Die Sprache der Bilder

Das Selbstporträt der Fotokünstlerin Nina Röder entstand im Haus ihrer Großeltern im bayerischen Windsbach. Hier entstand auch die konzeptionelle Arbeit „Mutters Schuhe“, die seit Monaten von Zeitungen und Magazinen wie Daily Mail, Huffington Post, La Repubblica, Süddeutsche Zeitung, Stern und Cosmopolitan sowie von den wichtigsten Fotoblogs publiziert wird.

Grund genug für TOP MAGAZIN, die 31-jährige Fotografin, Künstlerische Mitarbeiterin und Doktorandin der Bauhaus-Universität Weimar einmal vorzustellen.

Sie ist wieder an ihrem „Lieblingsset“. Hier kennt sie sich aus, geht sie doch seit vielen Jahren ein und aus im Hause ihrer Großeltern im bayerischen Windsbach. Schon häufig diente es als Kulisse für die konzeptionellen Fotoarbeiten der Nina Röder. Wie jetzt im August. An der Bauhaus-Universität in Weimar, wo sie Mediengestaltung studierte, gerade ihre Doktorarbeit schreibt und als Künstlerische Mitarbeiterin im Bereich Fotografie der Fakultät Medien arbeitet, sind Semesterferien. Zeit also, sich wieder der eigenen künstlerischen Arbeit zu widmen. Die zwei Selbstporträts, die sie für das TOP MAGAZIN produzierte, wurden in den Räumen aufgenommen, die auch zum Set ihrer aktuellen Arbeit gehören. „m und p“ heißt die neue Serie, die im Oktober in einem Fotobuch des schwedischen Verlages „the new heroes and pioneers“ veröffentlicht wird. Das Haus der Großeltern diente zudem auch als Kulisse für ihre bisher bekannteste Arbeit, „Mutters Schuhe“. Aber dazu später mehr.

 

Im 6000 Einwohner zählenden mittel-fränkischen Örtchen Windsbach wohnt auch der Onkel von Nina Röder. Er arbeitet als Schätzer, dokumentiert und ermittelt den Wert von beschädigten Autos. Als er 2001 auf digitale Fototechnik umsteigt, schenkt er seiner Nichte seine alte analoge Spiegelreflexkamera. Zum Volljährigkeits-Geburtstag im selben Jahr bekam sie von der Oma bereits eine Filmkamera. Dokumentarisch filmt sie fortan ihr Leben, zum Beispiel das letzte Jahr Abitur. Filmemacherin möchte sie werden. Sie weiß da noch nicht, dass sie ihre Geschichten einmal mit dem Fotoapparat erzählen wird.

 

Zunächst beginnt sie 2003 in Bayreuth Theater- und Medienwissenschaften zu studieren und landet Prioritätentechnisch in der Performance- und Videokunstecke. Nebenbei fotografiert sie analog und in schwarz-weiß. Drei Jahre später in Weimar an der Bauhaus-Universität schließt Nina Röder schließlich ab mit dem Bewegtbild. „Intuitiv wusste ich plötzlich, dass ich fotografieren möchte, dass mir das am meisten Spaß macht“, erinnert sie sich. Nach Weimar wechselt sie, weil Martina Leeker, ihre Professorin in Bayreuth, an der Bauhaus-Universität eine Gastprofessur hat. Sie schwärmt von Weimar und der Uni und rät ihrer Studentin, doch in die Klassikerstadt zu kommen. Sie tut es und schreibt sich für Mediengestaltung mit Schwerpunkt Fotografie ein. Aus Bayreuth bringt Nina Röder neben Sack und Pack auch ihren performativen Zugang zu ihren Arbeiten mit.

Ihre erste ernsthafte konzeptionelle Serie produziert die Studentin 2008 mit ihrer analogen Mittelformatkamera, mit der sie heute immer noch fotografiert, im Haus der Großeltern: „Mutters Schuhe“. „Für mich hatte die Arbeit gar nicht diesen großen Stellenwert, das war eher so eine Ich-probiere-mal-etwas-aus-Studenten-Arbeit“, erklärt sie und findet es „fast verrückt „warum die Fotos jetzt auf einmal so gehypt werden.“ Eine ganz pragmatische Erklärung dafür gibt es allerdings. Lens­­Culture, eine international bekannte Fotografenplattform, organisiert Portfolio-Reviews – eine Art Speed-Dating-Börse – für junge Künstler, bei denen sie Kuratoren, Galeristen und Journalisten ihre Arbeiten vorstellen können. Im November 2013 macht Nina Röder in Paris mit, nachdem sie sich erfolgreich beworben hatte, denn nicht jeder darf teilnehmen. In einem großen Raum stehen circa 80 Tische mit Nummern, an denen Galeristen und Kuratoren aus der ganzen Welt sitzen. Nina Röder hat drei Arbeiten mitgebracht, „Mutters Schuhe“ nicht, wie gesagt, die fand sie im Hinblick auf ihre aktuelle künstlerische Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so relevant. 20 Minuten Zeit pro Tisch, sich und sein Tun vorzustellen. „Das professionalisiert, man muss schnell zum Punkt kommen. Natürlich ist es hart aber man lernt dran zu bleiben“. Das tut sie und und nimmt am LensCulture Portrait Award teil. Sie reicht ein Bild aus „Mutters Schuhe“ ein, die Oma mit Lockenwicklern im Badezimmer.. Das Bild schafft es unter die Finalisten und Jim Casper, der Chef von LensCulture, findet die ganze Serie so gut, dass er sie gesondert auf Facebook und der Portfoliohomepage präsentiert. Dann ging es los. Die Serie wird auf vielen wichtigen Fotoblogs gepostet und von vielen großen Tageszeitungen und Magazinen wie Daily Mail, Huffington Post, La Repubblica, Stern, Cosmopolitan, Brigitte veröffentlicht. Als Erste zeigte die Bilder allerdings bereits 2009 die Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin. „Die haben es gleich kapiert“, muss Nina Röder schmunzeln.

Ein Grund für den Erfolg ist sicherlich Nina Röders Bildsprache, für sie das Wichtigste überhaupt, was einen guten Fotografen ausmacht. Ihre Studenten fragt sie immer in der ersten Vorlesung, was Fotografie für sie bedeutet. Sie erwartet dann immer, dass sie sagen, das sei alles für sie, das sei ihr Leben, oder so ähnlich. Aber meistens kommen ganz nüchterne Antworten wie: Das ist ein Mittel zum Zweck, um sich ausdrücken zu können. Wenn Nina Röder antworten müsste, würde das so klingen: „Das ist genau das, was ich will, die Art und Weise, wie ich das erzählen kann, was ich über menschliches Dasein sagen möchte.“. Jedes Mal wieder sei sie „überrascht“, was dabei herauskommt, wenn sie am Negativscanner sitzt und das Bild so langsam vor ihr auftaucht. „Ein unglaublich spannendes Gefühl“, sei das.

Nina Röder braucht diese Langsamkeit. Zum einen ist sie durch die analoge Fotografie limitiert durch das Material, und das zwingt sie zu einer Art von Entschleunigung. Zum anderen braucht sie diesen verlangsamten Prozess, weil sie sehr konzeptionell arbeitet und genau nachdenken muss, was sie fotografieren will. Im Moment arbeitet sie eher mit surrealen Aufnahmen in der Natur. Wie zum Beispiel in der Serie für ihre Doktorarbeit zum Thema „Performative Strategien in der zeitgenössischen Fotografie“. Hierfür inszeniert Nina Röder schöne, sexuell anziehende Frauen in morbiden, unheimlichen Szenen.

 

Ihren Studenten möchte sie vermitteln, sich schon in einem akademischen Kontext zu versuchen, sich auszuprobieren, um sich dann aber nach einer Zeit zu positionieren, um seinen eigenen Blickwinkel und Geschichten zu sehen. „Denn auch wenn schon alles fotografiert wurde, sieht es ja jeder aus einem anderen Blickwinkel. Jeder muss dabei seine eine eigene Bildsprache entwickeln, seinen eigenen Stil, seine Persönlichkeit. Das ist ein sehr langer Weg“, weiß sie nur zu gut aus eigener Erfahrung.

Sie selber interessiert eine bestimmte Art von Determiniertheit des Menschen, „die Faktoren, die uns beeinflussen, dass wir so werden, wie wir sind“. Herkunft, Geschlecht, Erziehung, Bildung. All das sind für sie Festlegungen, mit oft unsichtbarem Einfluss auf unsere Existenz. „Damit sichtbar wird, was uns bestimmt, braucht es Bilder, die Distanz schaffen zwischen uns und dem, was wir sind“, beschreibt sie ihren Denkansatz, der sie umtreibt. „Wann funktionieren wir ferngesteuert, wann entscheiden wir frei, wann sollten wir uns treiben lassen? Das interessiert mich.“

So entstand auch „Mutters Schuhe“. In der Serie geht Nina Röder den Erinnerungen ihrer Mutter auf den Grund und hat dafür als Set, wie bereits erwähnt, das Haus der Großeltern gewählt. Dort setzte sie ihre Oma, ihre Mutter und sich selber in den jeweiligen narrativen Zusammenhang der Erinnerung zurück. Die Frauen tragen dabei im selben Bildausschnitt die original Kleidungsstücke aus der Jugendzeit der Mutter. Der Betrachter erhält so einen Einblick in die jeweilige Perspektive der Frauen, als eine Art zeitliche und emotionale Metamorphose familiärer Erinnerungen. Die Arbeiten mit ihrer Familie sind für Nina Röder „noch längst nicht abgeschlossen“.

 

Wie auch ihre Zeit in Thüringen. Weimar ist zwar klein, sie mag es aber trotzdem sehr gerne, sie kann sich hier gut fokussieren, die Arbeit mit den Studenten fordert sie. Seit 2009 arbeitet sie zudem mit dem Kunsthaus Erfurt zusammen. Und wenn es ihr in Weimar zu eng wird, sie raus muss, um etwas anderes zu sehen, dann fährt sie nach Berlin oder in den Semesterferien ins Ausland, wie im September nach Island, wo sie dank eines Stipendiums als Artist in Residence arbeiten wird.

 

Oder nach Windsbach, wo die Großeltern leben. Und ihr Lieblingsset steht.

 

www.ninaroeder.de

Foto: Nina Röder