Die Schlachten sind geschlagen

„Ich bin Toni Krahl. Geboren am 3. Oktober 1949 und zum Zeitpunkt dieser Erzählung 66 Jahre alt. Berliner. Seit fünfzig Jahren ist die Musik mein Leben. Über vierzig Jahre stehe ich in der ersten Reihe von CITY. Wir haben in dieser Zeit

mehrere Tausend Konzerte zwischen Moskau und Havanna gegeben. Ich habe Hunderte Gitarrensaiten zerfetzt, eine halbe Million Zigaretten verbrannt und ungefähr einen Hektoliter Feuerwasser vernichtet.“

Das sind die ersten Zeilen aus Toni Krahls autobiografischen Buch „Rocklegenden“, dass der Frontmann von CITY am 11. April in Meiningen und am 12. April in Erfurt bei der Frühjahrslese präsentieren wird.

TOP traf Toni Krahl vorab bei einem Konzert in Gera und sprach mit ihm über Wahrheit, den Ritterschlag und das ewige Kribbeln.

Herr Krahl, wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?

Gar nicht. Der Verlag hat mich mehrfach gefragt, ich habe aber immer gezögert. Als sie mir dann aber einen Vorschuss anboten, habe ich zugesagt. Wenn ich das Geld habe, arbeite ich auch, ansonsten bin ich ein fauler Hund.

 

Inwieweit unterscheidet sich das Schreiben an einem Song mit dem Schreiben eines Buches?

Das ist total anderes, weil wenn man ein autobiografisches Buch schreibt, versucht man bei der Wahrheit zu bleiben. Ich bin aber überhaupt kein Archivar, habe keine Kalenderaufzeichnungen, keine Notizen, keine Fotos. Auch in der Band hat sich niemand darum gekümmert. Ich habe den Kollegen immer mal eine fertige Passage vorgelesen und gemerkt, dass das doch jeder etwas anders in Erinnerung hat. Jeder hat seine eigene Wahrheit. Ich bin aber trotzdem bei meiner geblieben. Deswegen schreibe ich ja auch im Vorwort: „Es hat sich alles genauso abgespielt oder eben ganz anders.“ Letztendlich habe ich versucht, die Geschichten wahrheitsgetreu aber vor allem unterhaltsam zu erzählen.

 

Haben Sie während Ihrer Recherchereise durch Ihr bisheriges Leben gespürt, dass Sie manche Erlebnisse heute anders reflektieren, als Sie das damals getan haben?

Das weiß ich schon ewig, dafür musste ich kein Buch schreiben. Alleine das abgeschlossene DDR-Kapitel reflektieren die meisten doch nur mit ihrer Jugend, sie denken nur an die schönen Seiten. So ging es mir auch. Dabei spürte man doch die Grenzen immer und überall, mal ganz abgesehen von der Mauer in Berlin und dem Grenzzaun. Man hat versucht, uns klein zu halten, nicht im Großen zu denken.

 

Ein Künstler muss aber im Großen denken, um kreativ zu sein. War das in der DDR möglich?

Grundsätzlich hatte man als Künstler in der DDR ein relativ gutes Leben. Ähnlich wie heute auch, natürlich mit mehr Freiheiten versehen. Wir haben damals schon entschieden, ob, wann und warum wir eine Platte aufnehmen. Aber natürlich mussten wir in der DDR, wie übrigens heute auch, Kompromisse eingehen. Damals mit den Parteifunktionären, heute für den Kommerz, mit den Medien, mit der Plattenfirma. In der DDR war alles politisch, es wurde selten auf die Ästhetik geachtet. Alles wurde politisiert, und zwar nicht nur von den Funktionären, sondern auch vom Publikum.

 

Das hat zwischen den Textzeilen nach Wahrheiten gesucht?

Ja. Zum Beispiel bei unserem Song „Wand an Wand“. In der DDR war das sofort ein Politikum. Wand war gleichbedeutend mit der Mauer. Die Textzeile „Wollen wir uns kennenlernen, müssen wir das Haus verlassen“ war gleichbedeutend mit „das Land verlassen“, um Verwandte in der Tschechei oder Ungarn zu treffen. Solche Metaphern wurden von den Leuten auch genauso verstanden.

 

Der Song ist auf dem 1987 erschienen Album „Casablanca“, das wegen seiner kritischen Texte als Meilenstein der DDR-Rockgeschichte gilt. Dass die Platte, mit deutlichen Bezügen zum Mauerbau, zum Prager Frühling und zur schlechten Stimmung im Lande, überhaupt erscheinen konnte, grenzte an ein Wunder. Sie mussten sogar den Song „Berlin“ in „z. B. Susann“ umbenennen, damit er nicht durch die Zensur fiel.

Das hatte damit zu tun, weil er im 750. Jahr von Berlin erschien. Berlin war Brennpunkt des Kalten Krieges, Ost- und Westberlin haben getrennt gefeiert. In Ostberlin war der Vorsitzende des Festkomitees Erich Honecker höchstpersönlich. Alles ging über seinen Tisch. Das wusste unsere Plattenfirma, wir haben den Song „z. B. Susann“ genannt und so ist er durchgerutscht. Die konnten ja nicht alles lesen (lacht). Wir heften uns aber nicht an die Backe, dass unseretwegen die Mauer gefallen ist. Aber wir haben den Soundtrack zurzeit geliefert.

 

Sie saßen drei Monate im Gefängnis, weil Sie mit dem Prager Frühling sympathisierten, Bildungsministerin Margot Honecker und die linientreuen Medien verrissen „Casablanca“ – City hätte den Boden des Sozialismus verlassen. Haben Sie sich nicht mal gefragt, wie es gewesen wäre, wenn Sie im anderen Deutschland geboren wären?

Der Verriss war der Ritterschlag für uns. Hätten wir dieses Album nicht gehabt, hätten wir nicht überlebt. Dadurch haben die Leute uns als Partner und Sprachrohr wahrgenommen.

Grundsätzlich wäre ich auch kein besserer Westler geworden. Aber im Ernst, ich habe mir diese Frage öfters gestellt. Ich wäre sicherlich anders sozialisiert, vielleicht hätte ich besser gelernt, die Ellenbogen auszufahren. Das ist aber alles hättste, wennste. Wir haben öfters im Westen gespielt und hatten die Möglichkeit, die Mücke zu machen. Es gab diese Momente, wenn wir zum Beispiel wieder gegen Wände gerannt sind, in denen wir darüber nachgedacht haben. Dann haben wir den Funktionären damit gedroht, dass wir im Westen bleiben. Das hat meistens gezogen und wir bekamen, was wir wollten. Wir konnten uns Dinge rausnehmen, die für den Großteil der Bevölkerung nicht möglich waren. Das war ein großes Privileg.

Rockstarallüren in der DDR?

Musik hatte damals eine andere Bedeutung als Zeitgeistsymbol. Heute gibt es Fußball, Models, Soaps, gescheiterte Fernsehexistenzen, die sich im Dschungel tummeln, die sind für viele Leute die Helden. Für unsere Generation gab es nur die Musik, die Stones, die Beatles. Wenn du in der Schule etwas gelten wolltest, ging das mit einer Gitarre viel leichter. Bei den Mädchen natürlich besonders. Ich glaube, das war im Osten genauso wie im Westen. Außer vielleicht, dass die Kollegen im Westen einen anderen Zugriff zu Bewusstseinserweiternden Substanzen hatten. Wenn ich mir alte Fotos von uns und zum Beispiel Led Zeppelin anschaue, mein Gott, wir sahen genauso aus, auch wenn es deren Klamotten nicht bei uns im Konsum gab.

 

Ist es im Kapitalismus für Künstler einfacher als im Sozialismus?

Es ist anders. Inzwischen sind ja auch noch mal 25 Jahre vergangen. Ich habe das Gefühl, der Kapitalismus ist etwas härter geworden. Man hat der DDR immer vorgeworfen, sie wäre pleite, hätte nicht mehr lange überlebt ohne den Milliardenkredit aus Bayern. Was haben wir denn heute? 25 Jahre später hat der Kapitalismus halb Europa in den Sand gesetzt. Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Frankreich … da sollte man eigentlich nicht mehr so eine große Klappe haben. Alles, was sie uns damals über den Kapitalismus erzählt haben, hat gestimmt. Nur über den Sozialismus haben sie geschwindelt.

 

In letzter Zeit sind mit Motörhead Sänger Lemmy Kilmister, David Bowie und The Eagles Mitgründer Glenn Frey drei Musiklegenden Ihrer Generation gestorben. Was löst das bei Ihnen aus?

Natürlich sind alle genannten viel zu früh verstorben. Der erste große Treffer war aber für uns 1996 der Tod von Tamara Danz (d. Red. Sängerin von „Silly“). Sie hat eine riesige Lücke auf den Bühnen dieses Landes und in unseren Herzen hinterlassen. Wir haben ihr 2004 den Song „Tamara“ gewidmet. Jetzt kommen die Einschläge häufiger. Man merkt, da gehen große Künstler, die sich über Jahrzehnte gehalten haben. Wer weiß, wann es wieder so eine Künstlergenration gibt. David Bowies Tod hat uns als Band und als Berliner natürlich sehr berührt, wir haben von ihm bereits in den 80ern ganz zum Leidwesen der Funktionäre „Heroes“ gecovert, vor zwei Jahren auf Platte aufgenommen und spielen den Song jetzt auch auf unserer Wintertour.

 

City tourt seit mehreren Jahren erfolgreich mit Karat und den Puhdys als „Rocklegenden“ durch die vereinte Republik. Warum sind Sie zu DDR-Zeiten niemals zusammen aufgetreten?

Wir sind mal mit den Puhdys und mal mit Karat aufgetreten aber nie alle zusammen. Das war dem geschuldet, dass wir alle in dem kleinen Teich DDR gefischt haben. Wir waren Konkurrenten auch über alle Freundschaften hinweg. Wir wurden in den wenigen DDR-Medien immer aufeinandergehetzt. Da haben wir gesagt, das machen wir nicht auch noch auf der Bühne. Jetzt sind die Schlachten geschlagen und die Hackordnung steht fest. Wir respektieren uns und müssen uns nichts mehr beweisen. Die Idee zur gemeinsamen Tour kam vom Management. Es wurde sogar das Label Ostrock gegründet, anfangs wahrscheinlich wie bei Made in Germany damals als Warnung, mittlerweile steht es für Qualität. Und mein Selbstbewusstsein reicht so weit, dass ich sage, das hat Ostrock auch geschafft.

 

Die 22 Konzerte in diesem Jahr sind ausverkauft, auch in Stuttgart und Hamburg! Hat die Wiedervereinigung doch funktioniert?

Ein Großteil der Besucher im Westen sind natürlich Immigranten aus dem Osten, die für ein besseres Leben in den Westen gegangen sind. Im Allgemeinen kommen zu uns Leute, die mit uns aufgewachsen sind oder die uns im Plattenschrank der Eltern gefunden haben. Im Osten ist das Publikum natürlich Textsicherer, hier haben wir mehr Hits.

 

„Am Fenster“ ist der größte, er wurde bisher weltweit 10 Millionen Mal verkauft und ist die erfolgreichste Ost-Single im Westen. Stimmt es, dass der Song ursprünglich gar nicht auf Platte erscheinen sollte?

Als ich 1975 zur Band kam, gab es bereits den Song. Der damalige Sänger Emil Bogdanow probte ein Jahr zuvor mit der Band, der Schlagzeuger brachte eine Geige mit, die er von seinem Onkel geschenkt bekam. Ich kenne die Geschichte nur aus Erzählungen von den Bandkollegen. Bassist Georgi Gogow nahm die Geige in die Hand und fiedelte los, es wusste keiner, dass er das konnte. So ist dieses Lied entstanden, man hört ihm das auch ein bisschen an, es ist nicht richtig komponiert, das schwebt die ganze Zeit, es gibt keinen Refrain. Der Text ist ein Gedicht von Hildegard Maria Rauchfuß. Das Lied wurde zunächst nicht aufgenommen, weil es der Plattenfirma Amiga zu lang war und weil die Geige damals nicht zur Rockmusik passte. Bogdanov ist dann in den Westen abgehauen und die Band fragte mich, ob ich als Sänger einsteigen wollte. Dann haben sie mir die Fragmente des Songs vorgespielt, wir haben ihn weiterentwickelt, live gespielt, und nachdem er im Radio lief, stürmten die Leute die Plattenläden. 1977 erschien er auf Platte, die kamen mit dem Pressen gar nicht hinterher. „Am Fenster“ ist sicherlich das außergewöhnlichste Lied, das wir gemacht haben.

 

Haben Sie persönlich einen Lieblingssong?

Nein, ich verfolge unterschiedliche Arten von Musik. In erster Linie höre ich auf den Sänger, das muss mich berühren. Die Geschichte muss stimmen. Das ist wie bei John Lennon und Bruce Springsteen. Ich glaube, das ist eine Generationssache. Nicht einfach nur Tanzen und Unterhaltung, sondern immer noch den Anspruch zu haben, wir machen den Song, der die Welt verbessert.

 

Bereiten Sie sich heute anders auf ein Konzert vor als vor 20, 30 Jahren?

Ja, ich nehme es ernster. Früher waren wir jung, übermütig und auch mal betrunken. Zu DDR-Zeiten hat der Eintritt 3,60 DDR-Mark gekostet, heute sind es 36 Euro. Das ist eine große Verantwortung, die Leute haben es verdient, dass wir ihnen einen schönen Abend bereiten. Ich habe auch heute gefühlt mehr Lampenfieber und ziehe mich deshalb eine halbe Stunde vor Konzertbeginn zurück. Denn ich sitze in der Mitte der Bühne, wenn etwas schief geht, schauen alle mich an, die Band und das Publikum.

 

Sie stehen seit über 40 Jahren auf der Bühne, wie lange wollen Sie das noch machen?

Ewig. Solange wir gesund und fit sind. Wir haben Spaß dabei, und wenn ich mal ein paar Wochen am Stück zuhause bin, dann kribbelt es. Dann muss ich wieder los. Zum Glück habe ich ja jetzt die Lesereise (lacht).

 

Wie bereiten Sie sich eigentlich auf diese Premiere vor?

Das weiß ich auch noch nicht (lacht). Ich bringe auf jeden Fall die Gitarre mit, falls mir das Gelabere zuwider wird, singe ich einen Song. Auf jeden Fall wird das etwas ganz Neues für mich sein und ich freue mich drauf. Ansonsten hätte ich es ja auch nur für mich schreiben und in den Schrank stellen können. Jetzt möchte ich auch, dass es ein Erfolg wird.

 

Das wünschen wir Ihnen. Herr Krahl, vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß bei den Lesungen in Meiningen und Erfurt.

 

Fotos: Marcel Krummrich