„Ich würde alles wieder so machen.“

„Er ist ein Super-Typ! 2006 kam er nach Bremen, wurde Kapitän und jetzt Ehrenspielführer. Für mich war er in den letzten Jahren einer der wichtigsten Leistungsträger bei Werder. Ganz hoch ist ihm auch anzurechnen, dass er sein Karriereende 2016 noch einmal um ein Jahr verschoben hat, um der sportlich angeschlagenen Mannschaft zu helfen. Ich hoffe, dass er noch lange für den Verein tätig ist.“ Das sagte Werder-Fan „Manu“, den ich auf meinem Weg ins Weser-Stadion traf, über meinen Interviewpartner Clemens Fritz.

TOP sprach mit dem gebürtigen Erfurter in „seinem“ Wohnzimmer über unvergessene Momente, die WM in Russland, berufliche Perspektiven und seinen Heimatverein.

Herr Fritz, die wichtigste Frage gleich vorweg: Wie geht es dem Nachwuchs?

Sehr gut. Jetzt kommen gerade die ersten Zähne und sie ist so tapfer. Die Kleine macht uns einfach viel Freude. Das schöne war für mich, dass ich die ersten sieben Monate nach ihrer Geburt komplett Zuhause war. Diese Zeit haben wir extrem genossen und ich konnte zu ihr eine richtig enge Bindung aufbauen. Jetzt bin ich seit März am Arbeiten und meiner Frau sehr dankbar, dass sie mir dafür den Rücken freihält. Und wenn ich abends nachhause komme und sehe, wie sie sich freut, das ist etwas ganz Besonderes. Sicherlich muss man sich auch umstellen, was die Flexibilität und Spontanität angeht, aber das ist alles eine Frage der Organisation.

 

Und wie geht es Ihrem lädierten rechten Knöchel?

Ich laufe schon wieder ganz rund, habe aber immer noch Probleme, vor allem bei der Rechtskurve. Es wurde leider nicht gleich festgestellt, dass der Knorpel eingerissen ist, in der Reha hat sich dann ein Ödem gebildet.

 

Hat die schwere Sprunggelenksverletzung, die Sie sich im Frühjahr 2017 im Bundesligaspiel gegen Darmstadt zugezogen haben, die Entscheidung, im vergangenen Sommer zurückzutreten, erleichtert?

Als die Verletzung kam, hatte ich noch den Standpunkt, wenn ich körperlich gut drauf bin, schaue ich nach der Saison, wie es weitergeht. Aber der Rücktritt war dann unumgänglich, weil ich nicht wusste, auf welchem Leistungsstand ich sein werde, wenn ich aus der Verletzung wieder zurückkomme. Jetzt sieht man ja auch, wie lange so etwas dauern kann. Von daher war es der notwendige und richtige Schritt aufzuhören. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mehr. Die Verletzung hat mir also sicherlich mental geholfen, aufzuhören.

 

Konnten Sie seit Ihrem Rücktritt eigentlich schon reflektieren, was Sie in Ihrem Fußballer-Leben alles erreicht haben?

Ja. Und ich würde alles wieder so machen, das muss ich ganz ehrlich sagen. Als kleiner Junge habe ich für Rot-Weiß Erfurt gespielt, da träumt man davon, einmal in der ersten Mannschaft im Steigerwald-Stadion zu spielen. Dann träumt man davon, vielleicht mal in der Bundesliga zu spielen und mal ein Länderspiel zu machen, wobei das schon sehr hoch gegriffen war. Davon hätte ich nicht mal zu träumen gewagt. Ich habe viel mehr erreicht, als ich jemals gedacht hätte. Mein oberstes Ziel war immer, für den FC Rot-Weiß Erfurt zu spielen. Das war auch toll, aber was dann alles noch gekommen ist, das waren unheimlich schöne Momente: Karlsruhe, Leverkusen und dann Bremen mit den Erfolgen und dieser Bindung zum Verein. Ich habe hier elf Jahre gespielt, war davon sechs Jahre Kapitän, jetzt bin ich Ehrenspielführer. Hätte man mir das alles vor dreißig Jahren angeboten, ich hätte das natürlich sofort unterschrieben.

 

Sie haben 363 Pflichtspiele für Werder bestritten. Was war das Wichtigste?

Das UEFA-Cup-Finale war toll, der Gewinn des DFB-Pokals war toll, die Spiele in der Champions League waren toll. Für mich war aber mein absoluter Werder-Moment, als wir vor zwei Jahren am letzten Spieltag gegen Eintracht Frankfurt fünf Minuten vor Schluss das 1:0 schossen und dadurch die Klasse gesichert haben. Da bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut. Man hat in dieser Stadt einfach das Gefühl, dass Werder und die Stadt eins sind. Die Unterstützung war damals unglaublich. Und dann zusehen, wie nach dem Schlusspfiff alle Dämme brachen und die Fans auf den Platz kamen. So etwas vergisst man nicht. Das war mein Werder-Moment! Leider konnte ich das gar nicht so richtig genießen, weil ich zusammen mit Claudio Pizarro für die Dopingprobe ausgelost war (lacht).

 

Bremen ist für Sie zu mehr als nur einer Station in Ihrer aktiven Karriere geworden.

Definitiv. Das hat sich aber auch erst entwickelt. Ich bin sehr heimatverbunden und hatte eigentlich vor, wieder nach Erfurt zurückzukehren. Jetzt bin ich seit zwölf Jahren in der Stadt und fühle mich unheimlich wohl. Ich habe mir einen Freundeskreis aufgebaut, dazu kommen meine Familie und Freunde aus Erfurt gerne nach Bremen zu Besuch. Mittlerweile sind auch fast alle Werder-Fans. Ich bin nur noch ab und zu in Erfurt zu Gast. Bremen ist sehr lebenswert und Werder gibt mir eine berufliche Perspektive.

 

Wie sieht diese aus? Sie haben gerade den Elite-Jugend-Trainerschein gemacht und absolvieren seit März bei Werder ein zweijähriges Trainee-Programm.

Ich muss mich jetzt noch nicht entscheiden. In Leipzig habe ich den Elite-Jugend-Trainerschein gemacht, das habe ich aber nicht in erster Linie getan, weil ich einmal Trainer werden möchte. Vielleicht kommt das irgendwann. Ich habe die Ausbildung absolviert, weil ich auch die Perspektive des Trainers beleuchten möchte. Da steckt nämlich noch einmal viel mehr dahinter, das ist ein 24-Stunden-Job. Was es überhaupt heißt, Trainer zu sein, die Herangehensweise kennenzulernen, das hat mich gereizt. Deswegen werde ich auch die A-Lizenz noch machen. Jetzt bin ich gerade bei Werder im sportlichen Bereich bei Frank Baumann (Anm. d, Red.: Geschäftsführer Fußball) tätig, bin bei vielen Sitzungen dabei, auch beim Scouting. Ich bin wirklich dankbar, dass mir Werder diese Möglichkeit gegeben hat. Ich sehe das als Lern- und Entwicklungsprozess. Wo dann einmal die Reise hingeht, wird sich zeigen.

 

Im März waren Sie in Berlin Gast beim Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien. Hat es nicht noch einmal ein ganz kleines bisschen gekribbelt?

Nein, überhaupt nicht. Ich weiß ja auch, was das für ein Aufwand bedeutet. Das ist so weit weg für mich. Ich hatte eine tolle Zeit 2008 bei der EM, das war ganz klar mein sportlicher Karriere-Höhepunkt. Wenn man als Spieler die Nationalhymne hört, ist das definitiv etwas ganz Besonderes. Jetzt freue ich mich als Fan auf die WM in Russland.

 

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu? Vor vier Jahren sagte an dieser Stelle Thomas Linke den Titelgewinn in Brasilien voraus.

Dann kann ich ja jetzt schlecht sagen, dass Deutschland dieses Mal kein Weltmeister wird (lacht). Ich traue es der Mannschaft definitiv zu. Sie gehört neben Brasilien, Frankreich und Spanien zu den Top-Favoriten, wobei die Engländer auch nicht schlecht sind und man Argentinien immer auf dem Zettel haben muss. Vielleicht gibt es aber auch noch den einen oder anderen Überraschungskandidaten. Ich weiß, wie Jögi Löw arbeitet, er ist ein hervorragender Trainer und wird wieder an den richtigen Stellschrauben drehen, um das Ziel Titelverteidigung zu realisieren.

 

2008 standen Sie mit Lehmann, Mertesacker, Lahm, Frings, Schweinsteiger, Ballack und Klose auf dem Platz. Ist der heutige Kader mit Neuer, Hummels, Kroos, Khedira, Özil und Werner stärker als vor zehn Jahren?

Individuell ist der diesjährige Kader sicherlich noch stärker, weil man auch von der sehr guten Nachwuchsarbeit in den Nahwuchsleistungszentren profitiert. Das gilt aber auch für die anderen Top-Nationen.

 

Sie haben 14 Jahre in der 1. Bundesliga und international gespielt. Wie haben sich der Fußball und das ganze Drumherum in dieser Zeit verändert?

Es hat sich alles geändert. Als ich angefangen habe, konnte man abends auch mal weggehen, das hat ja niemand mitbekommen. Heute müssen die Spieler genau aufpassen, was sie machen, Stichwort soziale Medien. Bei Werder werden die jungen Spieler darauf vorbereitet, was medial auf sie zukommt. Mein großer Vorteil war, dass ich mit der ganzen Entwicklung mitgewachsen bin. In Erfurt war anfangs ein Journalist vor Ort, in Karlsruhe und Leverkusen wurde es dann etwas mehr. Aber erst in Bremen stieg das Medieninteresse aufgrund der Champions League stark an. Heute sind die jungen Spieler gleich mitten drin.

Ihr Freund Per Mertesacker, mit dem Sie bei Werder und in der Nationalmannschaft zusammenspielten, sprach jetzt offen über Druck im Fußball. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich hatte am Anfang in Bremen auch meine Probleme, von Jahr zu Jahr wurde es dann besser. Natürlich kann ich die Aussagen von Per verstehen, wir haben darüber auch gesprochen. Er hat ein Jahrzehnt international auf höchstem Niveau gespielt. Dabei muss man immer konzentriert und mental voll da sein, das ist schon anstrengend und zehrt ungemein.

Jeder muss für sich einen Weg finden, mit dem Druck umzugehen. Ich habe immer viel gelesen, mich mit Freunden und der Familie getroffen. Aber gerade wenn du gegen den Abstieg spielst oder in die Champions League kommen musst, steigt der Druck. Dann leidet auch die Lebensqualität. Ich hatte vor jedem Spiel Bauchkribbeln, diese Anspannung brauchte ich aber auch. Wenn ich zu locker ins Spiel gegangen bin, habe ich keine gute Leistung gebracht. Umso angespannter ich war, umso besser habe ich gespielt. Das Kribbeln hatte ich jetzt auch bei der Trainer-Prüfung. Das brauche ich einfach, dann weiß ich, es kann nichts schief gehen.

 

Was würden Sie den Nachwuchskickern mit auf den Rasen geben?

Extrem wichtig ist, dass die Eltern in jungen Jahren keinen Druck aufbauen. Mein Vater hätte es sicherlich auch gern gesehen, wenn ich, wie er, Volleyballer geworden wäre. Aber er hat zu mir gesagt: „Mach das, wozu du Lust hast.“ Und ich habe mich für Fußball entschieden. Später hat er mir auch nie nach einem Spiel gesagt, was ich hätte besser machen können. Leider versuchen viele Eltern ihre Jungs zu puschen. Das passiert meistens unterschwellig, aber man bürdet dem Kind eine große Last auf. Dabei sollen die Kinder doch befreit aufspielen und es genießen. Der Druck kommt später von ganz alleine. Als Profi ist es dann wichtig, die Bleischuhe anzubehalten, also mit beiden Füßen auf den Boden zu bleiben. Es geht schnell nach oben, dort zu bleiben ist schwierig. Aber es kann auch ganz schnell wieder nach unten gehen. Deshalb sollte man das Ganze nicht überbewerten und sich als Fußballer nicht zu wichtig nehmen.

 

Nationalspieler Matthias Ginther hat kürzlich gesagt, dass Fußballer viel zu viel Geld verdienen. Teilen Sie diese Ansicht?

Wenn man das mit wirklich wichtigen Berufen, wie zum Beispiel Arzt vergleicht, hat er natürlich Recht. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass Fußball sehr populär ist und dadurch auch viel Geld im Spiel ist. Viele Leute sehen uns aber auch nur im Stadion oder im Fernsehen bei den Spielen. Sie wissen nicht, auf was wir alles in der Kindheit und der Jugend verzichtet haben und was neben den Spielen noch alles dazugehört, wie Trainingsvorbereitung, Training, Nachbereitung, Physiotherapie, Presse- und Sponsorentermine, die Reisen…

 

Sie haben schon immer über den Tellerrand des Fußballs hinausgeschaut. So unterstützen Sie zum Beispiel mit Ihrer Clemens-Fritz-Stiftung benachteiligte Kinder in Thüringen.

Die Stiftung liegt mir wirklich am Herzen. Als ich noch gespielt habe, konnte ich mich leider nicht richtig darum kümmern. Letztes Jahr haben wir zusammen mit der Per-Mertesacker-Stiftung ein Benefiz-Spiel gemacht, das war sehr erfolgreich. Ich möchte jetzt noch aktiver werden, um Gelder für benachteiligte und missbrauchte Kinder in Erfurt und Umgebung einzuspielen. Mir ist es wichtig zu sehen, was mit den Geldern passiert, daher erkundige ich mich regelmäßig nach dem Stand der Dinge und den aktuellsten Projekten. Ich hatte viel Glück in meinem Leben, ein tolles Elternhaus, eine tolle Fußballkarriere. Dafür bin ich dankbar und würde gern davon ein Stück wieder zurückgeben an Kinder und Jugendliche, die bisher nicht so viel Glück hatten.

 

Wir kommen leider nicht an dem Thema FC Rot-Weiß Erfurt, Ihrem Heimatverein, vorbei. Was sagen Sie zu der aktuellen Situation?

Das ist sehr traurig, was da gerade passiert. Rot-Weiß war die Mannschaft, die am längsten in der dritten Liga gespielt hat. Der Verein hat einfach dazugehört, obwohl viele gern auch nach oben in die zweite Liga geblickt haben.

 

Haben Sie noch Kontakt zu Spielern oder Verantwortlichen?

Ich habe seit drei Jahren kein Spiel mehr in Erfurt gesehen und bin auch sonst relativ weit weg vom Geschehen. Ronny Hebestreit habe ich letzten Dezember in Bremen getroffen, klar spricht man dann auch über den Verein. Ich interessiere mich auch dafür, wie es jetzt weiter geht. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass man Ruhe in den Verein reinbekommt und nicht gleich wieder zu träumen anfängt. Die Regionalliga ist nämlich keine Liga, in der man einfach so den Durchmarsch machen wird. Magdeburg und Jena haben auch einige Jahre gebraucht, um wieder aufzusteigen. Es muss jetzt ein vernünftiger Weg einschlagen werden, ohne Schulden. Das muss das Credo sein. Und wenn sie nächstes Jahr nicht gleich ganz oben mitspielen sollten, dann ist das eben so, das muss dann akzeptiert werden.

 

Herr Fritz, vielen Dank für das Gespräch.

TOP Service:

www.clemensfritz.de/clemens-fritz-stiftung

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Andreas Gumz