„Wir brauchen Kooperationen“

 

Erstmals präsentierte sich auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt die Thüringer Automotive-Branche mit einem Gemeinschaftsstand, der von der LEG Thüringen und dem Cluster „automotive thüringen e. V.“ organisiert wurde. Auf 240 Quadratmeter zeigten zehn Thüringer Zulieferer ihre Innovationen und nutzten die Plattform, um neue Kontakte zu ermöglichen und bestehende Beziehungen zu vertiefen.

TOP sprach nach der erfolgreichen Premiere mit Dr. Michael Militzer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Mitec Automotive AG und Vorstandsvorsitzender des „automotive thüringen e. V.“, und Michael M. Lison, Projektmanager des Clusters, über einen professionellen Auftritt, globale Chancen und Risiken.

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Herr Dr. Militzer, Herr Lison, wie ist die Idee eines gemeinsamen Thüringer Standes auf der IAA entstanden?

Michael M. Lison: Früher sind wir gemeinsam mit anderen Bundesländern aufgetreten, waren aber unzufrieden mit der Qualität. Die Unternehmen wollten sich nur noch beteiligen, wenn Thüringen einen eigenen Stand hat. Wir haben dann auf der Hannover Messe im Frühjahr einen erfolgreichen Versuch gestartet, also haben wir uns gesagt, das machen wir auf der IAA auch.

 

Was soll mit dem Gemeinschaftsstand erreicht werden?

Michael M. Lison: Das Grundziel ist natürlich die Präsentation der Thüringer Zuliefererindustrie. Der Messestand ist für die beteiligten Unternehmen zudem eine preisgünstige Plattform. Man kann zusammen viel professioneller auftreten und erregt natürlich durch die Größe auch mehr Aufmerksamkeit.

 

Wie fällt das Fazit aus?

Michael M. Lison: Nach der Auswertung zeigten sich alle Beteiligten sehr zufrieden. Thomas Ose (Key Account Manager / Vertriebsleitung Automotive SAMAG Group) berichtete zum Beispiel von über fünfzig Neukunden-Kontakten. Ein Ergebnis, dass nur durch das offene und ansprechende Messekonzept ermöglicht wurde. Die SAMAG Group will daher auch auf der IAA Nutzfahrzeuge 2016 in Hannover dabei sein. Das heißt für den „automotive thüringen“, dass die Planung wieder zusammen mit der LEG Thüringen beginnt. Wir werden auch zukünftig mit der LEG gemeinsam bei Messen auftreten.

Dr. Michael Militzer: Unser Stand, der von LEG und dem Land Thüringen gefördert wurde, konnte mit denen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mithalten. Auch im globalen Wettbewerb konnte er sich sehen lassen. Das ist wichtig.

 

Apropos global. Auf der IAA präsentierten sich 1.000 Aussteller aus 40 Ländern. Wie ist Thüringen im internationalen Markt aufgestellt?

Dr. Michael Militzer: In nunmehr 25 Jahren nach der Wiedervereinigung ist eine leistungsstarke Zulieferindustrie in Thüringen entstanden. National und international in der Zulieferkette gut vernetzt, hat sich diese Branche zum umsatzstärksten Wirtschaftsfaktor des Freistaates entwickelt. Dennoch ist sie zu schwach, das hat aber Gründe. Ich rede schon seit zehn Jahren davon, dass wir zu kleinteilig aufgestellt, die Firmen zu klein sind. Sie brauchen Unterstützung und müssten viel mehr kooperieren.

Michael M. Lison: Bei uns hat ein Drittel der Unternehmen einen Umsatz von unter 5 Millionen Euro, 50 Prozent der anderen liegen bei unter 2, 5 Millionen Euro Umsatz. Wir haben eine eher handwerkliche als eine echte Industriestruktur. Für die Globalisierung des Marktes bedeutet das, die „Kleinen“ kennen aufgrund ihrer Struktur Entwicklung und Einkauf nur bedingt. Sie müssten investieren in Know-how für ausländische Steuersysteme, Preisgestaltung, gesetzliche Grundlagen etc. Sie bräuchten vor Ort einen Partner, bestenfalls müsste sie ein „Großer“ an die Hand nehmen. Das wiederum kann natürlich zu einer Abhängigkeit führen.

 

Was heißt das im Umkehrschluss? Die Branche ist der umsatzstärkste Wirtschaftsfaktor des Freistaates, um international mitzuspielen, ist sie aber zu klein?

Militzer: Ja. Auch davon rede ich schon seit zehn Jahren, ich kann es schon selbst nicht mehr lesen. Zur Wendezeit gab es bis zu 50 Prozent Förderung, wir hatten tolle Ingenieure mit tollen Ideen, die sie umsetzen konnten. Sie investierten in Standort, Personal, Maschinen … und mussten dafür Schulden aufnehmen. Einige konnten aber trotz Wachstum die Schulden nicht zurückzahlen. Und die, die es überlebt haben, haben sich nicht weiter entwickelt. Dazu kommen Erbschaftsprobleme, die Kinder der Firmengründer haben doch gesehen, wie hart ihre Eltern gearbeitet haben, das tun die sich nicht an.

Das Hauptproblem ist aber, dass sich so wenige Mittelständler zusammenschließen wollen, weil sie Führung und Dominanz abgeben müssten. Dabei ist doch aber jede neue Kooperation eine Erweiterung, ein Input von den verschiedensten Seiten, bei denen sich Synergien ergeben.

 

Wenn das alles bekannt ist, wie kann man das ändern?

Dr. Michael Militzer: Ich habe unserem Wirtschaftsminister, Herrn Tiefensee, gesagt, dass der Freistaat überlegen sollte, solche für alle Gewinnbringende Fusionen zu fördern.

Michael M. Lison: Das wichtigste ist das Vertrauen zwischen den Unternehmen, das muss aufgebaut werden. Das versuchen wir mit dem „automotive thüringen“ seit 15 Jahren. In den alten Bundesländern gibt es vergleichbare Unternehmen aber schon seit 100 Jahren, die Söhne und Enkel kennen sich aus Verbänden, so entstehen Kooperationen viel leichter.

Dr. Michael Militzer: Die optische Industrie in Jena ist dafür ein gutes Beispiel, die kannten sich auch alle schon vor der Wende und machten sich dann selbstständig. Jetzt haben sie ein tolles Cluster mit Universität, Forschung, etc. Das sind beste Voraussetzungen, auch für den ausländischen Markt.

 

Aber ist der Einfluss der Politik nicht zu gering?

Dr. Michael Militzer: Nein, der Wille muss nur da sein. Zum Beispiel bei den Verträgen zwischen den OEMs (d. Red.: Original Equipment Manufacturer, übersetzt Originalausrüstungshersteller) und den Zulieferbetrieben, die zum Teil sittenwidrig sind, das hat sogar Herr Tiefensee öffentlich gesagt. Die Vertragsbedingungen werden von den OEMs diktiert, ohne Rücksicht auf die Zulieferer, die für einen Auftrag hohe Investitionen tätigen müssen, am Ende aber nicht wissen, ob zum Beispiel die vereinbarte Menge von einer Million Bauteile auch abgenommen wird, eine Garantie gibt es nämlich nicht. Unterschreibt der Zulieferer den Vertrag nicht, gibt es keinen Auftrag, also unterschreibt er.

Michal M. Lison: Herr Dr. Militzer hat dem Freistaat zum Beispiel auch vorgeschlagen, dass er sich doch als Gesellschafter an Unternehmen beteiligen könnte. Es gibt einen Zinssatz, der zum Schluss bezahlt wird und anfangs eine Entnahmesperre. Nach fünf Jahren kann der Betrieb die Anteile zurückkaufen. Wenn das nicht geht, wird ein Investor gesucht. In Deutschland hat Herr Militzer für seinen Vorschlag Kritik geerntet, er wolle wohl die Industrie verstaatlichen. Die Amerikaner machen es uns aber genauso vor.

 

Bei den Flächentarifverträgen gibt es sicherlich auch Gesprächsbedarf?

Dr. Michael Militzer: Ja, deshalb muss die Politik auch mit den Gewerkschaften sprechen, denn die sind ein Teil des Problems. Die Gewerkschaften sind doch dominiert von Betriebsräten der Großindustrie. Wir müssen dann die Tarifverträge umsetzen und bei den Großen macht man Sondervereinbarungen. Die halten aber nur maximal zwei Jahre, dann kommt irgendeine Krise und sie werden gekippt, und die Gewerkschaften machen mit. Es gibt auch in Thüringen OEMs, die Haustarife haben, die haben mit den Flächentarifen aber nichts zu tun, bei uns werden sie aber durchgedrückt. Ich habe Herrn Tiefensee gesagt, dieses Thema ist mittelfristig ein volkswirtschaftliches Problem. Denn wenn die Zulieferbetriebe, ob mit oder ohne VW-Krise, sukzessive in Europa zurückgebaut werden, weil sie kein Geld mehr verdienen, dann sind die Arbeitsplätze weg. Ich würde mich heute bei dem Kapitalaufwand nicht mehr selbstständig machen.

 

Auch weil die Banken immer zurückhaltender Kredite vergeben?

Dr. Michael Militzer: Das Bankensystem hat sich seit der Lehmann-Pleite dramatisch verändert. Die sorgen sich nur noch um sich selber, die haben keine Geschäftsmodelle mehr.

Michael M. Lison: Unsere Branche ist die größte in Deutschland, deshalb sprechen die Banken von einem sogenannten Klumpen-Risiko. Das heißt, Finanzierungen werden nur mit größter Vorsicht getätigt, denn wenn einer schwächelt, dann hängen alle mit hinten dran. So denken die Banken.

 

Sie haben Vertrauen und Kooperationen angesprochen, sind das auch Themenfelder, um die sich „automotive thüringen“ explizit kümmert?

Miachel M. Lison: Wir wollen eine Kommunikationsplattform schaffen für alle möglichen Zwecke. Wir thematisieren Dinge, die für unsere über 100 Mitglieder wichtig sind, wie Kommunikation, Einkauf, Kooperationen, Gesundheitsmanagement, Finanzierung. Wir sind ein unabhängiger Verband, wollen Vertrauen aufbauen und so die Thüringer Automobilzulieferindustrie stärken. Unsere Mitglieder beschäftigen circa 30.000 Arbeitnehmer und erbrachten 2014? einen Umsatz von rund 4,19 Mrd. Euro, das Exportvolumen betrug 1,16 Mrd. Euro.

Dr. Michael Militzer: Wir haben viele wichtige Unternehmer aus unserer Branche im Vorstand und treffen uns immer direkt bei einem in der Firma. So lernen wir uns besser kennen, tauschen Erfahrungswerte aus und lernen so voneinander. Wir sind zwar alle auch Wettbewerber, aber wir freuen uns doch, wenn es den Mitbewerbern gut geht. In Thüringen haben wir durch unseren Einsatz bisher auch einige Innovationen auf den Weg gebracht und umgesetzt. Zum Beispiel das Modell der Mietfabrik. Wir arbeiten täglich an der Zukunft, und zwar mittel- und langfristig. In Thüringen sollte jeder für sich versuchen, irgendeinen Beitrag zu leisten. Dummerweise ist das mit Mühe und Arbeit verbunden, meistens noch über den Beruf hinaus. Aber wenn man sich nicht kümmert, kann man keinen Einfluss nehmen.

 

Herr Dr. Militzer, Herr Lison, vielen Dank für das Gespräch.

 

TOP Service:

www.automotive-thueringen.de
www.leg-thueringen.de

 

Fotos: Mario Hochhaus