Der Herr des Lichts

Sturm, Regen, Kälte, Hitze und einen Blitzeinschlag, aber auch schlaflose Nächte, wunderschöne Aufführungen, tosenden Applaus und vibrierende Tribünen. Es gibt wahrscheinlich nichts, was Stefan Winkler seit 1994 noch nicht während der DomStufen-Festspiele auf dem Domberg erlebt hat.
In seinem 44. Jahr am Theater Erfurt kann sich der 63-jährige Leiter der Beleuchtungsabteilung die 25. Festspiele ab 3. August aber dieses Mal ganz entspannt ansehen. TOP besuchte den gebürtigen Gothaer vorab an seinem Arbeitsplatz.  

„Den Saal bitte 100 Prozent!“ Stefan Winkler steht mit dem Funkgerät in der Hand auf den Brettern, die seit 44 Jahren seine Welt bedeuten und sein Leben bestimmen. Noch zwei Stunden bis zur Aufführung, die West Side Story steht auf dem Programm. Die Beleuchtung im Großen Haus geht an, ein Spot über der Bühne wird korrigiert. Der Herr des Lichts schaut nach oben und nickt zufrieden.

Am 9. September 1974 steht der damals 19-jährige Stefan Winkler zum ersten Mal auf einer Bühne. Mit Kunst, Schauspiel oder gar Oper kann er nicht viel anfangen. Musikinteressiert ist er, ja, er mag die Stones und Free Jazz. Es ist sein erster Arbeitstag am Opernhaus in Erfurt – der heutigen Alten Oper in der Gorkistraße. Mehr oder weniger durch Zufall ist er hier gelandet. Nach seiner Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur in seiner Heimatstadt Gotha beginnt er 1973 in Schmalkalden ein Maschinenbaustudium. Das aber muss er nach eineinhalb Semestern aufgrund einer Neurodermitis-Erkrankung im Frühjahr `74 abbrechen. „Ich hing dann in der Luft, jobbte hier und da ein bisschen“, erinnert er sich. Ein Bekannter vom Erfurter Opernhaus gibt ihm schließlich den wegweisenden Tipp: „Komm doch mal nach Erfurt, die suchen gerade Leute.“ Also bewirbt er sich am Opernhaus und fängt am 9. September bei den Beleuchtern im Stellwerk an. „Ich hatte null Ahnung, von nichts“, schmunzelt er.

Zunächst ändert sich daran auch nicht viel, denn die Beleuchter sind im Stellwerk hinter dem Rang „weggesperrt“. Trotzdem lernen Stefan Winkler und seine jungen Kollegen, von denen heute noch einige (Zahl) dabei sind, viel. Gemeinsam wachsen sie mit den Aufgaben. Stefan Winkler schafft es nach der Elektriker-Erwachsenenqualifizierung bis zum Meister für Theater und Orchester. Sein Prüfungsstück ist 1986 „Lohengrin“. An jenem Abend im September? agiert er zum ersten Mal als Beleuchtungsmeister. Für den „4-Stunden-Wagner-Schinken“ sei er „hochmotiviert“ gewesen. Er lässt Lohengrin erstmals im Licht erscheinen und ändert zudem noch einige Lichtpositionen. „Die Kollegen mussten dafür viel bauen. Aber ohne sie geht es sowieso nicht, da kann ich noch so eine Schnapsidee haben“, weiß Stefan Winkler. Der Lohengrin wurde natürlich zu einem seiner Lieblingsstücke: die Initialzündung für alles, was Stefan Winkler heute noch immer machen darf.

Der nächste „Startschuss“ erfolgt 1994. Die ersten offiziellen Domstufen-Festspiele stehen auf dem Programm. Carmina Burana. Ein Wagnis. Es gab zwar schon vorher Aufführungen auf den Domstufen, aber eben unter völlig anderen Bedingungen. „Das war unser erster Versuch und deshalb legten wir alles rein, was wir damals konnten!“ Mit Erfolg. Alle acht Vorstellungen waren mit 999 Zuschauern ausverkauft. „Davon wird heute noch gesprochen. Das war unbegreiflich, alle haben getobt, die Tribüne vibrierte.“

Der Sprung ins kalte Wasser war gelungen. Erfahrungen mit einer Opernaufführung unter freiem Himmel hatte damals keiner. „Wir haben einfach mit den vorhandenen Möglichkeiten versucht, das Theater von innen nach außen zu versetzen. Heute wissen wir zum Beispiel, dass man draußen eben nicht mehr Licht braucht als im Haus.“ Viel wichtiger sei es, sich mit dem Wetter auseinanderzusetzen und entsprechend zu reagieren. „Wolken sind immer gut, leichter Nieselregen ist sogar noch besser für das Licht.“ Stefan Winkler hat schon sämtliche Wetterkapriolen erlebt: Sturm, Regen mit Landunter, brütende Hitze und 2006 bei einer Probe einen Blitzeinschlag in die Severi-Kirche, ein Kollege stand damals nur fünf Meter vom glühenden Blitzableiter entfernt.

In den ersten Jahren beginnen die Vorstellungen stets um 21.30 Uhr. Eine dankbare Zeit für die Beleuchter, denn es ist dunkel. Seit einigen Spielzeiten geht es schon 20 Uhr los, denn trotz Sondergenehmigung muss die große Oper pünktlich um 23 Uhr fertig sein. „Da kämpfte man gerade im Juli lange gegen die untergehende Sonne. Und auch wenn die Tage im August wieder etwas länger sind, gilt: „Umso früher wir anfangen, umso mehr Licht brauchen wir, um uns gegen die Sonne durchzusetzen. Ansonsten geht man unter. Man lernt eben mit dem Berg umzugehen.“

Schließlich sind die Domstufen für die Beteiligten „kein Zuckerschlecken“. Die Produktion beginnt jeweils im Frühjahr mit Material-Ausschreibungen für den Gerätepark, der Einholung von Genehmigungen, der Erstellung des Lichtkonzeptes… „Wenn wir dann den Domplatz verzaubert haben, steht dort quasi ein komplettes Theater, nur ohne Dach.“ Und die Wege sind weiter, die zu bespielenden Räume deutlich größer. Nach dem Sommerurlaub geht es im Vollgasmodus drei Wochen lang bis zur Premiere. Stefan Winkler und sein 16-köpfiges Team sind quasi immer da. In den Lichtnächten – diese beginnen nach Probenende um 22.30 Uhr und gehen bis circa fünf Uhr am nächsten Morgen – wird fünf Tage lang das Lichtkonzept getestet. Dann folgen eine komplette Probe mit anschließender Lichtkorrektur und die Endprobenwoche mit der Generalprobe. Und „am Donnerstag geht das Ding dann mit der Premiere raus. Danach wird es ruhiger, dann ist man schon gegen zwei Uhr zuhause, je nachdem, ob der Regisseur noch etwas ändern möchte.“ Auf dem Weg nach Hause fährt Stefan Winkler dann bei Bäcker Roth in der Magdeburger Allee vorbei und kauft frische Brötchen und Pfannkuchen. Nach diesen Wochen unter Adrenalin und mit wenig Schlaf braucht der Körper dann seine Zeit, um wieder in den normalen Modus zu kommen.

Der Lohn der Mühen ist der allabendliche Applaus auf dem Berg. „Das ist hochgradig befriedigend. Ich werde ein paar Aufführungen sicherlich nie vergessen, auch von der Teamarbeit her: Luther und Messias waren für mich bisher das Beste, sehr gut waren auch Jesus Christ, Mond, das Musical Jedermann, Tosca.“ Bei aller Professionalität muss für Stefan Winkler Theater vor allem eines: „Spaß machen!“. Im Rückblick haben den 63-Jährigen „alle Stücke stark berührt. Viele Bilder haben sich ganz schwer eingeprägt. Das ist das Besondere an diesem Platz.“

Und Stefan Winkler war „der Glückliche“, der auf diesem Platz die Premiere 1994 machen durfte. Danach übernahm ein Kollege. Erst ab 2002 mit der beginnenden Intendanz von Guy Montavon standen wieder Stefan Winkler und seine Kollegen am Lichtpult. Bis 2010, seitdem erfolgt jedes Jahr ein Wechsel mit den Beleuchtungsmeistern Torsten Bante und Florian Hahn. 2014 ist Stefan Winkler wieder an der Reihe. Am 10. Juli ist die Premiere vom Jedermann. Ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören bei den Festspielen. Am 11. Juli wird er schließlich 60. Also feiert Stefan Winkler nach der Premiere mit Familie, Freunden und Kollegen in seinen runden Geburtstag hinein. „Besser kann man doch nicht aufhören“, denkt sich der Jubilar. Es kommt aber anders, Guy Montavon „verpflichtet“ Stefan Winkler ein Jahr später noch einmal als Beleuchtungschef für den Freischütz. Zum wirklich letzten Mal.

Seitdem schaut er sich die Aufführungen auf dem Berg „ganz genüsslich an, wie sich das einem älteren Herren geziemt. Man muss lernen zu akzeptieren, was andere machen, und nicht sagen: Ich kann das aber besser. Wenn ich nicht mehr da bin, müssen sie es ja auch machen. Ich muss mir keine Sorgen machen, es läuft alles wunderbar bei uns.“

Damit das im Team von Stefan Winkler, das aus drei Meistern, 14 Beleuchtern und zwei bis drei Auszubildenden besteht, auch so bleibt, kümmert er sich intensiv um den Nachwuchs. Zum Beispiel als Mitglied der IHK-Prüfungskommission für die Veranstaltungstechniker. „Es macht mir riesigen Spaß, mit den jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Der Generationenwechsel läuft bereits im Haus. Deshalb ist es wichtig, die Auszubildenden im Haus zu halten, oder sie nach ein paar Wanderjahren, wieder zurückzuholen.“

Er selber hat seine Dienstjahre, dieses Jahr werden es 44, längst voll. Dabei hat er viel erlebt: Opernhaus, Schauspielhaus, Kuppeltheater, seit 2003 das neue Haus im Brühl. „Wer hat schon das Glück, ein neues Theater mit bauen zu können? Wenn ich nicht so theaterverrückt wäre, hätte ich längst aufgehört“, verrät er. Er kann aber nicht. Der Spielplan bestimmt noch immer seinen Tagesablauf. „Wenn man das nicht liebt, kann man den Job nicht machen. Wenn ich 65 bin, dann schaumer mal, wie es mir geht. Noch sagen die Kollegen nicht: Will der nicht mal endlich gehen? Solange ich mich noch mit einbringen kann und eine Aufgabe habe, mache ich weiter.“ Die Reisen an die Ostsee sind also noch auf die Theaterferien beschränkt. Am liebsten zieht es den Politikinteressierten und seine Frau, eine ehemalige Tänzerin, nach Rügen und auf den Darß. Sein liebstes Hobby ist aber nach wie vor sein Beruf.

Das „Hobby“ Domstufen-Festspiele schaukeln jetzt seine Kollegen Torsten Bante und Florian Hahn. „Ich schaue mir im Juli die Proben von Carmen an, die Premiere dann von der Seite. Die Tribünenplätze sind für die Besucher da. Von denen leben wir ja, sie bezahlen schließlich Geld dafür.“

Noch eine Stunde, dann fällt der Vorhang für die West Side Story. Über Funk meldet sich ein Kollege. Stefan Winkler muss zurück auf die Bretter, die seine Welt bedeuten.

 

www.theater-erfurt.de

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus, Lutz Edelhoff