„Zwölf Tassen Kaffee würden töten. Aber auch zwölf Nachtische.“
Im Gothaer Hotel „Der Lindenhof“ war jüngst der durch die Kult-Sendung „Disco“ in den 1970er Jahren berühmt gewordene Ilja Richter zu Gast. Mit einer Disco-Kugel wollte sich der 69-Jährige aber nicht fotografieren lassen. Dafür erzählte der Schauspieler, Sänger, Synchronsprecher, Autor und Bühnenregisseur im Gourmettheater vier Gänge lang über Theodor Fontanes kulinarische Reise durch Europa. Köstlich.
An diesem Abend folgten die Gäste des Lindenhofs in Gotha einem „Wanderer aus der Mark Brandenburg“, nämlich Theodor Fontane, der berühmte Schriftsteller, Effie Briest, Sie wissen schon. Und seinen kulinarischen Vorlieben, besser, seinen gastronomischen Sehnsüchten. Überaus köstlich vorgetragen von Ilja Richter und kredenzt vom Chefkoch Christian Lange. Fontane sei ein Mann mit Eitelkeiten gewesen, berichtet Ilja Richter. Und mit Ressentiments gegen die Juden und die Junker, dabei erhoffte er sich insgeheim die Aufnahme in den Adelsstand. Viel lieber hätte er ein „Von“ als Fontane gehabt. Er war also doch ein Mensch wie du und ich. Ein Hypochonder sei er auch gewesen, Angst vor einem frühen Tode hatte der gelernte Apotheker. Aber nicht nach einem 4-Gänge-Menue (Er wäre entzückt gewesen an diesem Abend.). Natürlich nicht, schon eher nach einem Schnupfen. Guten Appetit.
Die Vorspeise aus England
Auf seinen Reisen durch England, Irland und Schottland wurde der Neuruppiner nie so richtig warm mit der britischen Küche. Die Tante von Ilja Richter hat wohl einen ähnlichen Geschmack, ihr sei der Brexit nämlich piep egal, sagte sie ihrem Neffen, „ich fahre sowieso nicht nach Europa. Ich bleibe in Berlin.“ Für Richter ist die Vorspeise vergleichbar mit dem Vorspiel in der Erotik. Gebackene Blutwurst-Praline, Zwiebelmarmelade, pochierte Birne, Frisée. Klingt dieser englische Appetizer nicht sexy? Wer will da nein sagen zu Küchenmeister Langes Vorspiel?
Vor der Suppe nach Frankreich
Kommen wir nach Frankreich, wo man ja bekanntlich wie Gott speist – an diesem Abend eine arrosierte Garnelen-Rahmsuppe im Blätterteig. Fontane allerdings meckerte anfangs über das Essen in Paris. Später schwärmte er jedoch von lukullischem Behagen. Und seine 1871 erbetene Gastfreundschaft vom Kriegs-Gegner wurde ihm auch gewährt. Dabei wurde er vom selbigen zunächst unter falschem Verdacht als deutscher bzw. preußischer Spion verhaftet, jedoch nach einer Intervention Bismarcks zu seinen Gunsten wieder freigelassen.
Keine Experimente! Hauptspeise aus Deutschland
Beim Essen hörte der Spaß auf für Herrn Fontane, der für seine beißende Ironie bekannt war. „Keine Experimente, ich bin nicht für halbe Portionen“, notierte er. Deshalb lag Chefkoch Lange mit dem deutschen Hauptgang genau richtig. „Ein Sonntagsbraten ohne Birne: Weißkohl, Kümmel, und immer wieder Hammel“, das präferierte der Schriftsteller. Er wäre aber auch höchst zufrieden gewesen mit dem Abendmahl im Lindenhof: Geschmorter Rinderbraten mit allerlei Karotte, Spitzkohl und Grießtörtchen.
Zum Nachtisch nach Bella Italia
„Altern ist wie ein schlechtes Dessert nach einem guten Essen.“ Nein, dieses Zitat stammt nicht von Theodor Fontane, sondern von Stephen King. Unser Brandenburger, der Restaurantkritiker auch mal „Fresser vom Fach“ nannte, beschrieb in quasi jedem seiner Roman ausführlich das Tafeln, und wenn es nur ein eingenommener Imbiss war. Der Kaffee-Liebhaber, der privat Kaffe schrieb, also berlinerisch mit einem e, trank literweise Kaffee in seinen Romanen, dann aber mit doppelten e. zwölf Tassen würden töten, schrieb er, „aber auch zwölf Nachtische“.
Zwei, drei hätten es an diesem Abend aber schon sein können. Tiramisu, Panna Cotta, Schokolade und Himbeere. Köstlich. Dazu einen Kaffee.
Das war`s im Namen von Küchenmeister Lange.
Zitate von Ilja Richter:
„Disco“ ist ein Stück meiner Vergangenheit, aber ich muss auch klar sagen: „Ich bin kein Nostalgiker!“ Es gibt Abschnitte im Leben, die sollte man einfach in Ruhe lassen – und sie nicht immer aufklappen und sich selbst zuraunen, wie schön die Zeit war. Ich beschäftige mich damit nicht mehr. Die Erinnerungen anderer Menschen daran sind die Erinnerungen anderer Menschen daran. Ich selbst sehne mich danach nicht zurück, wie schon gesagt. Es passt auch nicht, dass ich erlebt haben soll, was die Erinnerungen anderer an diese Zeit ausmacht.“
„Meine Musik-Vorlieben liegen in der klassischen Romantik und im Jazz, dann ist schon klar, dass die Musik aus Disco nicht dazu gehört. Besonders die Romantiker haben es mir angetan, also jene aus den Jahren 1870 bis 1880.“
„Ich stehe seit 40 Jahren auf der Bühne. Nach der Vereinigung gab es Unterschiede beim Publikum zwischen Ost und West. Damals stellte ich fest, dass beispielsweise Psychiater-Witze gar nicht funktionierten. Den Gang zum Psychiater gab es im Osten einfach nicht – und deshalb wurde darüber auch nicht gelacht. Aber mittlerweile sind die Unterschiede geringer geworden, es nähert sich an.“
Text: Jens Hirsch
Foto: Mario Hochhaus, Dr. Bernd Seydel