„Für einen Tagesausflug mit Rückfahrgarantie“
Mit seinem aktuellen Album „Wer hat hier schlechte Laune“ wahrt Max Raabe die liebgewonnene Ästhetik der Weimarer Republik und die große Ausdruckskunst ihrer Sänger. Mit WEIMARER REpublik sprach der ausgebildete Bariton
und Leiter des Palast Orchesters über Nostalgie, ein Stück Streuselkuchen und das schönste Gefühl der Welt.
Herr Raabe, Sie singen meistens geistreiche und humorige Lieder aus den goldenen 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. War denn früher wirklich alles besser?
Früher war gar nichts besser, sondern vieles sehr viel schlechter. Uns geht’s doch heute im Großen und Ganzen gut. Ich bin kein rückwärtsgewandter Mensch, kein Nostalgiker. Unsere Shows sind nicht nostalgisch, ich trage kein Monokel und keinen Zylinder, unsere Violinistin keine Federboa auf dem Kopf. Es ist zeitlose Unterhaltung, und damit ist sie immer modern.
Hätten Sie vielleicht gern in der Zeit der Weimarer Republik gelebt?
Nein, und wenn, nur für einen Tagesausflug mit Rückfahrgarantie. Bei diesem Ausflug wäre ich neugierig durch die eleganten Lokale und Tanzpaläste der Weimarer Republik gestreift. Ich hätte mir die großen Orchester der Zeit angehört und ihre Sänger. Die Menschen auf den Boulevards beobachtet, die schönen Automobile. Aber das war eben nur eine Seite der Medaille.
Sie sind ein ausgebildeter Bariton. Wie haben Sie ausgerechnet diese deutsche Schlagerepoche für sich entdeckt?
Über den Plattenschrank meiner Eltern und in den 70er Jahren durch die Cartoons von Loriot im Fernsehen, die sehr oft mit Liedern der Comedian Harmonists unterlegt waren. Ich habe mir dann die Sachen draufgeschafft und bin mit dem Hochzeitszylinder meines Vaters auf dem Kopf bei Pfadfindertreffen und bunten Nachmittagen der Kirchengemeinde aufgetreten.
Wann haben Sie die erste Schellackplatte gehört, können Sie sich noch an das erste Lied erinnern? Was hat es bei Ihnen ausgelöst?
Das war eine Schellackplatte im Plattenschrank meiner Eltern: „Ich bin verrückt nach Hilde“, ein sehr wehmütiger, melancholischer und doch lustiger Foxtrott. Ab da wusste ich, was ich mal werden will: Sänger.
Die Texte haben Charme und Witz – sie versprühen aber auch viel Melancholie und vor allem Ironie. Was sagen sie uns heute?
Dass die Liebe das schönste Gefühl auf der Welt ist und Verlassenwerden immer wehtut. In der Weimarer Republik und heute. Wir haben rund 500 Titel im Repertoire und finden immer noch neue Schlager, die wir aufnehmen. Aber es wird langsam schwieriger, Material aus den 20er Jahren zu finden.
Mit dem Palast Orchester füllen Sie die größten Hallen Deutschlands und touren erfolgreich durch die ganze Welt. Hätten Sie sich das jemals träumen lassen, als Sie vor über 30 Jahren bei einem Studentenball in Berlin das erste Mal auf der Bühne standen?
Nein, niemals. Ich hatte damals keinen Masterplan für mein Leben im Kopf. Ich habe mein Studentenleben geliebt, war glücklich, mir mit ein paar Auftritten in Kneipen oder bei Bällen mein Studium finanzieren zu können. Nach dem Studium war es dann das Allertollste, dass ich den ganzen Tag lang nur Musik machen durfte und damit sogar meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Es hat sich alles sehr langsam bei uns entwickelt und aufeinander aufgebaut, dafür bin ich sehr dankbar. Dass wir dann irgendwann in der Carnegie Hall aufgetreten sind und was dies für uns bedeutet, habe ich eigentlich erst so richtig im Flieger auf dem Nachhauseweg realisiert und mir fünf Minuten Größenwahn geleistet. Ich find’s schön, meine Träume umsetzen zu können, mit tollen Menschen wie Annette Humpe, Peter Plate, Ulf Sommer und Achim Hagemann zusammenarbeiten zu dürfen. Mit diesen Künstlern kann ich eine musikalische Brücke von der Weimar Republik in die Gegenwart bauen.
Der Titelsong Ihres aktuellen Albums heißt „Wer hat hier schlechte Laune“. Hat Max Raabe nie schlechte Laune?
Manchmal schon, ja, aber dann rettet mich ein Stück Streuselkuchen.
Fotos: Gregor Hohenberg, Frédéric Batier X Filme Creative Pool GmbH
Text: Jens Hirsch