„Es geht um Grundvertrauen und Glaubwürdigkeit.“
Interview mit Hans-Georg Dorst, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Mittelthüringen, über die Gründe der Hyperinflation 1923 und die aktuelle „nicht normale Situation“.
Herr Dorst, wie erklären Sie als erfahrener Banker die Hyperinflation 1923? Wie konnte das passieren?
Das hatte verschiedene Gründe, die teilweise schon mehrere Jahre zurücklagen. Die Kosten des Ersten Weltkrieges wurden über Kredite finanziert, nach der militärischen Niederlage kamen die Lasten aus den Friedensverträgen dazu. Durch die einseitige Konzentration der Volkswirtschaft auf die Kriegsindustrie entstanden Engpässe in der Versorgung mit anderen Gütern, gepaart mit gesellschaftlichen Umbrüchen nach einer mehrere Jahrhunderte andauernden Monarchie. Und die internationale Solvenz der deutschen Währung war massiv beschädigt. In unserer Bankenwelt würde ich sagen: Der Kunde war Ende 1923 nicht mehr kreditwürdig. Im Kern ist Vertrauen verlorengegangen. Und eine Währung ist innerhalb eines gesellschaftlichen Gefüges ein wesentlicher Baustein, der neben allen finanztechnischen und wirtschaftlichen Dingen ganz stark auf Vertrauen aufbaut.
Apropos Vertrauen: Derzeit ist die Inflation in Deutschland mit 8,7 Prozent so hoch wie seit 1951 nicht mehr.
Sie ist aber weit weg von den Hyperinflationszahlen 1923. Durch die Corona-Pandemie kam es ab 2020 zu einer Unterbrechung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Um die Wirtschaft und besonders betroffene Gruppen zu unterstützen, senkten die Notenbanken massiv die Zinsen und erhöhten die Geldmengen. Zusätzlich wurden umfangreiche Unterstützungspakete durch die Staaten zur Verfügung gestellt. Dieses viele zusätzliche Geld traf aber auf eine Angebotsseite, die nicht von heute auf morgen in diesen Größenordnungen wachsen konnte. Das hat etwas mit Produktionskapazitäten und Lieferketten zu tun. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir schon vor der Energiekrise und den Auswirkungen des Ukraine-Krieges mit einer Inflationsrate von 4 bis 5 Prozent deutlich über dem Ziel von 2 bis 3 Prozent lagen. Das Problem ist offensichtlich grundsätzlicher. Es geht am Ende um Grundvertrauen und Glaubwürdigkeit.
Können Sie das Problem bitte erklären?
Inflation heißt nichts anderes als Kaufkraftverlust, und dieser ist aktuell zu hoch. Die Nachfrage war jahrelang zyklisch und viel zu niedrig, aufgrund der geschilderten Ereignisse explodierte sie dann. Die Folge: Preissteigerungen von 10 Prozent und mehr. Das fordern jetzt auch die Gewerkschaften an Lohnerhöhung. Einerseits verstehe ich das, andererseits steigt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale weiter an. Die Arbeitgeber werden das über Effizienzeffekte, aber natürlich auch über Preiserhöhungen abfedern. Und damit kann sich das Lohn-Preis-Niveau nicht normalisieren, was für ein Abdämpfen der Inflationsrate nicht hilfreich ist. Zudem führt eine länger andauernde hohe Inflation zu einem Vertrauensverlust in Bezug auf die Geldwährung, verbunden mit dem Verlust von Wertschöpfung, wirtschaftlicher Entwicklung und im schlimmsten Fall zu einer Destabilisierung des Systems.
Was wäre also hilfreich?
Es ging und geht nicht nur um Finanzen und Bankthemen, sondern es geht um Lebensentwürfe im Sinne einer stabilen gesellschaftlichen Entwicklung oder dem Gegenteil davon. Auch heute haben wir eine Situation, die nicht normal ist. Deshalb sind die wichtigsten Spieler neben Politik, Tarifpartnern und Marktteilnehmern die Notenbanken, die 2022 ihre expansive Geldpolitik beendeten und jetzt, wenn auch spät, die Zinsen deutlich angehoben haben. Das ist ein mittelfristiger Prozess, der auch seine Schattenseiten hat. Aber nur so sehe ich eine Chance, dass wir wieder in ruhigeres Fahrwasser mit 3 bis 4 Prozent Inflation zurückfinden. Wären die Zinsen nicht erhöht worden, hätte ich mich schon gefragt, ob die Verantwortlichen denn gar nichts gelernt haben aus den Ereignissen vor einhundert Jahren.
Und was raten Sie den „kleinen Sparern“ in der jetzigen Situation? Sollen die ihr Geld abheben und in den berühmten Sparstrumpf stecken?
Das ist keine sinnvolle Lösung. Die 5.000 Euro im Sparstrumpf verlieren genauso durch die Inflation an Wert. Das bedeutet, ich muss mich für meine langfristigen Sparziele selbst informieren oder eine qualifizierte Beratung in Anspruch nehmen. Ich empfehle neben dem Baustein Liquidität, mittel- und langfristige Anlagen breit anzulegen. Dazu gehören neben den klassischen Sparprodukten auch Sachwerte wie Immobilien oder Immobilienanteile und Unternehmensbeteiligungen, also auch Aktien.
Text. Jens Hirsch
Foto: Christopher Schmid