Die einzige Wahrheit

 

Joana Mallwitz ist eine der wenigen weiblichen Generalmusikdirektorinnen Deutschlands, zudem mit 28 Jahren die Jüngste. Darüber möchte die Norddeutsche, die seit 2014 am Theater Erfurt die musikalische Leitung innehat, aber genau so wenig sprechen, wie darüber, dass Sie bereits zahlreiche Preise gewann und mit gerade einmal 19 Jahren ihre gefeierte Opern-Premiere als Dirigentin gab.

Joana Mallwitz möchte viel lieber über das sprechen, was ihr Leben bestimmt. Musik! Mozart! Ihr Orchester! Und aktuell „Don Giovanni“.

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November 2015, es ist kurz vor 19.30 Uhr. Mozarts Meisterwerk „Don Giovanni“, die Oper aller Opern, wie sie oft genannt wird, steht im Theater Erfurt auf dem Programm. Ausverkauftes Haus. Gespanntes Rumoren im Saal. Joana Mallwitz wird das nicht hören, sie ist jetzt ganz bei sich. Im Graben. „Das ist eine Art Fokussierung und Konzentration. Aber gleichzeitig auch eine Art von Befreiung, weil ich weiß, wenn ich aufs Pult steige, ist alles andere vergessen.“

„Mozart“, sagt sie, „ist ihr heilig“, sie muss sich ihr ganzes Leben mit ihm beschäftigen, immer wieder studieren und spielen. Denn Mozart „ist das Schwerste, weil man nichts verstecken kann. Mozart ist fein und transparent, alles ist bloß gelegt. Man ist gezwungen, sich völlig zu öffnen, ehrlich zu musizieren, man muss sich aufeinander einlassen. Das ist nicht bei jeder Musik so.“

Mozart ist ihre Sprache, sie ist für sie „ein Stück Menschlichkeit“.

 

„Don Giovanni“, die große Ensembleoper, hat Joana Mallwitz bereits mehrfach dirigiert. Sie hat sich intensiv mit dem Stück befasst, um seinem Geheimnis auf die Spur zu kommen. „Es gibt etwas, was sich selbstständig macht an einem Kunstwerk, das von jedem anders wahrgenommen wird und auch jedes Mal wieder neu ist.“ Und es gibt immer einen Aspekt von der Musik, der über das hinausgeht, was der Komponist damals wissen konnte. Deshalb befragt sie jede einzelne Note, was bei Mozart nicht viel ist, weil er nicht alles reinschreibt, was er haben will. „Wenn ich „Don Giovanni“ aufschlage und nur das spiele, was da steht, das kann es nicht sein. Das ist nicht der Zauber der Musik, man muss das richtige Tempo, was er fordert, kennen. Es gab damals bestimmte Tänze, Gangarten und Parameter, wie man musiziert, was man aber heute nicht mehr so macht. Das muss man wissen. Natürlich zweifele ich auch immer ein bisschen, wenn ich aber dirigiere, muss das in diesem Moment die einzige Wahrheit für mich sein, sonst kann ich es nicht rüberbringen.“

 

Der Vorhang hebt sich. Joana Mallwitz hebt die Arme, in der rechten Hand ihr Dirigierstock. „Wenn ich anfange zu dirigieren, gibt es kein vorher und kein nachher. Es gibt nur jetzt. Man ist die ganze Zeit wie auf einer Schiene, das ist vielleicht auch das, was viele Menschen in der Meditation oder bei Extremerfahrungen suchen. Das ist das, was beim Musikmachen und beim Dirigieren passiert. Wenn die Vorstellung läuft, dann läuft sie. Man kann es nicht mehr aufhalten, es gibt keine zweite Chance zum Korrigieren“, erklärt die 28-Jährige.

 

1. Akt

 

Der Diener Leporello hält Wache vor dem Haus, in das Don Giovanni geschlichen ist, um Donna Anna zu verführen, die Verlobte von Ottavio. Donna Anna und Don Giovanni kommen auf die Bühne, etwas ist passiert. Sie will den Davoneilenden aufhalten, will wissen, wer er ist, und schreit um Hilfe. Als ihr Vater, der Komtur, erscheint, rennt sie ins Haus. Der Komtur erzwingt ein Duell und wird von Don Giovanni erstochen, der unerkannt geblieben ist. Anna entdeckt den toten Vater, ist bestürzt, und Ottavio schwört Rache.

 

Die Mutter spielt ein wenig Klavier, die allerersten Tastengriffe bringt sie ihrer Tochter zuhause bei. Da ist Joana Mallwitz drei Jahre alt. Mit fünf lernt sie es richtig in einer Musikschule, dazu Geige. „Da fing das dann“, erinnert sie sich, „sich zu verselbstständigen“. Sie wächst hinein in diese Musikerwelt, nimmt an Wettbewerben teil, gewinnt so manchen. Eigentlich wollte sie ja nicht Pianistin werden, sondern Ärztin, Müllmann, Bauer, Englischlehrer. Das ändert sich schlagartig, als sie mit Zwölf in Hannover einen neuen Studiengang zur Früh-Förderung von musikalisch begabten Kindern besucht. Sie lernt in sechs Semestern nicht nur Instrumentalisches, sondern auch viel über Musikgeschichte, Theorie, Gehörbildung, das Lesen einer Partitur, Komposition. Das kannte sie noch nicht, sie war bis dahin auch noch nicht in der Oper. Jetzt hört sie Schuberts Unvollendete, entdeckt Mozart, Stravinsky…„Da hat es das erste Mal bei mir Peng gemacht und ich wusste, ich muss irgendein Beruf finden, bei dem ich mich mein ganzes Leben lang mit diesen Noten beschäftigen kann.“ Sie fragt sich: Wie macht man diese Musik? Sie war kein Orchestermusiker, hat keine schöne Opernstimme, deshalb musste es das Dirigieren sein. Sie wollte „diese Stücker selber machen können und mit anderen Menschen gemeinsam zum Klingen bringen.“ Natürlich wusste sie noch nicht wie das geht, aber seitdem gab es auch keinen anderen Berufswunsch mehr.

Sie studiert das Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. 2006 erhält sie ihr erstes Festengagement als Solorepetitorin mit Dirigierverpflichtung am Theater Heidelberg. Im selben Jahr erregt ihr kurzfristig übernommenes Dirigat der Premierenvorstellung von Puccinis „Madame Butterfly“ große Aufmerksamkeit. Sie ist 19.

Von 2007 bis Sommer 2011 arbeitet sie als zweite Kapellmeisterin und Assistentin des Generalmusikdirektors und leitet Repertoirevorstellungen, Wiederaufnahmen, Premieren und Symphoniekonzerte.

Gastengagements führen Joana Mallwitz nach Wien, Kopenhagen, Hildesheim, Hamburg. 2009 erhält sie für ihr Dirigat von Brittens „Die Jünglinge im Feuerofen“ am Theater Heidelberg eine Nominierung als “Dirigentin des Jahres”.

2. Akt

 

Für Don Giovanni, den legendären Verführer, der bis dahin keinen Misserfolg zu kennen schien, beginnt eine Reihe von Niederlagen. Zudem steht ihm mit Anna, ihrem Verlobten Ottavio, der von Giovanni verlassenen Elvira und Masetto, dem Bräutigam der vom ihm umworbenen Zerlina, eine Koalition von Gegnern gegenüber. Giovanni wird vom Handelnden zum Gehetzten, dem schließlich der Geist des getöteten Komturs seiner Strafe zuführt.

 

Als Joana Mallwitz im März 2013 in Riga ihr erstes “Rheingold” dirigiert, bekommt sie eine SMS aus Erfurt. Vom Generalintendanten Guy Montavon. „Wir möchten Sie ab der Spielzeit 2014/15 als neue Generalmusikdirektorin haben“, stand da sinngemäß. Sie muss schon etwas länger überlegen, es ist ja eine langfristige Entscheidung. Als sie aber hört, dass sich das Orchester für sie ausgesprochen hat, ist ihr klar, „gut, dann komme ich“. Sonst hätte sie es nicht gemacht. „Natürlich ist so eine Stelle für mich perfekt, aber es muss auch passen.“ Und es passt, mit Herrn Montavon, dem Programm des Hauses und vor allem mit dem Orchester.

 

Sie kennen sich jetzt etwas länger als ein Jahr, das Orchester und sie. Sie macht sich viele Gedanken, es ist ja das erste Mal, dass sie als Chefin so lange mit einem Orchester in die Zukunft arbeitet. Die gemeinsamen Proben sind ihr deshalb sehr wichtig, wie auch ihre Gastdirigate, um von anderen Klangkörpern und Häusern zu lernen und Inspirationen zu bekommen. Sie wissen, woran sie langfristig arbeiten müssen und wollen. „Das merkt man schon nach einiger Zeit, gerade wenn man so ein vielseitiges Repertoire spielt wie wir in Erfurt, von ganz alt bis neu.“

Ein perfektes Zusammenspiel kann es aber nicht geben. „Dann wäre es ja aus, dann müsste man das ja immer nur wiederholen. Aber es gibt Momente, die so schön sind, dass man ohne diese nicht mehr kann. Diese Momente spürt auch das Publikum, das passiert aber nicht jeden Abend. Wer das erlebt, der geht immer wieder in die Oper und sucht diesen Moment.“

 

Dafür muss die Kommunikation mit den Musikern stimmen, denn darum geht es beim Dirigieren. Aber wie funktioniert das? Für Joana Mallwitz gibt es in der Berufswelt „keine direktere Art mit jemandem zu kommunizieren. Alles Wesentliche, was zwischen dem Orchester und mir passiert, entsteht nur, wenn ich die Klappe halte und über meine Körpersprache interagiere. Natürlich muss man das proben und erklären.“ Sie möchte die Leute mitnehmen, dass ihre eigene Idee vom Stück die Idee aller wird. Es gibt natürlich auch Grundregeln beim Dirigieren, wie man sich verständigt, gerade, wenn man Opern dirigiert. „Aber das Eigentliche, worum es wirklich geht“, weiß Joana Mallwitz, „ist das, was man nie so richtig erklären kann“. Viel passiert unbewusst. Bewegt man sich schnell, zackig, weich…was macht man mit dem Gesicht, mit dem Händen? „Jeder gute Dirigent hat etwas, mit dem er das Orchester packt.“ Sie hat lange in sich hineingehorcht um die richtige Balance zu finden. „Ich mache körperlich nur das notwendigste, die Noten stehen ja da, da muss ich nicht Herumtanzen oder Grimassen machen.“ Für sie ist der Dirigent sowohl Mitspieler als auch Gegenpool zum Orchester, „weil ansonsten keine Resonanz entsteht. Die Energie, das Wissen und die Erfahrung der Musiker dürfen nicht ins Leere gehen. Es kommt einem ein Gegenwind, ein Auftrieb entgegen, den lenkt man. Ich merke genau, wenn wir auf einer Wellenlänge sind, Musiker, Sänger und ich. Für mich sind diese Momente wie ein kleines Wunder.“ Und danach ist sie süchtig.

 

Nach knapp drei Stunden fällt der Vorhang für Don Giovanni. Tosender Applaus, Bravo-Rufe. Vielleicht gab es an diesem Abend für Joana Mallwitz wieder einen dieser Momente.

 

Fotos: Marco Fischer