Das Reich der Inka

In drei Wochen von Lima nach Machu Picchu

 

Ollanta, Peru. Ich wache auf vom Rumoren in meinem Magen. Das Mandarinensorbet? Es ist zwei Uhr in der Früh, das Verlangen, schnell die Toilette aufzusuchen wird stärker. Nach der Entleerung schleppe ich mich wieder ins Bett. Ich fühle mich schlapp. An Schlaf ist nicht zu denken und in zehn Stunden soll sie doch losgehen, die viertägige Wanderung auf dem Inka-Trail zum sagenumwobenen Alten Berg: Machu Picchu. Also beschließe ich, die Zeit bis zum Morgengrauen zu überbrücken und mir die Erlebnisse meines bisherigen aufregenden zwölftägigen Peru-Aufenthaltes auf dem Display meiner Kamera anzusehen.

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Nach den Stationen Erfurt-Frankfurt-Madrid lande ich zusammen mit der 12-köpfigen DIAMR-Reisegruppe am Nachmittag des 1. Septembers in Perus Hauptstadt Lima. Es ist bewölkt und diesig, aber das ist es in der 8-Millionen-Stadt am Pazifik aufgrund der Wetterlage von Juni bis September eigentlich immer. Um dem Jetlag vorzubeugen, machen wir uns gleich auf und schlendern durch die Altstadt, die 1991 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde. Am nächsten Morgen geht es mit dem Bus auf der Panamericana zum Hafen von Pisco. Von dort aus stechen wir in See zu den „Klein-Galápagos-Inseln“, den Islas Ballestas. Auf denen leben Pinguine, Seevögel und Robben. Mittags testen wir in einem Weinbbaubetrieb verschiedenste Ausführungen des hochprozentigen Nationalgetränks Pisco. Sehr lecker und drehintensiv! Aber ich muss ja nicht fahren. Auch nicht den Buggy, mit dem wir am frühen Abend mit Tempo 120 über die imposanten Sanddünen der Oase Ica/Huacachina rasen. Nicht ganz so schnell war ich bäuchlings auf dem Snowboard, aber der Spaßfaktor war noch höher – bis auf das Wiederhinaufstapfen an den Dünen.

Und Fliegen musste ich die Cessna auch nicht, mit der es über die ca. 1800 Jahre alten Linien (Bodenzeichnungen) von Nazca (UNESCO Weltkulturerbe) ging. Die Gelehrten streiten noch, was die Nazca (eine Prä-Inkakultur) mit den bis zu 200 Meter langen Figuren (u. a. Wal, Hund, Affe, Kondor, Leguan Kolibri, Eulenmensch – nach Erich von Däniken ein Raumfahrer –, Hand, Baum, dazu zahlreiche Dreiecke und Trapezoide), die nur aus der Luft zu erkennen sind, eigentlich bezweckten. Entdeckt wurde die erste Figur übrigens per Zufall 1939 von dem amerikanischen Piloten Paul Kosok. Insgesamt befinden sich die ca. 1500 Geoglyphen (davon sind erst gut 650 klassifiziert) in einem 50 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Streifen in der Pampa Colorada. Die wir Richtung Küste verlassen.

Über den Puerta Inca, den Hafen der Inkas, ging es weiter nach Arequipa, der „Weißen Stadt“ mit ihren beneidenswerten 360 Sonnentagen und dem berühmten Santa-Catalina-Kloster, in dem einst reiche spanische Familien ihre Töchter zu Nonnen ausbilden ließen. Die Aufnahmegebühr kostete 1000 Goldpesos – das entspricht 50.000 Euro. Vor Gott sind wir ja alle gleich!

Vor der Natur auch, und in die wunderschöne des steppenähnlichen Hochlandes der Anden mit seinen goldgelben Grasweiden ging es dann weiter auf der Panamericana. Begleitet von Lamas und Alpakas, die für viele Andenbewohner die Lebensgrundlage darstellen. Auf dem Patapampa-Pass (4910 Meter) baute ich bei dünner Luft ein Steinmännchen als Glücksbringer für die weitere Reise.

Sie führte uns dann abwärts ins Colca-Tal mit seinen unzähligen Terrassenfeldern – als die Spanier sie bei ihrer Ankunft um 1532 sahen, nannten sie die Berge Andes (Terrassen) – daher der Name Anden. Landschaftlich zählt der Colca Canyon zu den schönsten Gegenden Perus. Vielleicht ist auch deshalb hier der König der Anden zu Hause. Der Condor. Am Cruz del Condor schwebten sie majestätisch (Spannweite bis fünf Meter!) über unsere Köpfe hinweg. Das andere heilige Tier der Inkas, den Puma, sahen wir leider nicht wahrhaftig, dafür konnten wir in der Hafenstadt Puno seine Silhouette auf einer Karte erkennen. Sie zeigt den 3822 Meter hoch gelegenen Titicaca-See, den mit 8300 Quadratmetern größten See der Welt, oberhalb von 2000 Meter. Für die Inkas war er heilig, stiegen doch hier der Überlieferung nach 1200 n. Chr. die Ur-Inka Manco Capac und Mama Ocllo hernieder, um das Inkareich Tahuantinsuyo zu gründen. Woher die Inkas wussten, dass der See, mit ein wenig Fantasie betrachtet, die Form eines Pumas (Titi) hat, ist eines der vielen Rätsel dieser Kultur. Rätselhaft erscheinen uns Mitteleuropäer auch die Uros, die auf selbstgebauten Schilfinseln und Schiffen auf dem See leben.

 

Ich bevorzugte dann lieber den Zug, genauer gesagt den Andean-Explorer. In einer zehnstündigen gemächlichen Fahrt durch eine atemberaubende Landschaft, 5-Gänge-Menue inklusive, erreicht er Cusco. Die einstige Inka-Hauptstadt, um 1200 gegründet, zählt heute zu den schönsten Städten Lateinamerikas. Die Inka-Architektur ist im Zentrum noch allgegenwärtig, zumindest die Grundmauern. Die Gebäude rissen die Spanier nach der Eroberung 1533 ab und bauten auf die Mauern ihre prunkvollen Kolonialbauten. Übrigens ist bis heute keine einzige Inka-Mauer durch ein Erdbeben eingestürzt, was man von den spanischen Bauten nicht gerade behaupten kann. Weitere Beispiele der imposanten Bauweise der Inkas sahen wir im Umland von Cusco.

Immer näher kamen wir jetzt dem Ausgangspunkt des legendären Inka-Trails, auf dem wir vier Tage lang zum Weltwunder Machu Picchu, der sagenumwobenen Inkasiedlung auf 2400 Meter Höhe, wandern sollten.

Von Ollanta, im heiligen Tal der Inkas gelegen, geht es heute Nachmittag 14 Uhr los. Start ist bei Kilometer 82, 2600 Meter hoch. Eigentlich. Doch mein Magen mag noch nicht. Also muss ich nachhelfen. Am frühen Morgen besorgte ich mir dank unserer Reiseleiterin Silke in einer Apotheke Antibiotika, Tabletten gegen Durchfall (Imodium wirkt in der Höhe nicht) und Elektrolyt-Getränke. Danach stellte ich mir den Wecker auf 13 Uhr, schlief und hoffte.

14.30 Uhr ging es schließlich los. Mein 7-Kilo-Sack landete auf dem Dach, ich samt Tagesrucksack in einem Kleinbus. Nach einer halben Stunde Fahrt standen wir dann am Kilometer 82, unserem Einstieg in den Inka-Trail. Ein Stempel im Reisepass belegt diesen eindruckvollen Moment. Noch bin ich nicht sicher, dass ich auch den zweiten in Machu Picchu erhalten werde. Stichwort Magen, der sich gerade ruhig verhält, kein Wunder, es ist ja auch nichts mehr drin. „Heute gehen wir nur drei Stunden bis zum Camp“, verkündet unser Guide Cesar Augusto Perez aus Cusco. Seit sechs Jahre arbeitet der 26-Jährige auf dem Inka-Trail. Angefangen hat er 1999 als Porter – Träger. Das erledigen jetzt Kimi (32, Koch), Rufina (30), Mario (42) und Elias (52). Sie tragen die Zelte, das Gepäck, Gas, Verpflegung …

In meinem Tagesrucksack sind zwei Liter Wasser, ein Liter Elektrolyte, Tabletten, Sonnencreme, Fleece-Pulli, Regenjacke, Fotoapparat.

Es geht gemächlich los, „sind ja nur drei Stunden“, denke ich. Ich weiß aber auch, dass ich noch nie in meinem Leben länger als zwei Stunden am Stück gewandert bin, wohlgemerkt im Flachland und ohne Magenverstimmung! Jetzt liegen 46 Kilometer Wegstrecke und 4400 Höhenmeter in einer Höhe von 2600 bis 4200 Meter vor mir. In vier Tagen!

Übrigens gibt es das Ganze auch einmal im Jahr als Marathon. Die Bestzeit liegt bei 3:52 Stunden!

 

Wir überqueren den Urabamba Fluss. Links und rechts türmen sich schneebedeckte Gipfel auf, die Sonne scheint bei angenehmen 20 Grad, das Basecape sitzt. Das spannendste während der ersten Stunde ist die Begegnung mit einem Esel. Der weiß nicht so recht, was er von uns halten soll. Da der Pfad nur gut 1,50 Meter breit ist, beschließt er, uns seitlich Platz zu machen und stellt sich Hang aufwärts. Dabei lösen sich ein paar größere Steine, der Esel rutscht ab, die Brocken verfehlen ihn nur ganz knapp. Dem Esel steckt der Schreck in den Gliedern. Uns auch.

Das erste Nachtlager liegt in einem Tal mit grünen Wiesen, ein Bächlein plätschert. Geschafft. Nach dem Abendbrot (für mich nur Suppe) im Speisezelt lege ich mich auf meine Isomatte, ziehe den Schlafsack zu. Gemütlich. Ich schlafe gleich ein.

Geweckt werde ich von einem Gockel, der seit 4 Uhr genüsslich vor sich hin kräht. An ihm liegt es aber nicht, dass ich zum Frühstück nicht viel herunterkriege.

Von nun an geht es stetig bergauf und mir immer schlechter, meine Beine sind wie Pudding, mein Magen grummelt, ich schwitze. Uns kommt ein Pärchen mit zwei Portern entgegen. Cesar meint, dass der Mann umkehren müsse. Sein Magen! Gleichzeitig erzählt er mir, dass täglich 300 Touristen von verschiedenen Ausgangspunkten ihr Inka-Trail-Abenteuer starten. Und dass davon nur fünf Prozent nicht in Machu Picchu ankommen. „Ja, ja, ich werde auch ankommen!“

Nach einem kleinen Mittags-Nickerchen geht es mir dann auch gleich viel besser. Der Medizin sei Dank, oder den Göttern. Gegen 15.30 Uhr erreiche ich gutgelaunt Camp 2 auf 3850 Metern. Die Höhe ist kein Problem mehr, wir sind längst angepasst. Mein Schlafsack mit Komfortbereich zehn Grad Plus könnte sich aber zu einem entwickeln. „Vorige Woche waren es hier nachts Minus zehn Grad“, macht mir Cesar Mut. Schön. Also ziehe ich zwei Schlafsäcke übereinander und schlafe wohlig gewärmt ein. 4.30 Uhr ist Wecken. Die Königsetappe mit zwei Pässen (4200 und 3950 Meter) wartet auf uns. Ich fühle mich immer besser und „sprinte“ bei strahlendem Sonnenschein und schwerem Atem in einer knappen Stunde die 400 Höhenmeter bis zum Pass Abra de Warmi Wanusca hinauf. Immer wieder drehe ich mich um, und halte inne bei dem Anblick der schneebedeckten Riesen. Der Gipfel ist erreicht und ich verspüre ein Glücksgefühl, das ich bisher noch nicht kannte. Ich habe Tränen in den Augen, der Wind kann es nicht sein, ich trage eine Sonnenbrille. Über den Wolken stehend, genieße ich einen Moment der Stille, der aber sogleich jäh zerstört wird: „Well done.“ „We did it.“ „Great“ schallt es neben mir. Dazu hollywoodreife Umarmungen und quietschende Ausstöße von zahllosen Glücksendorphinen. Als hätten die zwei amerikanischen Pärchen gerade den K2 bestiegen. Ohne Sauerstoff natürlich.

 

Das Problem an einem Gipfel ist, man muss auch wieder hinunter. Steil bergab, 400 Höhenmeter, Steinstufen. „In zweieinhalb Stunden sind wir unten“, lächelt Cesar. Danach geht es wieder hoch auf 3950 Meter. Kurz vor dem zweiten Gipfel erklärt uns Cesar, dass wir ja noch nicht auf dem Original Inka-Trail, der 1915 entdeckt wurde, laufen. Die Inkas waren nämlich clever, sie wären nie Berg hoch, Berg runter gelaufen. Ihr Trail geht oben auf dem Kamm lang. Das wäre aber für uns Gringos zu gefährlich.

Am Nachmittag betreten wir dann das Original. Durch einen wunderschönen Nebelwald geht es hinauf zu Camp 3, das auf einem Plateau (3350 Meter) liegt, umringt von weißen Riesen. Einen Fußballplatz gibt es auch. Doch ich schließe mich dem Spiel der Porter lieber nicht an, was mir wirklich schwer fällt. Dafür genieße ich das unbeschreibliche Panorama. Cesar zeigt auf einen grünen Berg, „dahinter liegt Machu Picchu“. Unser Ziel.

Am nächsten Morgen bedanken wir uns bei den Göttern, die uns gewähren ließen, mit einem Ritual: Vier Coca-Blätter werden mit einem Bonbon unter einen Stein gelegt. Man wünscht sich etwas. Was? Das darf doch nicht verraten werden.

Die letzte Etappe beginnt. Nach drei Stunden stehen wir plötzlich vor einer steilen Wand, bestehend aus 50 ungleichmäßigen Steinstufen. „Gringo Killers“ heißt sie, erklärt Cesar mit einem verschmitzten Lächeln, weil sie den Trekking-Touristen nach fast vier Tagen kurz vor dem Ziel noch einmal alles abverlangt. Wir schauen uns kurz an. Ok, wer fängt an? Cesar hechtet als Erster die Stufen hoch. Oben angekommen ruft er: „20 Sekunden.“ Das klingt sehr schnell. Auf Go renne ich los, ich schaue nur nach unten, fixiere die nächste Stufe, gerade hoch laufen geht nicht, zu versetzt sind die Absätze. Dann blicke ich doch kurz auf – wie weit noch? – und verliere das Gleichgewicht, meine rechte Kniescheibe schlägt auf Stein. Weiter, weiter, ich bin gleich da. Oben angekommen gehe ich sofort in die Knie, nicht wegen der Schramme am Knie. Die Luft ist weg. „14 Sekunden“ grummelt Cesar. Ich recke die Beckerfaust in den blauen Himmel. Dann hat es sich doch gelohnt.

 

Und wie es das hat, ein paar Minuten später stehen wir am Inti Punku (2700 Meter), dem Sonnentor, und blicken 300 Meter hinunter auf Machu Picchu – eines der neu gewählten Weltwunder. Ich sinke nieder, erschöpft aber glücklich. Glücklich, diese vier wunderschönen Tage erlebt zu haben. Überwältigt vom Anblick der berühmtesten Inka-Ruine, deren Zugang ein Bauer 1902 zufällig fand. Er führte 1911 den US-Forscher Hiram Bingham über Maultierpfade zu den Ruinen, der als Wiederentdecker der Stadt gilt und sie vier Jahre lang freilegte. Die Spanier haben die ab 1420 erbaute Stadt auf ihrem gnadenlosen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug nie gefunden. Zum Glück.

Noch heute ist nicht geklärt, welchem Zweck Machu Picchu mit seinen 200 Wohnungen für ca. 1500 Menschen diente. Neuesten Forschungen zufolge, war es ein religiöses und astronomisches Zentrum, das bereits um 1520 verlassen wurde.

Dafür pilgern heute 2000 Menschen pro Tag auf den Alten Berg. Mehr sind nicht zugelassen, um das fragile Ökosystem der Region nicht weiter zu schwächen.

 

Mein Abenteuer endet hier, aber es gäbe noch so viel zu erzählen über dieses wunderschöne Land, seine Kulturen und vor allem über die Inkas, die in ihrer Blütezeit ein Volk von 25 Millionen Menschen waren und ein 1,7 Millionen Quadratkilometer großes Reich (zu dem Teile der heutigen Länder Peru, Kolumbien, Ecuador, Bolivien, Chile und Argentinien gehörten) regierten. Über ihre Architekturkunst, ihr entwickeltes Straßennetz, ihre künstlichen Bewässerungssysteme, ihr medizinisches und astronomisches Wissen … Heute hat kein Peruaner mehr Inkablut in sich, aber dafür leben die Geschichten und Legenden immer weiter.

 

Die Peruaner erzählen sie Ihnen gerne, wenn Sie ihr Land besuchen. Ich kann es nur empfehlen, auch wenn Sie eines Nachts aufwachen könnten und Ihren Magen grummeln hören. Das geht aber vorbei.

 

Fotos: Jens Hirsch

 

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