Das Licht aus der Ferne
Die Erfurter Fotografin Gundula Schulze Eldowy ist eine Künstlerin von internationalem Rang, für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist sie „eine Ausnahmekünstlerin“. Ihre sozialkritischen Bilder von der untergehenden DDR und der gleißenden Metropole New Yorks befinden sich in Sammlungen wie dem Museum of Modern Art in New York, dem LACMA in Los Angeles und der Bibliothèque Nationale in Paris.
Die Kunsthalle Erfurt zeigt vom 15. April bis 24. Juni 180 Fotografien aus ihrer Zeit in New York. Mit TOP THÜRINGEN sprach Gundula Schulze Eldowy, die in Peru und Berlin lebt, über ihre Heimatstadt, eine außergewöhnliche Freundschaft und ein Fest.
Frau Schulze Eldowy, Sie haben Ihre ersten 18 Lebensjahre in Erfurt verbracht. Welche Kindheitserlebnisse haben Sie besonders geprägt?
Wurzeln sind mir so wichtig. Ich hatte eine traumhafte Kindheit zwischen Hochheimer Straße, Luisenpark, Dreienbrunnenbad, ega und Steigerwald. Davon zehre ich noch heute. Gleichzeitig habe ich Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre erlebt, dass viele meiner Freunde wegziehen mussten, weil die Firmen ihrer Eltern verstaatlicht wurden. Das hat mich geprägt, später habe ich das auch in meinen Fotos der niedergehenden DDR-Industrie verarbeitet. Die meisten Fabriken, die ich fotografiert habe, gibt es heute gar nicht mehr.
Warum haben Sie 1972 Ihre Heimatstadt verlassen und sind nach Ostberlin gegangen?
Ich habe als Kind im Sommer abends immer auf unserem Balkon in der Hochheimer Straße gesessen und davon geträumt, in die Welt hinauszugehen. Meine Epoche in Erfurt war vorbei, das habe ich gespürt. Dieser kleinbürgerliche Standesdünkel in der Stadt, ich war 18, so ein Leben wollte ich nicht führen. Das fand ich langweilig. In Erfurt wäre ich auch keine Künstlerin geworden. In Ostberlin habe ich an der Fachschule für Werbung und Gestaltung studiert. Wenn ich heute so zurückblicke auf mein Leben, ist alles ganz logisch gewesen. Meine Kindheit war zwar wunderschön, aber ich habe nicht gewusst, was in der Welt passiert. Der Baum hätte aber auch nicht so hoch wachsen können, wenn die Wurzeln nicht so tief gewesen wären.
1977 haben Sie angefangen zu fotografieren. Gab es dafür einen bestimmten Auslöser?
Ja, ich bin Unter den Linden spazieren gegangen, am Neuen Museum vorbei. Da wurde gerade eine Ausstellung des amerikanischen Fotografen Paul Strand gezeigt. Diese unglaubliche Retrospektive seiner nüchtern-direkten Fotografie hat mich tief beeindruckt. Als ich wieder rauskam, war ich eine Fotografin! Zum ersten Mal hatte ich auch den Geist Amerikas kennengelernt. In Leipzig habe ich dann Fotografie studiert und 1984 angefangen, als freie Fotografin zu arbeiten.
Sie zeigten in Ihren ersten Bildern den Sozialismus in der DDR, wie es ihn offiziell gar nicht geben durfte: die ärmliche Welt von Arbeitern, kleinen Angestellten und Rentnern nördlich des Alexanderplatzes, im Scheunenviertel und am Prenzlauer Berg.
Berlin war damals noch sehr geprägt vom Zweiten Weltkrieg. Ich hatte davon ja keine Ahnung. Berlin, was ist hier passiert? Diese Frage hat mich bis heute bestimmt. Die Kriegsbürokratie saß in Berlin-Mitte, das hat mich interessiert. Ich habe dann angefangen, Überlebende zu fotografieren und zu interviewen. Bis 1990 habe ich in meiner Serie „Berlin. In einer Hundenacht.“ Berliner Urgesteine porträtiert. Heute ist Berlin für mich ein fortgewehter Ort, einer, dem der Wind der Wende die letzten Spuren des Milieus ausgetrieben hat, das ich so sehr liebte.
Gundula Schulze Eldowy, New York 1992 aus Spinning on my Heels
Gundula Schulze Eldowy, Papst in New York, 1990
Diese Bilder beeindruckten auch einen der bekanntesten Fotografen unserer Zeit, Robert Frank, der mit seinem Buch „The Americans“ 1958 die Ästhetik des Fotobuchs revolutionierte. Sie lernten sich im Juni 1985 in Ostberlin kennen. Der Beginn einer Seelenverwandtschaft.
Ich war sehr gut informiert über die sozialkritische amerikanische Fotografenszene um Diane Arbus, Paul Strand und Robert Frank. Ich war kein Fan von ihm, obwohl er zur glorreichen New Yorker Fotografen-Szene gehörte. Wir lagen aber auf der gleichen Wellenlänge. Es passiert so selten, dass zwei Künstler, die sehr individualistisch sind, gleichzeitig ins Herz des anderen schauen können und sich gegenseitig inspirieren. Wir haben uns von 1985 bis 1989 sehr persönliche Briefe geschrieben und ich habe ihm Fotografien von mir geschickt. Heute ist er 93 Jahre alt, seit seiner Retrospektive 1994 war ich nicht mehr in New York, wir haben uns aber insgesamt 20 Jahre geschrieben. Es war kein Wunder, dass ich 1990 bei ihm in New York gelandet bin.
Was die Staatssicherheit fast verhindert hätte.
Die letzten Jahre in der DDR waren unerträglich, ich hätte so nicht weiter machen können. Es bewegte sich nichts mehr, weder innerlich noch äußerlich. Die Starre ist das Vorstadium des Todes. Tag und Nacht wurde ich wegen meiner sozialkritischen Einstellung, meines Briefwechsels mit Robert Frank und meiner Bilder von der Stasi beobachtet. Im September ’89 war meine Verhaftung eine beschlossene Sache, es ging nur noch um den richtigen Moment. Meine besten Freunde hatten mich verraten. Doch dann fiel die Mauer. In dieser ganzen Zeit war Robert Frank aus der Ferne das einzige Licht, das ich hatte. Er hatte meine Begabung erkannt und hat mich auf Augenhöhe behandelt. Nach dem Mauerfall hatte ich keine Lust mehr auf den düsteren Osten und bin zu ihm nach New York gegangen.
War dieses New York nicht im wahrsten Sinne des Wortes für Sie ein Kulturschock?
Überhaupt nicht. Ich bin sehr gut aufgenommen wurden. Mir liegen die Stadt und der Menschenschlag. Wochenlang habe ich im Haus von Robert Frank gelebt. Sein Galerist Peter MacGill von PACE übergab mir gleich einen Scheck über 2000 Dollar, Allen Ginsberg hat mich eingeladen, vor seinen Studenten zu sprechen, die New York Times beauftragte mich, Robert Wilson zu fotografieren. Ich traf Bob Dylan, Donald Judd, Richard Alvedon, Henri Cartier-Bresson, Jim Goldberg, Gilles Peress, Peter Orlowsky, Cindy Sherman, Ann Mandelbaum und Wallace Shawn. Einige habe ich auch fotografiert.
Einer der Ersten, der eine meiner Fotografien aus New York kaufte, war 1991 Professor Paul Kleihues, der bedeutendste Architekt Westberlins. Als ich ihm das Bild in sein Büro brachte, gab er mir den Schlüssel zu seinem New Yorker Apartment am Gramercy Place, wo ich monatelang kostenlos wohnte. New York war ein Segen für mich, ich blieb bis 1993.
Ihre New Yorker Zeit ist auch Schwerpunkt Ihrer Ausstellung „Halt die Ohren steif!“ – Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy in New York – in der Kunsthalle Erfurt vom 15. April – 24. Juni 2018. Worauf dürfen sich die Betrachter freuen?
Der Briefwechsel zwischen Frank und mir ist das Herzstück. Bei einer Ausstellung in der Leipziger Spinnerei haben ihn vor Jahren zwei Schauspieler vorgetragen, die Menschen sind stumm herausgegangen. Ich habe beobachtet, wie ein Mann alles mitgeschrieben hat.
Ich fragte ihn: Warum? Es wird alles gesagt, was es in der Zeit vor dem Mauerfall zu sagen gibt, antwortete er. Dazu gibt es meine vier großen New Yorker Serien mit insgesamt 180 Fotografien zu sehen: „In einem Wind aus Sternenstaub“, „Halt die Ohren steif / KEEP A STIFF UPPER LIP“, „Spinning on my Heels“ und „Flügelschlag des Herzens“. Daneben wird Nonstop der Film „Diamantenstraße“ gezeigt.
Ihre teils jahrelangen Reisen nach der New Yorker Zeit führten Sie nach Ägypten, Russland, Japan, auf die Osterinseln und nach Südamerika, wo sie sechzehn Jahre lang die Anden durchquerten. Sie leben in Peru und Berlin. Ihre Bilder befinden sich in den berühmtesten Museen der Welt. Kommen Sie und Ihre Bilder jetzt nach Hause?
Ich war im Herbst 2016 auf der Durchreise in Erfurt bei einer Schulfreundin in der Klingenstraße zu Besuch. Professor Kai-Uwe Schierz (Anm. d. Red.: der Direktor der Kunstmuseen Erfurt) wohnt in der Nachbarschaft, wir hatten uns bei verschiedenen Ausstellungen kennengelernt. Ich rief ihn an, so entstand die Idee für die jetzige Ausstellung. Ich bin ihm und meiner Heimatstadt dankbar, dass sie mir meine größte Einzelausstellung ermöglicht haben. Dadurch wurde ich gezwungen, in mein Archiv zu schauen und diese ungeheure Arbeit auf mich zu nehmen, denn ich hatte meine Wurzeln vergessen, woher ich komme, ich hatte New York vergessen. Ich widme mich nur noch der Gegenwart, nicht der Vergangenheit.
Ich bin auch nicht mehr in der Lage, in einer Stadt zu leben. Während meiner Reisen durch Südamerika habe ich ein völlig neues Bewusstsein, ein neues Weltbild erlangt. Und jetzt komme ich nach Hause und werde meine alten Schulkameraden sehen, Führungen machen, durch meine Kindheit spazieren. Es wird ein Fest.
Frau Schulze Eldowy, vielen Dank für das Gespräch.
TOP Service:
www.berlin-ineinerhundenacht.de
Text: Jens Hirsch