Ein Universum aus Nichtsen

Er war Pianist, Opernkritiker, „MAD“-Chefredakteur, Schauspieler und Fernsehmacher. Er ist Grimme-Preisträger, hat einen „Bambi“ im Schrank und die Comedy-Ehrenpreis-Trophäe. Und er ist Autor zahlreicher Bücher. Herbert Feuerstein.

Mit seinem aktuellen Werk „Die neun Leben des Herrn F.: Autobiografie“ blickt der 1937 im Bahnhofsgebäude des österreichischen Wintersportorts Zell am See geborene Kosmopolit zurück und nach vorn.

TOP sprach mit dem 77-Jährigen vor seinem Auftritt bei der Erfurter Herbstlese am 11. November im IBB Hotel hinter der Krämerbrücke über

Gärtner, eine Feindschaft und die Weltformel.

Herr Feuerstein, schön, Sie wieder einmal in Erfurt begrüßen zu dürfen.

Ja, für die Herbstlese bin ich das zweite Mal in Erfurt, ich war aber schon mehrmals hier, auch im Theater bei einer Musikveranstaltung, die ich moderierte. Mir ist die Stadt vertraut, das Hotel natürlich auch. Das einzig Fremde sind Sie.

 

Wir wären uns vermutlich auch gänzlich fremd geblieben, wenn nicht am 9.11. vor 25 Jahren die Mauer gefallen wäre. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

Sehen Sie, ich war so weit weg vom Schuss, damals war ich noch Österreicher, deshalb war das für mich nicht so ein emotionales Erlebnis. Wobei ich meine jetzige Frau, die aus dem Osten stammt, natürlich nur bei ihrem Praktikum beim WDR kennenlernen konnte, weil die Mauer gefallen ist. Näher gekommen sind wir uns dann bei einem Gastspiel in Leipzig. Deshalb ist Leipzig die Stadt für mich, die ich mit dem Osten verbinde. Bei meinen Lesereisen habe ich lange den Osten bevorzugt, zum Beispiel Quedlinburg entdeckt und eine wunderbare Konzertverbindung zu Weimar aufgebaut. Der 9. November 1989 fehlt mir allerdings komplett, ich müsste in meinem Kalender nachschauen, wenn da keine Veranstaltung war, weiß ich nicht, wo ich gewesen bin.

 

Dennoch waren Sie anscheinend so euphorisiert vom einig Vaterland, dass Sie alsbald die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen.

1992 habe ich meine Staatsbürgerschaft gewechselt, nicht aus Nationalismus, ich bin Kosmopolit und habe lange im Ausland gelebt. Das hatte praktische Gründe. Für alle möglichen Länder, in die ich von Österreich aus reisen wollte, brauchte man noch ein Visum. In Deutschland war das nicht so, leider musste man damals aber seine alte Staatsbürgerschaft zurückgeben. Also bin ich seitdem nur Deutscher, das hat für mich aber keinerlei Bedeutung. Ich weiß, dass man aus Zufall irgendwo ins Leben hineingeschmissen wird.

 

Merken Sie heute noch Unterschiede bei den Menschen in Ost und West?

Bei den Lesungen am allerwenigsten. Es gibt regionale Unterschiede, Gegenden, da versteckt man sich zum Lachen, es gibt Momente, wo das Publikum fast eingeschüchtert wirkt. Und es gibt Gegenden, wo die Leute sehr aufgeschlossen und locker sind. Das hat aber mit Ost oder West überhaupt nichts zu tun. Man hat eher immer noch Vorurteile, aber das ist nichts Sachliches. Meine Schwiegereltern leben tief im Osten und haben natürlich eine ganz andere Auffassung von den Sachen. Ich bin ihnen sehr dankbar und lerne viel von ihnen. Das sind vor allem die besten Gärtner der Welt, die Ossis haben alle Datschen, wo sie aufgewachsen sind und alles züchten. Mein Schwiegervater hat, glaube ich, sämtliche Bäume und Obstsorten der Welt, das gedeiht dort alles. Das haben die alles mit Leib und Seele gemacht, das ist mir immer positiv aufgefallen.

 

Sie blicken in Ihrem aktuellen Buch zurück auf Ihr Leben und sogar im letzten Kapitel auf das Nachleben. Haben Sie alle neun Leben mit Leib und Seele geführt?

Nein, das kann man so nicht sagen, es gibt wirklich die verschiedensten Phasen, die reichen von Existenzangst bis Neubeginn, nicht nur einmal, sondern öfter im Leben, bis hin zu Dingen, die ich vielleicht nicht so wahnsinnig gern gemacht habe, die aber dann sehr prägend waren, wie meine Fernsehzeit.

 

Die meisten Menschen verbinden Ihr Fernsehleben hauptsächlich mit „Schmidteinander“.

Weil das eine sehr kreative Sendung war, das war ein Glücksfall und hat sehr viel Freude gemacht. Es hat mir auch in vielerlei Hinsicht geholfen, aber es gab ja auch noch andere Sendungen wie „Pssst“, „Genial daneben“, „Was bin ich?“ und Filmrollen.

 

Stimmt es, dass Sie mit Harald Schmidt damals eine Art Feindschaft pflegten?

Das war die leichtere Rolle, ich habe sie mir selbst geschrieben. Das Angenehme mit Schmidt war, dass wir ein ähnliches Humorverständnis hatten, wir mussten fast nichts proben. Ich bin auch nicht gut als Schauspieler, wenn ich mir etwas erarbeiten muss, da komme ich nicht rein. Wenn man mich aber machen lässt, sind manchmal ein paar gute Momente dabei. Schmidt fühlt sich als Vollblutschauspieler, er hat eine enorme Erfahrung, auch im Theater. Ich war für ihn der Laie, aber es war eine gute Schule und ich habe sehr viel gelernt und bin dankbar. Ohne Schmidt wäre vieles sicher ganz anders gelaufen. Ich habe mich nur deshalb nicht wohlgefühlt, weil ich Sehnsucht nach dieser alten Brücke hatte, ich habe Musik studiert, und im neunten Leben bin ich auch wieder dahin zurückgekommen. Das ist mir persönlich wichtig.

 

Das wissen viele Menschen gar nicht, dass Sie ein ausgebildeter Musiker sind. Für die meisten sind Sie ein Komiker, dabei können Sie viel mehr.

Nein, nein, es geht nicht ums Können. Das ist nichts Böses, nur als Komiker wahrgenommen zu werden. Die Tatsache, dass das Fernsehen einen Vervielfältigungsfaktor hat, der jeden Quatsch auf eine Millionenzahl hochprojiziert, bringt das Ganze in ein schiefes Licht. Und es ist ganz selbstverständlich, dass man sich vom Fernsehen so viel mehr merkt, das ist ein Teil unserer Kultur. Das wird sich aber im Zeitalter des Internets alles ändern, es ist eine Kulturrevolution, die unser ganzes Leben betrifft. Ich bin erleichtert, dass ich den wesentlichen Teil meines Lebens hinter mir habe.

Was ist für Sie Humor?

Damit kann man einen Haufen Geld verdienen, könnte ich ganz salopp sagen. Für mich war Humor immer eine Art Selbstverteidigung, schon als Kind war es mein Schutz, meine Maske, auch später noch mit meinem Marionettentheater. Deswegen habe ich mich auch in meiner 22-jährigen Hauptarbeitszeit bei der Zeitschrift „MAD“ sehr wohlgefühlt, weil das genau das war, was ich gerne vermittle: Dass man ein Nichts ist in einem Universum von Nichtsen und rundherum ist auch nichts. Dass man sich schon aus diesem Grund nicht ernst nehmen darf.

 

Sie nehmen sich nicht ernst?

Ja, in jeder Hinsicht, vom Atheismus bis zur Selbstbestimmung des Todes. Es ist mein Leben, ich will darüber alleine entscheiden.

 

Ist Ihr Buch ein Fazit?

Sicher. Ich glaube nicht, dass da noch so viel dazukommt, allein schon aus Gründen der Lebenserwartung. Ich habe wie alle Menschen meines Alters natürlich die Angst, dass man irgendwann die Kontrolle über sich verliert. Aber das Buch ist kein Lebensfazit, das ist mir zu hochgestochen, ich bin kein Forscher, der irgendetwas entdeckt hat in seinem Leben. Ich habe in allen Bereichen meine Neugier befriedigt, habe immer wieder etwas Neues angefangen, bis es zu Ende war. Ich hänge nicht an einzelnen Dingen.

 

Auch nicht an Ihrem Haus in der Eifel, sind Sie dort nicht endlich angekommen?

Nein, man kommt nicht an. Ich habe dort aber zum Beispiel entdeckt, dass das Gärtnern, die Bewegung draußen, auch der heftige Kampf gegen den Efeu und andere Gewächse, die meine schönen Blaufichten umbringen wollen, dass das körperlich sehr gut ist. Ich hatte lange Zeit böse Rückenprobleme, das ist alles wie weggeblasen, seit ich mich verrückt mache im Kampf gegen Efeu. Also ich kann nur allen raten, soweit das übertragbar ist: Lasst euch ein paar Jahre von Efeu überwuchern und dann bekämpft es.

 

Aber geht das ständige Bücken im Garten nicht auch auf den Rücken?

Dafür gibt es ja die gesunde Arbeitsteilung in der Ehe, die Frau bückt sich und ich säge und reche. Ich mache die Sachen, die mich nicht unbedingt am Boden rumkriechen lassen.

 

Und wenn der Efeu besiegt ist, was machen Sie dann?

Ich möchte `mei Ruah`, wie man in Österreich sagt. Einfach gelassener werden, nicht mit zwielichtigen Ängsten und Depressionen kämpfen. Aber das sind Dinge, die kann man nicht ändern. Ich bin in eine Lebensrolle reingeschlüpft, man denkt viel nach über das, was man Selbstbestimmung nennt, ob man überhaupt selbstbestimmt ist. Jeder Hirnforscher weiß, motorische Entscheidungen trifft das Hirn bereits, bevor man sie ausführt, da ist schon alles beschlossen. Ich gehöre auch zu den Leuten, die eher zimperlich werden, wenn es um Straftäter geht, weil ich das Gefühl habe, dass die gar nichts dafür können. Man ist irgendwo vorbestimmt, man hat seine Schattenseiten, und wenn man denen ausgeliefert ist, ist man vielleicht machtlos. Natürlich braucht man Ethik, Moral, Polizei und Gerichte. Aber ich zweifele sehr, das liegt auch daran, dass ich keine Glaubensgrundlage habe. Glaube ist für mich sowieso der blanke Horror, weil der nur Schaden anrichtet.

 

An was glauben Sie dann?

An nichts, ich glaube, dass man durchs Leben muss und dass man nicht wichtig ist. Was ist denn ein Leben von 70, 80 Jahren im Vergleich zum Universum?

 

Warum sind wir dann hier?

Das müssen Sie mit der Religion ausmachen.

 

Ich bin nicht gläubig.

Dann können Sie auch die Frage nicht beantworten. Man muss imstande sein zu sagen, es gibt Grenzen des Wissens. Wir sind nun einmal dreidimensionale Wesen, haben nicht einmal eine vierte Dimension für die Zeit und haben weitere elf Dimensionen nicht, um die Weltformel herzustellen, die aber auch nur aus Spekulation besteht. Ich sage den Leuten immer, versucht doch mal eine Gleichung der höheren Mathematik zu lösen, da wird man sofort daran scheitern und deswegen ist es absolut müssig und sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen.

 

Sie scheinen aber genau das zu tun.

Naja, ich halte große Vorträge vor meiner Frau, die sich das geduldig anhören muss, über die berühmte Weltformel und die elf möglichen Dimensionen. Nicht, dass ich daran glaube, aber ich erzähle das einfach, wie so oft. Es klingt gut, aber ich weiß es eben nicht. Es ist dieses absolute Nichtwissen eines armseligen Menschen. Wir haben 92 Prozent unseres Genmaterials von den Schimpansen, da ist der Abstand nicht so riesig. Wir bringen uns gegenseitig um mit einer unglaublichen Lust, wir missbrauchen die Religion dafür, um Leuten die Köpfe abzuschneiden. Das sind die Dinge, die mir das Welträtsel umso größer und unverständlicher machen. Dass dahinter ein lieber Gott stehen könnte, der so etwas macht, das wäre ja wohl eine Frechheit und ein Zynismus gegenüber dem lieben Gott selbst.

 

Also werden wir uns irgendwann selbst ausrotten?

Ich glaube schon. Es wird den Endkampf um die Ressourcen geben, jeder, der heute geboren wird …, da habe ich schon meine Bedenken.

 

Mein Sohn wird ein Jahr alt.

Tut mir leid, aber das sind nun mal die Ängste von alten Leuten, die dürfen Sie nicht auf sich übertragen. Man weiß es nicht, es gibt immer etwas, was irgendwo hinführt. Vielleicht gibt es Inseln der Glückseligen, vielleicht kommt die große Vernunft über uns, vielleicht lässt sich der Klimawandel stoppen, vielleicht, vielleicht, vielleicht. Aber ich kann nur aus der Warte dessen, der es hinter sich hat, reden. Es tut mir leid, wenn ich so düstere Prophezeiungen mache, Ihr kleiner Sohn kann ja nichts dafür.

 

Statt des ständigen Grübelns sollte man sich doch lieber über die kleinen Freuden des Lebens freuen, oder?

Was soll ich dazu sagen, wenn Sie Pech haben, landen Sie auch in der Grunddepression, die mein Leben prägt, wenn Sie Glück haben, nicht. Frauen sind ein Stabilisator in solchen Dingen. Ich habe sehr viel Halt bei meiner gefunden, obwohl es eine Dritte brauchte, bis ich zur Ruhe gekommen bin. Frauen sind realistischer – und damit auch vernünftiger.

 

Das ist der Mutterinstinkt.

Kann sein, das zählt bei mir aber nicht, weil ich eine sehr komische Mutter hatte.

So, haben wir es jetzt? Ich muss zur Lesung. Wenn Sie zufrieden sind und schöne Fotos haben, bin ich es auch. Und nehmen Sie das ja nicht ernst, was ich alles gesagt habe.

 

Mache ich. Herr Feuerstein, vielen Dank für das Gespräch.

 

Fotos: Marcel Krummrich