Die Schönheit des Einfachen

Fair gehandelte Textilien, frei von Additiven und ökozertifiziert, müssen nicht langweilig aussehen. Dass dies funktioniert, beweist die Weimarer Designerin Anne Gorke mit jeder ihrer Kreationen.

Ende Januar präsentierte die 31-Jährige bereits zum dritten Mal auf der Fashion Week in Berlin ihre aktuelle Kollektion.

Anschließend besuchte TOP MAGAZIN die Modemacherin in ihrem Weimarer Atelier.

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Weimar. Die beschauliche Klassikerstadt. Hier ist Anne Gorke geboren, hier blickt sie aus ihrem Wohnzimmerfenster direkt in den Goethepark. Hier lebt und arbeitet sie. Hier entspannt sie, wie an diesem Freitag Anfang Februar, als sie uns empfängt.

 

Zwei Wochen zuvor.

Berlin. Millionenmetropole. Fashion Week. Starauflauf. Hochspannung. Seit einigen Tagen ist Anne Gorke in der Hauptstadt und macht letzte Änderungen an ihrer Kollektion. Am liebsten würde sie ihre Kleider jetzt gar nicht mehr aus den Augen lassen. Am Wochenende war Make-up- und Haarprobe für die Models. Montag, Dienstag Anproben. Die Jungdesignerin schafft es nicht einmal, sich andere Shows anzusehen. Freitag 11 Uhr: die eigene Show-Präsentation im Fashion-Zelt direkt am Brandenburger Tor. Licht aus, Spot an. Eine halbe Stunde später ist alles vorbei. Tosender Applaus der 800 Gäste, einige mussten aufgrund des großen Andrangs sogar stehen. Anne Gorke ist überwältigt, tanzt für einige Sekunden am Eingang des Catwalks und verschwindet ganz schnell wieder nach hinten.

 

Der ganze Rummel ist nichts für die Weimarerin, sie mag es lieber still und einfach. Wie ihre Mode, die sie mit denselben Adjektiven beschreibt. Dazu kommen aber noch: schlicht, weiblich, gerade, elegant. Anne Gorke mag keine offenen Kanten, keine Säume und wehende Fähnchen. „Ich mache Mode für selbstbewusste Frauen, die bequem ist, an der sie nicht den ganzen Tag herumzuppeln müssen.“ Die Kleider sind reduziert, ernsthaft, elegant, nicht zu sexy, nicht zu tough. Sie vereinen Eleganz und Funktionalität, sind unkompliziert und gleichzeitig modern und zeitlos. Und sie sind mit einem Augenzwinkern versehen. Die aktuelle Frühjahrs- und Sommerkollektion heißt „Artichokes“. Die Idee dafür kam ihr, als sie 2012 Hollywoodstar Salma Hayek in Oliver Stones Thriller „Savages“ sah. Sie spielt eine selbstbewusste mexikanische Frau: Stolz, elegant trotzt sie der Hitze und steht ihren Mann – wenn auch in einer nicht ganz legalen Branche. Aber es ist ja nur ein Film und diese Frau ist einfach nur wunderschön (angezogen).

Dementsprechend zeigt „Artichokes“ subtile Eleganz, zarte Weiblichkeit und Durchsetzungskraft. Die Artischocken inspirierten Anne Gorke „als Sinnbilder für die Schönheit des Einfachen.“ Weiche Farben von soften Rosa-, Crème- bis Khakitönen werden von geradlinigen Schnitten und militärischen Akzenten konterkariert. Auch die Materialkombinationen sind ungewöhnlich: Kräftige Gabardine wird mit weichem, giftstofffrei gegerbtem Leder kombiniert, das wiederum einen Kontrast zur delikaten Crêpe de Chine-Seide und zarten Voiles bildet.

Bei der Auswahl der Materialien setzt Anne Gorke von Anfang an auf einhundert Prozent nachhaltige Stoffe und deren Verarbeitung. Damit ist sie nicht nur auf dem Runway der Fashion Week ein Exot. Bei dem Thema ist sie plötzlich gar nicht mehr so still. Sie redet sich in Rage. „Ich würde es extrem unangenehm finden, wenn ich nicht wüsste, woher meine Stoffe kommen“, beginnt sie ihr Plädoyer. „Wenn man sich nur ein ganz kleines bisschen damit beschäftigt, sieht man, was beim Herstellen eines konventionellen Stoffes für eklige chemische Sachen passieren“, erklärt sie. Wenn ein T-Shirt oder eine Hose vier Euro kosten, dann kann doch etwas nicht stimmen. Das will sie nicht mitmachen, zumal es Alternativen gibt, Lieferanten, die alles offen legen. „Ich nehme lieber einen Stoff, der in der Schweiz ausgerüstet wird als in Bangladesch. Zudem kann man ökologische Stoffe genauso gut verarbeiten, man muss sie lediglich bügeln, weil sie etwas knittern. Na und?“ Sie wirkt in ihrem Monolog nicht fanatisch oder verbohrt, viel mehr wie ein erwachsenes Kind, das unerschütterlich an das Gute glaubt. Es gehe ihr darum, „den Konsumenten wieder zurück zu erziehen, wieder in Berührung zu bringen mit den Grundlagen.“

Für Anne Gorke ist das „eine Lebenseinstellung, ein Gewissensding“. Man müsse ja nicht gleich sein ganzes Leben ändern, einfach nur weniger und dafür bewusster kaufen, findet die 31-Jährige. Die Reaktionen ihrer Kundinnen, die zwischen Ende 20 und 60 sind, geben ihr jedenfalls Recht. Sie bekommt zahlreiche Mails und Anrufe von Frauen, „wie wohl sie sich fühlen in meinen Sachen. Das bestätigt mich.“ Erwerben kann man ANNE GORKE mittlerweile in München, Berlin, Osnabrück, Amsterdam, Helsinki, Dubai und über verschiedene Onlinehändler. Demnächst möchte sogar ein Importeur aus Kasachstan das Label etablieren. An einen eigenen Showroom denkt sie noch nicht. Wenn überhaupt, dann nur in ihrer Heimatstadt Weimar. Die ist zwar nicht gerade ein Synonym für trendige Mode, dafür aber für Anne Gorke genau der richtige Ort. „Ich bin viel unterwegs und freue mich immer wieder auf Weimar, auf den Park, auf meine Freunde.“

 

Dabei verließ sie nach dem Abitur 2001 zunächst die Bauhausstadt gen Italien, um bei Franklin & Marshall ein Designpraktikum zu machen. Für Mode interessiert sie sich, seit die Mutter die Vogue abonnierte. Aber zunächst nur peripher. Ein Handarbeitskind war sie auch nicht, die Mutter hat erfolglos versucht, ihr das Stricken beizubringen. Anne ging aber lieber mit ihrem großen Bruder Fußball spielen. Und auch in Italien sah es zunächst nicht nach einer erfolgreichen Designer-Karriere aus. Vielmehr musste sie ab und an Telefondienst verrichten. Anderthalb Jahre später ist sie wieder in Weimar, das Thema Mode stellt sie erst einmal hinten an. Also beginnt sie ein Studium der Medienkultur an der Bauhaus Universität. Viele ihrer Freunde studieren parallel Mediendesign, Grafik, Produktgestaltung. Das inspiriert sie schließlich doch zum Kauf einer Nähmaschine. 2006 folgt das Schlüsselerlebnis. Mit fünf Kommilitoninnen näht sie für eine Ausstellung ein paar Klamotten. „Als ich mich an die Nähmaschine setzte, wollte ich plötzlich nicht mehr aufhören, das war mein erstes Aha-Erlebnis. Ab da wollte ich nicht mehr auf Partys gehen“. Über die Hälfte der Sachen werden verkauft. Von dem Geld erwerben sie neuen Stoff und machen weiter. 2008 gründet sie zunächst mit einer Studienkollegin das Label „Vilde Svaner“. Die Zusammenarbeit hält aber nicht lange und Anne Gorke entscheidet sich, alleine weiterzumachen. Unter dem Label ANNE GORKE entwirft sie 2011 alleine zwei Kollektionen, finanziert mit Unterstützung der Familie. Seit März 2012 ist Miriam Weihermüller als Vertraute, Beraterin und gleichberechtigte Geschäftsführerin mit an Bord. Mit Erfolg. Bereits ihre zweite gemeinsame Kollektion dürfen sie 2012 auf der Berliner Fashion Week präsentieren. Und zwar nicht in einem kleinen Studio, wie sie vorsichtig angefragt hatten. Nein, die Verantwortlichen kannten ANNE GORKE bereits und fragten die zwei Jungunternehmerinnen, „wollt ihr nicht vielleicht eine eigene Show machen?“

 

Natürlich wollten sie.

 

Fotos: Marcel Krummrich