sie es nach einer Weile selber glaubt und dann ganz enttäuscht ist, als sie die Mutter aufklärt: „Liebes Kind, das ist leider nicht wahr.“

Ein anderes Mal erzählt sie der ESP-Lehrerin (ESP: Einführung in die sozialistische Produktion), dass sie zuhause den ganzen Keller voller neuwertigen West-Fließen haben, die sie sich abholen könne. Die Lehrerin, ein strammes Parteimitglied, kommt am Abend vorbei und muss dann aber zu ihrem Entsetzen feststellen, dass Gerit einen Aprilscherz gemacht hatte. „Das hat mir die Lehrerin nie verziehen, den Spaß war es aber wert.“

  

Flucht

„Schaut, dass ihr rauskommt aus diesem Land“, sagte die Mutter zu ihren Töchtern im Sommer 1989. Am 3. November öffnete die Tschechoslowakei die Grenze zur BRD und ließ DDR-Flüchtlinge ausreisen. Gerit zu Anja: „Jetzt oder nie! Die machen die Grenze wieder dicht, wir müssen jetzt rüber! Kommst du mit?“ Anja weint, sie will nicht, wegen der Familie, sie hat Angst, und am nächsten Morgen hat sie einen Drehtermin. Sie möchte ihre Kollegen nicht im Stich lassen. „Es können doch nicht alle fliehen.“ Ihr damaliger Freund Jens hält dagegen: „Wir kommen mit.“ Also machen sich Gerit, Anja und ihre Freunde am 4. November gegen 18 Uhr im Trabi auf den Weg, ohne die Eltern einzuweihen. Sie packen nur ein paar Wintersachen ein, schließlich wollen sie ja „offiziell“ nur in der Hohen Tatra ein bisschen Ski fahren. Anja ist nervlich am Ende: „Was mache ich hier nur?“ Erst ein paar kräftige Schlucke Rotkäppchen Sekt lassen sie einschlafen. An der tschechoslowakischen Grenze wird das Quartett von den DDR-Soldaten gründlich gefilzt. Die finden aber nichts und die „Touristen“ dürfen weiterfahren. Dennoch ist die Stimmung gedrückt, alle haben Angst. Und sie müssen noch ihr DDR-Geld loswerden, dass darf nämlich nicht mit in die bundesdeutsche Freiheit genommen werden. An einem Kiosk wird es schließlich eingetauscht in hochprozentigen Becherovka.       

Gegen Mitternacht erreichen sie in ein Waldgebiet. Die Blechlawine zahlreicher DDR-Autos weist den Weg zur Grenze. An dieser werden die vier Republikflüchtlinge zu ihrem Erstaunen einfach durchgewunken. Sie kommen in das Auffanglager in Wackersdorf, am 9. November nach Schwandorf. Dort stehen sie 14 Stunden bei der Registrierungsstelle an. Die Pärchen wechseln sich ab. Gerit und Anja versuchen derweil ihre Eltern telefonisch zu erreichen. Als die Mutter abnimmt, bekommt Anja kein Wort heraus, sie weint. Der Mutter geht es genauso. Am frühen Abend macht ein Gerücht die Runde: Die Mauer ist offen! „Ach du Sch…, hätten wir nur fünf Tage gewartet“, sagt Anja. Gerits Freund Robbi hat sofort die Idee: „Wir fliegen nach West-Berlin!“ Der nächste Flughafen ist in Nürnberg. Also fahren die vier los. Am Flughafenparkplatz werden sie auch schon erwartet. Von einem eifrigen Geschäftemacher, der ihren Trabi kaufen möchte, denn den können sie ja nicht mitnehmen. Und stehen lassen dürfen sie das gute Stück auch nicht. Sage und schreibe 50 DM bietet der gute Mann. Zusammen mit dem Begrüßungsgeld wird das für die Flüge sicher reichen, denken sie erfreut. Falsch gedacht, wie sich am Ticketschalter herausstellt. Die vier sind vor fünf Tagen aus einem Land in ein anderes geflüchtet und wollen jetzt über dieses wieder zurück in das alte, welches aber nicht mehr das alte ist… Am Ticketschalter müssen sie aber so niedergeschlagen ausgesehen haben, dass die Flughafenmitarbeiter ihnen erst ein ausgiebiges Frühstück besorgen und sie schließlich doch nach West-Berlin fliegen lassen. So endet ihre Flucht nach fünf Tagen dort, wo sie begann: zuhause. Nur fünf Tage. Für Anja waren sie „eine Ewigkeit“. „Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, meinen Kindern zu sagen, sie sollen das Land für ein besseres Leben verlassen. Die Situation von heute ist aber auch nicht vergleichbar mit 1989, als uns unsere Mutter zur Flucht riet. Damit zeigte sie uns ihre grenzenlose Liebe, weil es ihr wichtiger war, dass wir in Freiheit leben, auch wenn wir uns vielleicht viele Jahre nicht gesehen hätten.“

Berufung

Während es Gerit von Kindesbeinen an auf die Bühne und vor die Kamera zog, kam Anja erst über Umwege zur Schauspielerei. Beide machten sie Karriere, doch auch das Leben im Rampenlicht hat seine Schattenseiten. „Dieser Beruf ist der schönste der Welt, wenn er funktioniert, und der grausamste, wenn er nicht funktioniert“, sagen sie unisono. Zusammen standen sie mehrfach vor der Kamera, z.B. in „Irren ist sexy“ oder „Die Masche mit der Liebe“.

Anja Kling: „Wenn die Mauer nicht gefallen wäre, im Westen hätte ich nicht zur Schauspielerei gefunden. Die Vorstellung, meine Eltern könnten mich nur im Fernsehen sehen, hätte ich nicht ertragen können.“                        

Gerit Kling: „Ich leide wahnsinnig an Lampenfieber vor jeder Theater-Vorstellung. Mein Bauch sagt mir immer, du möchtest da jetzt nicht raus auf die Bühne. Spätestens nach drei Minuten, in denen ich permanent denke, ich schaffe das nicht, beruhigt sich mein Körper.“

Anja Kling: „Zu DDR-Zeiten haben wir pro Tag zwei bis drei Filmminuten produziert. Es kam auch vor, dass wir tagelang auf Sonnenschein gewartet haben. Heute wird dann eben bei Regen gedreht und wir produzieren sieben bis zehn Minuten. Alles ist viel schneller geworden, früher hat man einzelnen Szenen mehr Raum gegeben. Ich spüre, ob eine Szene gut geworden ist, aber nicht der ganze Film. Den bekomme ich erst nach dem Schnitt zugeschickt. Ich schaue ihn mir zunächst ganz alleine an und entscheide dann, ob ich meinen Freunden den Sendetermin sage, oder ob ich sie für den Tag zum Grillen einlade.“

 

Hollywood?

Anja Kling: „Nein, dazu ist mein DDR-Englisch auch viel zu schlecht. Ich hoffe, dass ich noch einige Jahre bei uns Rollen spielen darf, die einen Namen haben und nicht im Abspann unter Fußgängerin oder Polizistin auftauchen.“

Gerit Kling: „Seit zwei Jahren führe ich am Theater Regie, ich habe quasi die Seiten gewechselt. Das ist aktuell meine größte Herausforderung, der ich mich stelle.“

 

Beste Freundinnen

18 Jahre wohnten sie mit ihren Familien in einem Haus, erst mit über 50 zog Gerit Kling aus und wohnt jetzt sieben Kilometer entfernt, worauf sie richtig stolz ist. Jetzt können sie sich wieder besuchen. Alt werden wollen sie dann aber wieder zusammen, „als fröhliche ältere Damen“.

Gerit Kling: „Trotz aller Meinungsverschiedenheiten haben wir uns ein Leben lang Halt gegeben und uns nie verloren.“

 

Buch

Vor einem Jahr wurden die Schwestern gefragt, ob sie nicht eine Biografie schreiben möchten. Zunächst waren sie skeptisch: „Sind wir dafür nicht noch zu jung?“ Die renommierten Journalisten Olaf Köhne und Peter Käfferlein (verantwortlich für Bestseller-Biografien über Dirk Roßmann („…dann bin ich auf den Baum geklettert“), Hardy Krüger („Was das Leben sich erlaubt“) und Wolfgang Kubicki („Sagen, was Sache ist“) überzeugen sie schließlich. Entstanden ist auf 256 Seiten ein unterhaltsamer Blick auf eine langjährige „Geschwister-Laufbahn“ im deutschen Fernsehen und eine ganz besondere Schwesternbeziehung.

Anja Kling: „Über das Buch haben wir natürlich viel diskutiert. Jeder hat ja seine ganz eigene Wahrnehmung von den Geschehnissen. Oft haben wir unsere Eltern gefragt: Wie war es denn wirklich? Gerit, darf ich die Geschichte mit der Wochengrippe erzählen? Gerit hat bei den Interviews für das Buch erzählt, sie sei in der Wochengrippe gewesen. Ich sagte, nein, das warst du nicht. Gerit: Doch! Schließlich löste unsere Mutter auf: Gerit ging in eine ganz normale Grippe, und nebenan war ein Wochengrippen-Einrichtung.“

Gerit Kling: „Das Buch hat bewirkt, dass wir viele Streitigkeiten beigelegt haben. Wir sind gestärkt aus der Sache herausgegangen.“

 

Corona-Pause

Anja Kling: „Mein Garten ist jetzt so ein richtiger Strebergarten.“

Gerit Kling: „Drei Kilogramm“ (lacht).

 

Ossis

Anja Kling: „Das macht schon noch etwas mit uns, wir sind ein bisschen anders als die Wessis.“

 

Thüringen

Gerit Kling: „Ich wurde in Altenburg geboren, weil unsere Eltern dort studierten haben. Nach anderthalb Jahren sind wir zurück in die Nähe von Potsdam gezogen. Mit Anja habe ich viele Ferien in Thüringen bei Verwandten verbracht.“   

Anja Kling: „Ich kann mich auch an viele Familienfeierlichkeiten in Thüringen erinnern. Gotha hat man ja nie so richtig auf dem Schirm. Das habe ich erst jetzt wieder gemerkt! 2013 waren wir ja schon einmal im Lindenhof zu Gast. Ich bin ganz entzückt von dieser schönen Stadt.“

 

Abspann

Und auch wenn sich die Schwestern (natürlich) nicht in allen Punkten einig waren, so war es doch ein sehr unterhaltsamer und harmonischer Abend. Und einen gemeinsamen Nenner fanden Gerit & Anja Kling am Ende dann doch noch: Nach Gotha wollen sie unbedingt wiederkommen!

 

Service:

www.der-lindenhof-gotha.de

 

Gerit Kling, geb. 1965, stand bereits im Alter von fünf Jahren in der DEFA-Feuchtwanger-Verfilmung „Goya“ vor der Kamera. Nach Schule und Ausbildung studierte sie an der renommierten Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst in Berlin. Seit nunmehr 31 Jahren ist sie in Kino, Theater und Fernsehen zu Hause, in den 1990ern u.a. in der TV-Serie „Die Gerichtsreporterin“. Seit 2007 spielt sie die Notärztin Dr. Maren Maibach in der ZDF-Vorabendserie „Notruf Hafenkante“, 2019 war Gerit Kling täglich in der ARD-Serie „Rote Rosen“ zu sehen. Seit 2017 führt sie auch Regie am Theater.

Anja Kling, geb. 1970, machte 1989 das Abitur, nachdem sie zuvor ein Jahr lang an der staatlichen Ballettschule Berlin studierte hatte. Ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielte sie mit 17 Jahren in der DEFA-Produktion „Grüne Hochzeit”. Seither war sie in zahlreichen Kino-und Fernsehfilmen zu sehen: ein Repertoire, das inzwischen mehr als 20 Kino- und über 100 Fernsehfilme umfasst. 1995 erhielt sie die „Goldene Kamera” als „Beste Nachwuchsschauspielerin”. Ihr komödiantisches Talent bewies sie in Bully Herbigs „(T)Raumschiff Surprise”, wofür sie 2004 den Bambi und den „Deutschen Comedypreis” erhielt. Für „Wir sind das Volk” wurde sie als „Beste deutsche Schauspielerin” mit der „Goldenen Kamera” und dem „Bayrischen Fernsehpreis” geehrt, der ihr 2012 abermals für „Hannah Mangold & Lucy Palm” verliehen wurde.

 

Text: Jens Hirsch

Foto: Dr. Bernd Seydel