Im Grundwasser der Seele

„Nein, nein, die Kräuter bleiben stehen“, fordert Marianne Sägebrecht freundlich aber bestimmend, als der Fotograf die Minze vom Tisch stellen will. „Ich bin doch eine Kräuterfrau“, erklärt sie. Die Schauspielerin war eben schon immer etwas anders, das bescheinigte ihr schon als Kind der Pfarrer in Starnberg. Und das setzt sich bis heute fort. Glücklicherweise.

Seit Anfang der 80er Jahre mimt Marianne Sägebrecht (trotzdem) in TV und Kino immer wieder glaubwürdig die einfache Frau von nebenan, die sich nichts gefallen lässt. Sie drehte mit Michael Douglas, John Malkovich und Michel Piccoli. Für die Hauptrolle im Welterfolg „Out of Rosenheim“ (1987) bekam sie zahllose nationale und internationale Preise.

Am 27. Oktober wird Marianne Sägebrecht bei der Erfurter Herbstlese Gedichte von Hilde Domin lesen. Vorab trafen wir die 69-Jährige Anfang August in ihrem Lieblingswirtshaus in München-Schwabing und sprachen mit ihr im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt.

Es ist kurz nach elf Uhr im Brauhaus Bachmair in der Leopoldstraße in Schwabing, Frau Sägebrecht bestellt sich einen Campari-Orange und ein Wasser. Der Fotograf macht unser Aufmacherbild, mit der Minze. Vielmehr versucht er es, denn wir sind schon mitten im Gespräch, obwohl das Diktiergerät noch ausgeschaltet ist, und Frau Sägebrecht schaut mehr zu mir als zum Fotografen. Wir reden über meine Anreise aus Erfurt, über aktuelle Filmprojekte, wie die Dreharbeiten zu „Pettersson und Findus“ und das schweizerische Drama

„Der Kreis“, das am 23. Oktober in die Kinos kommt, sie erkundigt sich nach meinem privaten Wohlergehen … Ich bekomme ein Zeichen vom Fotografen, das Foto ist im Kasten. Das Interview fängt jetzt offiziell an. Diktiergerät an.    

 

Frau Sägebrecht, wann haben Sie zum letzten Mal „Out of Rosenheim“ gesehen?

Das war erst Ende Juli beim Fünf Seen Film Festival am Ammersee.

 

Wie war es denn?

Es war wieder wunderbar, die Leute haben geweint. Es steckt einfach so viel drin in dem Film, da sind so viele Metaphern versteckt: der kleine Junge, der an diesem verlassenen Ort Bach spielt, der Sheriff ist ein Indianer, ein stolzer Navaro. In dem Film haben viele außergewöhnliche Menschen, die in der Wüste leben, mitgespielt. Die Dreharbeiten waren etwas ganz Besonderes.

 

Sie haben sogar die Wüste zum Blühen gebracht.

Mir war wichtig zu zeigen, dass die Mojave-Wüste blüht. Die meisten Menschen wissen das gar nicht, vier Tage lang blüht dort alles. Das Grundwasser kommt nach oben, das hat etwas mit der astronomischen Situation zu tun, es erwischt die Wurzeln und innerhalb von 24 Stunden blüht alles. Auch wenn wie die Tankstelle im Film anfangs noch so trostlos ist, wenn Menschen den Ort mit Liebe füllen, zieht das andere an und er blüht auf. Das ist doch wie bei den Menschen, das Grundwasser der Seele erreicht alle und dann blühen wir. Ein wunderbares Bild.

So einen Platz möchte ich übrigens in den nächsten zwei Jahren außerhalb von München auch schaffen. Ein „Maryland“ mit Garten, Tieren, Tafelrunden, Musik, Galerie, Lesungen, Übernachtungsmöglichkeiten, einen Laden mit handgemachten Produkten. Ich möchte einen Kulturverein gründen, ich sehe schon die Räume vor mir, den Garten, den Kamin.

 

Zunächst noch mal zurück in die Wüste. Ein wunderbares Bild im Film ist auch, als Mr. Cox Jasmin Münchgstettner aus Rosenheim einen Heiratsantrag macht. Wenn Sie die Geschichte nach 27 Jahren weiter erzählen würden, hat sie damals ja gesagt?

Das glaube ich schon. Es ist doch eine unglaublich schöne Szene am Schluss des Films, als er sie fragt und sie mit fünf verschiedenen Jas fünf verschiedene Sachen meint. Ja, Jasmin ist in Amerika geblieben, Rudi Cox würde es wohl nicht mehr geben. Jack Palance, der ihn gespielt hat, ist ja leider 2006 gestorben. Er war so ein wunderbarer Schauspieler und Mensch.

 

In der Szene, wo er Sie malt, spricht er plötzlich Russisch. Was sagte er zu Ihnen?

Dass man die heilige Mutter Erde, die runde, mütterliche Frau schützen muss. Ich bin ja von ganzem Herzen ein runder Mensch. Stellen Sie sich doch einmal vor, in Amerika stillen viele Frauen nicht mehr, weil sie Angst haben, dass die Babys ihre Silikonbrüste kaputt drücken. Das ist doch schlimm.

 

Ja, das ist schlimm. Sie hätten aber trotzdem in Amerika bleiben können, um in Hollywood Karriere zu machen. Angebote hatten Sie.

Ja, nach dem `Rosenkrieg` (mit Michael Douglas, Danny de Vito und Kathleen Turner, Anm. d. Red.) sollte ich in Amerika bleiben und einen Vertrag für weitere drei Filme unterschreiben. Ich habe abgesagt, weil ich kein Mitspracherecht bei Film und Rolle gehabt hätte, und außerdem hätte ich dann nicht mit Michel Piccoli in Jiri Weiss`“Martha und ich“ spielen können.

 

Warum gab es eigentlich keine Fortsetzung von „Out of Rosenheim“?

Das war uns allen von Anfang an bewusst, dass es keine Fortsetzung geben wird. Der amerikanische TV-Sender HBO wollte, dass ich in seiner Fernsehserie “Bagdad Café“ mitspiele, in der Whoopi Goldberg die Rolle der Brenda spielt. Ich habe abgelehnt, weil ich mit CCH „Sissi“ Pounder, die im Film die Brenda spielt, ganz eng verbunden bin. Ich hätte mich lieber erschießen lassen, das wäre für mich ein Hochverrat an Sissi gewesen. So etwas könnte ich nicht. Das sind Grundsätze, die ich nicht von anderen Menschen erwarte, aber die für mich bindend sind.

 

Sie haben auf viel Geld verzichtet.

Ja. Werbeaufnahmen für eine Papierhandtuchfirma habe ich auch abgesagt. Die wollten mit den Putzszenen einen weltweiten Werbespot produzieren. Ich sollte mit dem Jodlerhut und im Trachtenkostüm als Maskottchen dafür Werbung machen. Da habe ich die Leute gefragt, ob sie den Film nicht gesehen haben. Jasmin hat doch das Trachtenkostüm ein für alle Mal ausgezogen. Sie ist mit einem weißen Kleid zurückgekommen. Sie ist frei. Der Spot war schon fertig, der Vertrag sollte fünf Jahre laufen. Ich habe denen gesagt, `da ist meine Seele drin, die gehört mir, die verkaufe ich nicht`.

 

Aber müssen sich Schauspieler nicht manchmal „verkaufen“, um für Rollen besetzt zu werden?

Ich mache das jetzt seit 40 Jahren, natürlich muss ich einen neuen Film oder ein neues Buch bewerben, aber ich muss mich nicht verkaufen. Mit der Presse bin ich nach einigen schlechten Erfahrungen sehr vorsichtig geworden. Ich habe auch kein großes Management, nur einen alten Filmanwalt und meine Tochter, die sich um meine Angelegenheiten kümmern. Die großen Agenturen drohten mir, entweder du kommst jetzt zu uns oder du kommst auf keinen roten Teppich mehr und wirst nicht mehr besetzt. Ich brauche das aber nicht, ich habe meine Bücher, meine Lesungen und mache trotzdem Filme. Ich muss stark, gesund und wach bleiben, auch wenn es nicht immer einfach ist.

 

Der Campari-Orange ist längst alle. Ich frage Frau Sägebrecht, was sie noch möchte, „einen Kaffee vielleicht“, antwortet sie. Es ist nicht immer einfach der sympathischen Starnbergerin zu folgen, sie hat einfach zu viel zu erzählen. Während sie beginnt, eine Frage zu beantworten, ergeben sich daraus gänzlich neue Themen. Wo waren wir? Beim nicht verkaufen wollen.

Sie spielten trotzdem oder vielleicht gerade deswegen mit Weltstars wie John Malkovich, Michael Douglas und Michel Piccoli zusammen. Wer hat Ihnen denn am besten gefallen?

Den großartigen Jack Palance und Giancarlo Giannini aus `Omamamia` haben Sie vergessen, die spielen alle mit so einer Grandezza (Größe, Anm. d. Red.). Ich habe nie Angst gehabt, auch nicht, als ich mit Sophia Loren spielen durfte. Umso bekannter die Leute sind, umso netter sind sie. Die Amerikaner haben alle eine tolle Grundhaltung, weil die meisten am Anfang ihrer Karriere geputzt oder gekellnert haben. Das hat sie Demut gelehrt.

Mein großes Glück über die vierzig Jahre ist die Treue meines Publikums. Die kennen ganz genau meine Richtung und schätzen meine Authentizität.

 

In „Omamamia“ reisen Sie zum Papst, was würde Marianne Sägebrecht beim Pontifex beichten?

Da gibt es nix. Ich mochte Johannes Paul II. sehr, der Ratzinger war auch interessant, aber weltfremd. Der heutige Papst Franziskus kommt dagegen vom Himmel. Es ist so toll, was der Mann macht und schon bewegt hat. Er war ein Tangotänzer und hatte eine hysterisch eifersüchtige Freundin, das hat ihn dann endgültig zum Priester werden lassen. Er kommt als Repräsentant einer neuen Zeit.

 

Wie sieht die neue Zeit aus?

Wir müssen vom Ich zum Du kommen, gemeinsam in eine bessere Zeit, nachdem sich das Egomanische ausgelebt hat. Das ändert sich gerade. Nehmen Sie die letzte Flut in Deutschland 2013. Meine 20-jährige Enkelin hat sich über Facebook zur Hilfe beim Hochwasser in Passau verabredet, danach sind sie weiter nach Dresden, um dort zu helfen. Das hätten die 68er nicht gemacht. Oder nehmen Sie die Tauschportale im Internet, das Urprinzip des Christlichen. So lebe ich, seit ich atme. Ich brauche nur mein Auto und mein kleines Häuschen mit Garten, alles darüber hinaus gebe ich anderen. Jeder Mensch kommt doch an den Punkt, was hat die Singularität gebracht? Jeder sitzt in seinem Apartment, jeder hat eine Waschmaschine, ein Auto, aber letztlich ist man einsam. Es wird aber besser, das weiß ich.

 

Sie sind ein durchweg positiver Mensch?

Ja, man muss nur offen sein, es geht immer um die nächsten 24 Stunden. Rainer Maria Rilke hat es so schön ausgedrückt: `Was der Schöpfer plant, muss das Leben halten`. Also wenn man auf die Welt kommt, hat man sein Lebensentwurf unter dem Arm, aber natürlich dürfen wir ja und nein sagen. Ich bin optimistisch für die Zukunft, Schritt für Schritt werden sich die Krisen wie im Nahen Osten auflösen, die jungen Leute machen das. Alles muss sich wandeln, aber langsam, es wird natürlich auch Rückschläge geben. Ich nenne das die Homöopathie des Lebens. Alles geht zum Licht. Jesus ist als Metapher dabei ganz wichtig. Man braucht nur ein Gebot, das Fünfte, darin steht, wenn man den nächsten ehrt, wird man ihm nicht wehtun.

 

Sie bezeichnen sich als spiritueller Mensch, als eine heidnische Katholikin.

Ich informiere mich über jede Religion. Oben ist der Schöpfer, das göttliche Wesen ist bei mir aber männlich und weiblich. Ein hermaphroditisches Wesen, nicht der alte Opa mit dem Bart. Ich bin vom Schöpfer durchdrungen, bin deshalb aber nicht göttlich, er steht über mir. Jesus, Buddha, Allah … das sind alles Vorboten, Vorbilder ihrer Religion, die zu ihrer Zeit schon ganz weit waren. Sie konnten die körperliche Ebene, die der Erde gehört, das Bewusstsein, die Seele und die geistige Ebene zusammenbringen. Das erklärt auch die vermeintlichen Wunder, die sie vollbracht haben.

 

Ihre Mutter hat nicht so recht an ein Wunder geglaubt, als Sie ihr mit fünf Jahren sagten, dass sie aus Surinam stammen?

(lacht). Nein, nein, sie hat zu mir gesagt: `Freilich, du bist hergeflogen gekommen.` Ich wusste ja nicht einmal, wo Surinam liegt, der Pfarrer hat mir dann gezeigt, wo das ist und mir erklärt, dass aufgrund der Sklaverei dort viele Ethnien leben. Als ich Sieben war, sagte er mir dann, dass ich eine alte Seele bin und von weit herkomme und das ich es schwer im Leben haben werde, weil ich so anders bin. Er wäre immer für mich da, aber ich solle nicht mehr sagen, dass ich aus Surinam komme, die würden das nicht verstehen.

 

Verstehen Sie es denn? Die berühmte deutsche Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian weilte ab 1699 zwei Jahre in dem südamerikanischen Küstenstaat und wird dort noch heute verehrt.

Ich war noch nie in Surinam und ich bin auch nicht Maria Sibylla Merian. Ich weiß nur, dass ich schon immer multikulturell gelebt habe. Um es zu verstehen, habe ich ein Buch geschrieben, das im kommenden März erscheint und im Dezember möchte ich dann nach Surinam fahren. Ich muss wissen, woher das bei mir kommt.

 

Vorher treten Sie aber noch zum ersten Mal Ende Oktober bei der Erfurter Herbstlese auf. Worauf können sich Ihre Fans freuen?

Ich war schon zum Drehen in Erfurt, eine wunderschöne Stadt. Jetzt komme ich zum ersten Mal für eine Lesung. Ich sitze an meinem kleinen Tischchen und trage Gedichte von Hilde Domin vor. Ihre starke Persönlichkeit hat mich sehr beeindruckt. Mittlerweile ist sie mir so nah, dass ich sie bei den Lesungen spüre. Neben den Gedichten trage ich auch unsere beiden Lebensgeschichten vor. An der Violine wird mich Lenn Kudrjawizki, der gerade mit Kevin Costner gedreht hat, begleiten. Ich freue mich auf die Erfurter, die Menschen in den neuen Bundesländern sind neugierig, wach, gebildet und mit viel mehr Herz dabei als in den alten Bundesländern.

 

Frau Sägebrecht, vielen Dank für das interessante Gespräch und viel Spaß in Erfurt und Surinam.

 

Erst jetzt merke ich, dass ich ganz vergessen habe, den Kaffee zu bestellen…

 

Fotos: Sebastian Widmann