Mit Nena an der Bar
Sie ist vierfache Mutter, dreifache Großmutter, Vegetarierin, Yogafan, Hundebesitzerin und Mitinitiatorin einer freien Schule in Hamburg.
Aber vor allem ist die 55-jährige Gabriele Susanne Kerner eines: Nena. Als Popmusikerin mit 25 Millionen verkauften Tonträgern weltweit gehört Nena zu den erfolgreichsten Künstlern der deutschen Musikgeschichte. Mit ihrer aktuellen Platte „Oldschool“ ging sie Anfang des Jahres auf Klubtour. TOP war bei ihrem einzigen Thüringer Auftritt im Erfurter Stadtgarten am 21. März dabei.
Als ich am Morgen des 21. März so gegen neun zum Bäcker radelte, kam ich am Stadtgarten vorbei, wo am Abend Nena auftreten sollte. Ein großer schwarzer Bus stand vor dem Areal, bewacht von zwei Sicherheitsleuten. Darin sitzt vielleicht Nena und trinkt gerade einen Kaffee, dachte ich so für mich. Schlafen wird sie nicht mehr, sie steht ja immer zwischen fünf und sieben auf, wie sie selber sagt.
Die Nena. Ihre Klamotten fand ich Anfang der 80er uncool, die Musik so ganz ok. Sie selber wirkte immer so aufgedreht, irgendwie fand ich sie trotzdem cool. Heute Abend werde ich also mein erstes Nena-Konzert erleben.
Nachdem mein fotografierender Kollege und ich beim Einlass erfahren hatten, was wir alles nicht dürfen (Fotos nur während der ersten zwei Songs von einem 30 Meter von der Bühne entfernten Podest, und zwar nur von dort – Anmerkung des Veranstalters: Bringen Sie doch ein Objektiv mit! Danach muss die Kamera raus! Fotos, die die Stimmung einfangen – nicht erlaubt.), betraten wir kurz nach 20 Uhr den Stadtgarten, wo ich vor 30 Jahren einige Sonntagnachmittage bei der Schülerdisco verbrachte. Und wahrscheinlich zu „99 Luftballons“ zumindest taktvoll mitnickte. Getanzt habe ich natürlich nicht.
Nachdem ich also kurz in Erinnerungen schwelgte, sehe ich am Merchandisingstand eine junge Frau. Vielmehr leuchtet mir ein silberner NENA-Schriftzug aus Strasssteinen von ihrem T-Shirt entgegen. Ulrike stammt aus der Nähe von Mühlhausen und lebt seit einigen Jahren in Marburg. Erfurt wird ihr achtes Nena-Konzert. Ein echter Fan auf Pilgerfahrt. Da muss ich passen, meine Lieblingsband Pearl Jam habe ich bis jetzt „nur“ fünf Mal live gesehen. Gut, die Jungs aus Seattle touren auch nicht jedes Jahr durch Deutschland.
Während mir Ulrike erzählt, warum sie Nena so toll findet: wegen der Ausstrahlung, der Musik, ihr Engagement in einer freien Schule … sie sei eben einfach glücklich, wenn sie Nena höre, beginnt das Intro. Und Ulrike verabschiedet sich ganz schnell in Richtung FOS (Front of Stage).
20.16 Uhr betritt die neunköpfige Band mit ihrer Chefin, die gleichzeitig Mutter von drei Bandmitgliedern ist, die für so ein Ensemble etwas zu klein geratene Bühne. „Und es tut immer wieder gut, und es tut immer wieder weh“, singt Nena, während sie wie eine junge Punkerin ihre mit Glitzer-Leuchtdioden ausgestattete Gitarre malträtiert. Im zweiten Song geht es um Lieder von früher. Poppig, rockig, modern klingt das. So wie Erfolgs-Rapper Samy Deluxe die neuen Songs der aktuellen Nena-Platte „Oldschool“ produzierte.
Für unseren Fotografen ist dann um 20.24 Uhr der Arbeitstag praktisch beendet. Wobei er zum Arbeiten so richtig gar nicht kam, denn Nena stand die ganzen zwei Songs im Dunkeln! Der gefragte Techniker bestätigte, dass das kein Defekt ist. Jeder soll sich daraus seinen eigenen Reim machen. Unter Geleitschutz bringt unser Fotograf seine Kameras hinaus und darf nur ohne sie wieder reinkommen. Wir treffen uns in der Bar, gleich neben dem Konzertsaal. Das ist unser stiller Protest gegen die Arbeitsbedingungen bei einem der größten deutschen Popstars der Musikgeschichte. Und außerdem können wir ja auch vom Tresen aus die Songs ganz gut hören. Zunächst einmal diskutieren wir aber bei einem Radler über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Fußball! Warum unser RWE wieder nicht aufsteigt, die Bayern die Champions League wieder nicht gewinnen und mein BVB den Pokal holt.
Nebenan erklingen die ersten Töne von „Leuchtturm“. Und natürlich dürfen auch die Luftballons nicht fehlen. Der Song, mit dem Nena 1983 in den nationalen und internationalen Pop-Himmel schwebte. 32 Jahre später hat sie 25 Millionen Platten verkauft und unzählige Konzerte gegeben!
Das heutige im Rahmen ihrer Klubtour, die sie nur in ausgewählte, kleine Venues führt, mit denen sie „besondere Erinnerungen“ verbindet, neigt sich nach etwas mehr als zwei Stunden dem Ende entgegen.
Ulrike kommt ganz außer Puste in die Bar. Glücklich sieht sie aus. „Das Konzert war großartig“, sprudelt es aus ihr heraus. Die zwei mitgekommenen Freundinnen, bisherige Nicht-Nena-Fans, haben sich von ihrer Euphorie anstecken lassen. „Die Nähe zu Nena auf der Klubtour ist viel intimer als auf Großkonzerten. Das war wirklich etwas ganz Besonderes“, freut sich die Thüringerin über den gelungenen Abend, den ihr die beiden Freundinnen zum Geburtstag spendierten.
Für uns war es auch ein nicht alltäglicher Konzertbesuch, auch wenn wir nicht so nah dabei waren. Und wie ich dann so nach Hause radelte, ertappte ich mich doch tatsächlich dabei, wie ich den Takt von „Leuchtturm“ summe. „Ich geh mit dir, wohin du willst, auch bis ans Ende dieser Welt. Am Meer, am Strand, wo Sonne scheint, will ich mit dir alleine sein.“
Irgendwie, irgendwo, irgendwann ist sie eben immer noch cool. Und gar nicht Oldschool.
Fotos: Marco Fischer