Legenden im Schlamm

Der härteste Crosslauf in Thüringen! So bewirbt Olympiasieger Nils Schumann seinen Anfang November stattfindenden etwas anderen Lauftreff um die „Drei Gleichen“. 1500 Jünger folgten seinem Ruf nach Mühlberg. Ausverkauft. Es geht rauf und runter, über Stock und Stein, Strohballen und Eskaladierwand, Felder und Wiesen, durch Wasser und Schlamm. Zur Belohnung werde man nach der Plagerei „zur Legende“ – wie dereinst im Jahre 2000 der Nils in Sydney. Allerdings musste der Erfurter damals keine Hindernisse überwinden und auch nur 800 Meter laufen.

Egal, Legende! Das war auch für mich das Signal zur Teilnahme an meinem ersten Crosslauf – dem Legend of Cross.      

Jetzt stehe ich hier und konnte doch nicht anders. Wie ein begossener Pudel, durchtränkt mit eiskaltem Wasser, Schlammgebadet, die Knie aufgeschürft, die rechte Wade zwickend. Es regnet. Eine Mittelalterband dudelt vor sich hin. Um mich herum frohlocken nach dem Zieleinlauf glücksbeseelte Sprinter, Experten und die ersten Berserker. Ich friere. Eine junge Frau hängt mir eine Medaille um den Hals. Legend of Cross. Ein Glücksgefühl überkommt mich, ich fühle mich federleicht, obwohl mir mein Körper andere Signale sendet. War das g… schön!

Exakt eine Stunde, achtzehn Minuten und vierundzwanzig Sekunden zuvor stand ich an derselben Stelle und durchlief zusammen mit 700 Gleichgesinnten den Startbogen. Sprintstrecke. 9,5 Kilometer. 300 Höhenmeter und das eine oder andere natürliche und künstliche Hindernis lagen vor mir und den anderen Legendenanwärtern und -innen. Gemächlich ging es los über den Sportplatz zu Mühlberg. In Richtung „Morast“, dem ersten Hindernis. Man kann auch sagen, eine Schlammgrube. Gut, dass ich mir das lustig feuchte Treiben an selbiger Stelle schon eine Stunde zuvor bei den 420 Experten und den gänzlich verrückten 200 Berserkern, die sich ja unbedingt die 17,5 bzw. 27 Kilometer lange Schleife um alle „Drei Gleichen“ geben mussten, angesehen habe. Ganz links oder ganz rechts am Brückenrand entlang, dort bestand die beste Chance, nicht bis zur Brust im pechschwarzen Schlammwasser zu versinken. Umso mehr wollte ich jenes erreichen, da ich erfuhr, dass sich im Wasser auch Fäkalien der hier üblicherweise vorbeiziehenden Schafe befinden. Ich entschied mich für links, der für mich klar gangbarerer Weg als rechts außen. So versank ich nur bis zur Hüfte im dunkelbraunen Siff.           

Fortan ging es mal hoch, mal runter, immer unterhalb des Kammes entlang, auf dem die Mühlburg thront. Springend über den brennenden „Backofen“, kletternd über die Strohpyramide, die ich leicht und locker emporschwebte, trittsicher durch den Reifenstapel, auf allen Vieren durch Kriechhindernisse. „2,4 Kilometer“, hörte ich jemanden sagen. Schon fast ein Drittel geschafft, dachte ich. Meine Beine fühlten sich gut an, obwohl sich die Anstiege in Waden und Oberschenkel langsam hineinfraßen. Das Lauftraining der vergangenen Wochen schien sich auszuzahlen. Der 700 Frau und Mann starke Pulk hatte sich längst in eine schier endlose Schlange verwandelt. Es wurde immer ruhiger. Jeder hatte mit sich zu tun. Die leicht verzerrten Gesichter um mich herum wurden mir langsam vertraut. Die Spreu trennte sich vom Weizen. Der Spreu ging immer öfter.           

Über dem Kamm hinweg und kriechend durch das nächste Hindernis, ging es bergab den Canyon hinunter, an Feldern vorbei. Die erste Kletterwand war ohne Kletterei zu bezwingen, durch ein Loch. Langsam wurde mein Laufstil zäher. Der folgende Wassergraben tat sein Übriges. Schattig war das Wasser. Vielleicht hätte ich doch lieber, wie die meisten, eine lange Laufhose anziehen sollen. Aber nein, ich wollte als Ex-Fußball-Amateur Beinfreiheit und kein selbstatmendes und wasserabsorbierendes Doppelbeinkondom tragen. Das rächte sich jetzt. Die Kälte setzte meinen Waden zu. Trotzdem wollte ich die sich mir in den Weg stellende gut zwei Meter hohe Eskaladierwand, diesmal ohne Schlupflöcher, mit einem beherzten Sprung bezwingen. Warum machen die neben mir Baumleiter oder versuchen sich auf den Stützen hinaufzuschieben? Ich schaffe das auch so. Sprung. Schmerz. Meine Unterarme, oben angekommen, konnten oder wollten den Rest des Körpers nicht mehr tragen, geschweige denn auf die andere Seite busgieren. Sie verharrten zitternd in Schockstarre. Plötzlich hievte sich mein hilflos herumbaumelndes Gebein inklusive Hüfte nach oben und ich flog hinüber. Ein letztes Aufbäumen meines geschunden Körpers? Mitnichten. Ein mein zappelndes Körperlein bemitleidender Mann wie ein Baum, warf mich in die Höh und über die Wand. Geschafft, lädiert an den Knien und entkräftet ging es weiter. „Immer weiter, immer weiter“, schrie doch dereinst der Fußball-Titan seine Vorderleute in letzter Minute zur Meisterschaft. Gut, dass es jetzt bergauf geht! Die „Hohe Nummer“ hinauf zur Mühlburg machte ihrem Namen alle Ehre. „Bleib da ganz ruhig und versuche gar nicht erst zu rennen. Das macht dort keiner“, warnte mich Nils Schumann, Olympiaheld, Personal Trainer, Autor und Organisator des Legend of Cross, im Vorfeld eindringlich. Wie Recht er doch hatte. Leicht gebückt, meine Hände ab und an auf die Oberschenkel gestützt, schlich ich den Hang hinauf. Das Trommelgetöse einiger Wegelagerer gab den Schrittakt vor. Oben angekommen, schnell wieder den Laufschritt aufnehmen. Bloß keine Plätze verlieren. Um mich herum immer noch größtenteils die gleichen durchnässten, verschwitzten und schwer atmenden Gleichgesinnten. Ein gutes Zeichen, denn die meisten sahen zumindest wesentlich jünger aus als ich mit meinen fast 48 Jahren. Die Burg war erreicht. Sie wurde im Jahr 704 erstmals urkundlich erwähnt und ist die älteste der „Drei Gleichen“. Verscherbelt wurde sie damals als Sühne für Missetaten.

Wir waren aber heute nicht hier, um laufend und kriechend um Vergebung für unsere Missetaten zu bitten, sondern… Richtig. Um Legenden zu werden. Cross Legenden. Trotzdem ging es zunächst im Büßergang kniend durch den Burgtorbogen. Weiter geht es bergab, geschwind gehangelt am Seil über Stock und Stein. Im Tal sah man schon die Arena. Lautes Getöse begrüßte die ankommenden geschundenen Körper. Noch war es aber nicht vollbracht. Kurz vor dem Ziel wartete schließlich der Höhepunkt des Spektakels. Die Schlammbowle, ein Parcours aus Schlamm- und Wasserhindernissen.

„11 Grad hat das Wasser“, gab mir Nils Schumann mit auf dem Weg. Wollte er mich beruhigen oder warnen? Und warum läuft der eigentlich nicht mit? Schon stehe ich nach einem Sprung in der Grube. Bis zur Brust im Wasser. Es ist kalt, sehr kalt. Aber viel mehr beschäftigt mich der Gedanke, wie ich hier wieder herauskomme. Vor mir ein schier uneinnehmbarer Koloss aus Schlamm. Jeder Schritt fällt schwer, weil die Schuhe im aufgeweichten Untergrund im Morast versinken. Am Schlammmonstrum angekommen, versuche ich mich wieder links zu halten, dort fällt der Hügel etwas ab. Mit einem freilich unerlaubten Griff ans Absperrgitter ziehe ich mich hoch. Was ich oben sehe, lässt mich kurz erschaudern. Da ist noch so ein Ungetüm! Wieder im Wasser angekommen, fühle ich einen Stich in der rechten Wade. Ich schleppe mich zum Hügel und versuche Tritt zu finden, irgendwie hoch zu robben. Die Kräfte geschwunden. Es ist sinnlos. Ich rutsche immer wieder ab. Erschwerend kommt hinzu, dass von außen „Helfer“ mittels Feuerwehrschlauch kontinuierlich Wasserfontänen auf die im Morast kämpfenden Leiber abfeuern. Und natürlich auf das Schlammmonster selbst, damit es auch ja schön glitschig bleibt. Ich verzweifele langsam. Plötzlich reckt sich mir von oben eine Hand entgegen. Die Hand Gottes? Nein, ein Gipfelerklommener zieht mich hinauf. Geschafft! Das anschließende Kopfunter-Vollbad im letzten Wasserhindernis ist eine wahre Erholung.

Mit schweren Beinen und völlig durchnässt trabe ich über die Ziellinie. 1:18:24, Platz 175. Bin ich jetzt eine Legende? Nein. Fragen Sie das mal lieber die Experten und die Berserker…Und Nils Schumann!             

www.legendofcross.de

            

Text: Jens Hirsch
Fotos: Sascha Fromm, Foto-Team Müller