Dem Himmel so nah, der Freiheit so fern
Pema ist Managerin des Kathmandu View Hotels in Nepals Hauptstadt. Geboren wurde sie in der Nähe von Simikot. Ihre Großeltern sind aus Tibet geflohen, von ihren Eltern hat sie die Sprache, die Kultur und die Tänze ihrer Vorfahren gelernt. Immer, wenn Touristen nach einer Tibetreise in das Hotel kommen, erkundigt sich die 31-Jährige, wie es ihnen gefallen hat. Sie freue sich darüber, „dass so viele Menschen aus der ganzen Welt nach Tibet reisen“. Wie auch ich. Am Morgen bin ich von einer zehntägigen Reise vom Dach der Welt nach Kathmandu zurückgekommen, dem Ausgangspunkt meiner Reise. Morgen geht es wieder nach Deutschland. Vorher erzähle ich Pema aber noch etwas über „ihr“ Tibet, wie ich es erlebt habe.
Die Nacht ist sternenklar, es ist kurz vor Mitternacht und die Lichter Kathmandus flackern durch das Tal der Könige. Pema tanzt in ihrem blauen Kleid auf der Dachterrasse. Sie strahlt, sie singt, klatscht in die Hände, sie lacht. Das tibetische Volkslied „Chongpon yatog sher red“ erzählt von reichen Leuten, die Gold haben, die Armen haben dagegen nur Silber, die Reichen haben Pferde, die Armen nicht. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Aber sie sind immer füreinander da, erzählt das Lied weiter. Sie brauchen sich, sie tanzen und leben zusammen…„Das friedliche Miteinander“, sagt Pema, „das ist unsere tibetische Kultur.“
Pema ist Managerin des Kathmandu View Hotels in Nepals Hauptstadt. Geboren wurde sie in den Bergen, in der Nähe von Simikot. Ihre Großeltern sind aus Tibet geflohen, von ihren Eltern hat sie die Sprache, die Kultur und die Tänze ihrer Vorfahren gelernt. Immer, wenn Touristen nach einer Tibetreise in das Hotel kommen, erkundigt sich die 31-Jährige, wie es ihnen gefallen hat. Sie freue sich darüber, sagt sie in gutem Deutsch, „dass so viele Menschen aus der ganzen Welt nach Tibet reisen“.
Wie auch ich. Am Morgen bin ich von einer zehntägigen Reise vom Dach der Welt nach Kathmandu zurückgekommen, dem Ausgangspunkt meiner Reise. Morgen geht es wieder nach Deutschland. Vorher erzähle ich Pema aber noch etwas über „ihr“ Tibet, wie ich es erlebt habe.
Es tauchte einfach vor mir auf, am blauen Horizont. Mit schneebedeckten Bergen, in Wolken gehüllt, sonnengeflutet. Die Anstrengungen des gerade erklommenen 4.620 Meter hohen Himalaya-Passes Nara La waren vergessen. Höher bin ich noch nie hinausgekommen, das sollte sich alsbald ändern. Jetzt setzte ich mich erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes auf den höchsten Gebirgszug der Welt und blickte gen Norden. Es war still, nur das Flattern der Gebetsfahnen war zu hören. Da ist es also, das sagenumwobene Land des Schneelöwen. Tibet, wie es die Mongolen einst nannten. Für die Chinesen heißt es seit 1965 „Verwaltungseinheit der Volksrepublik China“. Seit Heinrich Harrers Buch „Sieben Jahre in Tibet“, dem gleichnamigen Film und vielen Dokumentationen bin ich fasziniert von diesem Land, seinen Menschen und ihrer Kultur. Und erschüttert über das Leid, was das kleine Volk in dem riesigen Land ertragen musste und noch immer erträgt.
Über die „Freundschaftsbrücke“ überquere ich mit den anderen Mitgliedern der Diamir-Reisegruppe den Grenzfluss zwischen Nepal und Tibet. „Welcome to China“ sind die ersten Worte, die ich auf tibetischen Boden höre. Ich sage nichts, schaue dem freundlich dreinblickenden chinesischen Offizier in die Augen. Er vergleicht mein Augenpaar mit dem biometrischen Paar auf dem Visaantrag. Ich verkneife mir das tibetische „Dashi Delek“, das so viel wie „guten Tag“ heißt. Mit vier Jeeps und einem tibetischen Guide fahren wir nach der Gepäckkontrolle nach Purang, wo wir als Erstes vor dem Hotel unsere klammen Wandersachen in die Sonne hängen. Drei Tage Regen während unseres 5-tägigen Nepal-Himalaya-Trekkings haben ihre Spuren hinterlassen. In Tibet kann uns das nicht passieren, schließlich scheint hier die Sonne so lange wie nirgendwo anders auf der Welt, und man ist ihr auch nirgendwo anders so nah: 4.600 Meter, das ist die durchschnittliche Höhe des Schneelands. Die merken wir Flachland-Europäer auch bei jedem Schritt und mit jedem Atemzug. Alles geht ein wenig langsamer, nur das Herz schlägt schneller. Das kann aber auch an der Aufregung liegen, denn am nächsten Tag sollen wir IHN von Weiten bereits sehen. Den Kailash, den heiligen Berg. Für die Tibeter heißt er „Kang Ringpoche“ – Schneejuwel. Der 6.656 Meter hohe Gipfel darf nicht bestiegen, aber umrundet werden. Das sollte jeder Buddhist mindestens einmal in seinem Leben getan haben. Ich bin kein Buddhist, auch kein Hindu oder Anhänger der Bön-Religion, für die der Berg auch heilig ist, aber ich kann es trotzdem kaum erwarten, auf dem jahrtausendalten Pfad zu wandern. 48,5 Kilometer, 1.305 Höhenmeter, zelten auf über 5.000 Meter, Überquerung des 5.644 Meter hohen Drölma La-Passes. Das alte Leben zurücklassen, ein neues beginnen – wie es die Legende erzählt. Alles in drei Tagen.
Auf dem Weg zum Ausgangspunkt der Kora, wie die Tibeter die Umrundung nennen, fahren wir vorbei an wilden Yakherden, endlosen Bergketten mit namenlosen Riesen (erst ab 6.000 Meter bekommt ein Berg einen Namen!), an der 7.728 Meter hohen Gurla Mandata und an weitläufigen Steppen. Wir zelten am heiligen Manasarova See, in den Mahatma Gandhi seine Asche streuen ließ, und besuchen Jahrhunderte alte Klöster. Dann sehen wir IHN. Seine Schneespitze erhebt sich am Horizont. Majestätisch. Wir fahren direkt auf ihn zu.
Am 22. September um 11 Uhr beginnen wir im Städtchen Darchen unsere Kora. Die 12 Yaks, die unser Gepäck, die Zelte und den Proviant tragen, sind schon längst unterwegs. Zum ersten Camp. Noch 19 Kilometer. Es ist angenehm warm, um die 20 Grad, die Sonne scheint. Die tibetischen Pilgerfamilien, die wir unterwegs treffen, lächeln und tuscheln untereinander, wenn sie uns Outdoor-Profis mit unseren Gore-Tex-Schuhen, Gore-Tex-Pro-Shell-Regenhosen, Windstopper-Vesten, Softshell-Jacken und UV/UVA-Sonnenbrillen sehen. Sie überholen uns mit ihren ausgetretenen Turnschuhen mühelos. Tibeter umrunden den Kailash übrigens in 16 Stunden! Am Stück! Nach acht Stunden erreiche ich Camp 1 auf 5.077 Meter Höhe. Es weht ein kräftiger Wind, ich bin müde und meine Blasen an den Füßen reiben, trotz Stretch-Funktionssocken. Der Anblick der Kailash-Nordwand, die direkt gegenüber von unserem Camp emporragt, entschädigt. Dennoch brummt mein Kopf. Die Höhe. Nach dem Abendmahl im Essenszelt verschwinde ich ganz schnell in meinen Minus-10-Grad-Celsius-Comfort-Schlafsack und schlafe ganz schnell ein. Die Eisschicht auf dem Zelt am nächsten Morgen erzählt von einer kalten Nacht. „Minus fünf Grad“, bestätigt unser Diamir-Reiseleiter Steffen Schöley. Das Kopfbrummen ist weg, mir geht es gut. Heute ist der entscheidende Tag. Der Aufstieg zum 5.644 Meter hohen Drölma La-Pass. 9.25 Uhr geht es los. Langsam, ganz langsam. Es ist steil und es wird die nächsten Stunden auch nicht flacher. Im Gegenteil. Zuviel für eine junge Chinesin, die unterhalb des Passes in ihrer pinkfarbenen Daunenjacke am Wegesrand kauert. Neben ihr liegen zwei leere Sauerstoffflaschen. „I have no energy, no energy“, sagt sie immer wieder. Sie hat aber noch genug Kraft, um zeitgleich mit zwei Handys zu telefonieren. Unser tibetischer Guide ruft ihr schließlich einen Pferdeführer. Auf dem Rücken seines Pferdes geht es für die Himmelsstürmerin weiter. Zum Gipfel. Eines Tages werden die Chinesen eine betonierte Straße hierauf bauen …
Ich erreiche den Pass exakt um 13.10 Uhr. Erschöpft, kurzatmig, aber sehr glücklich. Ein unbeschreibliches Gefühl. Tausende Gebetsfahnen tünchen den steinernen heiligen Platz in ein buntes Farbenmeer. Mein altes Leben lasse ich hier in Form eines persönlichen Gegenstandes, wie es die Buddhisten tun, nicht zurück. Aber meine Wünsche für die Lieben daheim, aufgeschrieben auf einer weißen Gebetsfahne. Die Himmelspferde werden sie mit nach oben nehmen. Beim Abstieg bläst uns ein Sturm Staub ins Gesicht, als will uns der Kailash daran erinnern, dass mit seiner Umrundung die Sünden nur symbolisch erloschen sind. Für viele Tibeter geht es indes um viel mehr, sie begehen die Kora, in dem sie sich alle drei Schritte mit Hingabe niederwerfen und Mantras aufsagen.
Um 18.35 Uhr erreiche ich Camp 2, das an einem Fluss liegt. Gegenüber in dem Berg lebt der Legende nach Buddha. Am nächsten Tag kommen wir nach gut fünf Stunden um 14.55 Uhr wieder in Darchen an. Meine Kora ist beendet und mein neues Leben kann beginnen. Ich drehe mich aber immer wieder um und schaue zurück zum Kailash, während wir auf der Schnellstraße zurück in die Zivilisation fahren. Immer Richtung Osten, nach Lhasa, der einst für Ausländer verbotenen Stadt. Fünf Tage sind wir unterwegs in unseren Land-Cruisern. Die Landschaften sind atemberaubend schön, die Sonne taucht sie in ein wechselndes Farbenspiel. Schwarz, Braun, Rot, Grün, Gelb. Nicht umsonst wird Tibet auch „The Colors of Earth“ genannt. Die Farben der Erde. Den höchsten Berg der Erde sehen wir am 26. September um 19.45 Uhr. 80 Kilometer Luftlinie entfernt stehen wir auf einem Plateau nahe Sakya und blicken zum Mount Everest (8.848 m), zum Cho Oyu (8.201 m) und weiteren
Himmelsstürmern. Das ganze 1,2 Millionen Quadratkilometer große Land ist von Gebirgsketten umschlossen. Viele Jahrhunderte waren sie der Schutzwall Tibets. Bis ihn die Chinesen bei ihrem Einmarsch 1950 niederrissen. 6.000 Klöster wurden während der Kulturrevolution zerstört, cirka eine Millionen Tibeter ermordet. 1959 floh der 14. Dalai Lama, das geistige und weltliche Oberhaupt Tibets, nach Indien. Seitdem schützt die Tibeter nur noch ihr tiefer Glaube. Der Buddhismus lässt sie mit erhobenem Haupt durch ihr von Schikanen geprägtes Leben gehen. In den Klöstern bekommt man noch am ehesten einen Eindruck vom einstigen Leben der Tibeter. Die erhaltenen kulturellen Schätze sind nicht nur von immensem materiellem Wert, sie stellen die Lebensgrundlage der Tibeter dar.
In der Hauptstadt Lhasa sind die Ausmaße der chinesischen Politik unübersehbar. Straßensperren, Polizeikontrollen, Wachposten auf den Dächern, Militärpatrouillen… Wovor hat das mächtige China Angst? Vor den friedliebenden Tibetern, die sie ja nach eigenen Angaben befreit haben? In Lhasa erinnert nur der Potala, der einstige Sitz der Dalai Lamas und das Barkhor-Viertel an den Mythos der Stadt, obwohl sie längst umschlossen sind von grauen Betonmonstern. Aber auch wenn der Potala, in dem einst Tausende Mönche lebten, nur noch ein „totes“ Museum ist, für das man exakt eine Stunde Besichtigungszeit hat, hat er nichts von seiner Strahlkraft verloren. Weit über der Stadt thronend, ist er ein in Stein gemeißeltes Symbol: Glaube lässt sich nicht brechen!
Gleiches erfährt man, wenn man im Barkhor-Viertel den heiligen Jokhang-Tempel mit der bedeutendsten Buddhafigur Tibets umrundet und die Einheimischen sieht, wie sie ihre Traditionen leben. Als ich am letzten Abend noch einmal um den Jokhang laufe, ruft mir plötzlich jemand freundlich winkend etwas zu: „Welcome to Tibet“. Ich drehe mich um. Es ist ein chinesischer Polizist. Gibt es doch Hoffnung für dieses wunderbare Land und seine wunderbaren Menschen?
Es ist weit nach Mitternacht in Kathmandu, die Musik hat längst aufgehört. Pema sieht mich an, schüttelt den Kopf und sagt: „Ich weiß, dass Tibet nie mehr frei sein wird. China ist zu groß und mächtig.“ Pema war noch nie im Land ihrer Vorfahren.
TOP Service:
www.diamir.de
www.lischa-himalay.org
Reiseleiter Steffen Schöley gründete
2010 die Hilfsorganisation LIScha
Himalaya e.V., die in Nepal benachteiligte
Familien unterstützt.
Fotos: Jens Hirsch